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Kommentar Zugang zu MedizinstudiumHausärzte statt Dr. House

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Das Numerus-Clausus-Urteil soll mehr Menschen ein Medizinstudium ermöglichen. Und mit etwas Glück macht es die Branche menschlicher.

Sind Ärzte nicht einfühlsam genug? Foto: dpa

D ie Begeisterung über das Numerus-clausus-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist verdächtig einhellig ausgefallen. Bundesärztekammer, Medizinstudierende, Wissenschaftsministerinnen – alle begrüßen die richterliche Entscheidung. Sie läuft darauf hinaus, dass die Zulassungsverfahren zum Medizinstudium etwas verändert werden müssen und die Studienplatzvergabe ein bisschen transparenter und vergleichbarer laufen soll.

Ob das am Ende bedeutet, dass auch Menschen mit einem 2,5er-Abi eine reelle Chance haben, Medizin zu studieren, und die angehende Ärzteschaft, die zu 70 Prozent aus Kindern von Akademikermüttern und/oder -vätern besteht, sozial weniger elitär zusammengesetzt ist, weiß natürlich noch niemand.

Die Freude über das Urteil verrät deshalb mehr über das Unbehagen aller Beteiligten hinsichtlich der derzeitigen Praxis. Bisher gilt im Wesentlichen: Wer in Deutschland Medizin studieren will, muss ein 1,0er-Abitur hinlegen oder jahrelang auf einen Studienplatz warten. Hochbegabung, Strebsamkeit oder Sitzfleisch sind also die wichtigsten Voraussetzungen für künftige Ärzte? Den hyperintelligenten, aber sozial inkompetente Dr. House mag man als Protagonisten in der gleichnamigen Serie toll finden. Aber würde man ihn wirklich als Hausarzt haben wollen?

Von ihrer Ärztin oder ihrem Arzt – egal ob in der Praxis oder im Krankenhaus – erwarten die meisten doch, dass sie auch den Menschen hinter dem Fall sehen und mitfühlen können.

Wenn die Universitäten und Bundesländer jetzt über veränderte Zulassungsverfahren zum Medizinstudium nachdenken, dann sollten sie sich deshalb nicht zuerst im Assessment-Center, sondern in den Kliniken umschauen. Es sollte gelten: Wer nach dem Abitur eine Ausbildung in der Pflege absolviert hat, rückt bei der Studienplatzvergabe ganz nach vorn. Damit ist noch nicht gesichert, dass die Bewerber das sechsjährige theoretisch geprägte Studium meistern und am Ende die Approbation erhalten. Doch wer drei Jahre auf einer Krankenstation oder im Rettungsdienst gearbeitet hat, weiß zumindest, worauf er oder sie sich menschlich einlässt. Zudem erdet das den Berufsstand: Wer wochenweise im Schichtdienst geschuftet hat, oft am Limit und mit einem für die harte Arbeit bescheidenen Gehalt, hat Kriterien wie Geld und Renommee zunächst einmal hintangestellt.

Dieses an der Praxis orientierte Auswahlprinzip lässt sich auch auf andere Studiengänge ausdehnen. Wer Lehrer oder Lehrerin werden will, sollte Kinder mögen – und das vorher unter Beweis stellen. Das wäre mal ganz was Neues.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
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11 Kommentare

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  • Eine duale Ausbildung als Ochsentour zur Erlangung von Studienplätzen?

    Ich bitte die Verantwortlichen bei der taz, sich auch mal im europäischen Ausland kundig zu machen. Irgendwo hört es auf. Was wir brauchen, sind mehr Studienplätze. Weil der Bedarf an Ärzten immer mehr steigt. Gilt übrigens auch für Psychotherapeuten. Ärzte müssen genug Praktika ableisten, da braucht man nicht noch eine langjährige Pflegerausbildung!

  • "Von ihrer Ärztin oder ihrem Arzt – egal ob in der Praxis oder im Krankenhaus – erwarten die meisten doch, dass sie auch den Menschen hinter dem Fall sehen und mitfühlen können."

     

    Ganz ehrlich: Nö - oder nur soweit unbedingt notwendig. Von meinem Arzt erwarte ich, dass er die Fehlfunktionen meines Körpers erkennt, den bestmöglichen Weg zu deren Beseitigung erarbeitet und in der Lage ist, mir Beides einigermaßen verständlich zu erklären. Dafür wird er von der Kasse (ausreichend knickrig) bezahlt. Seine Seele darf er behalten.

     

    Weitergehende soziale Kompetenzen sind - milde ausgedrückt - Geschmackssache und sollten daher nicht Teil der objektiven Kriterien für die Ausbildung zum Arzt sein. Vom umgekehrten Extrem - der Arzt als Ersatzseelsorger, den man praktischerweise auf Kosten der Versichertengemeinschaft nach Belieben in Anspruch nehmen kann (und der sich aus berufsethischen Gründen dagegen auch kaum wehren kann) - halte ich gar nichts. Wer einen zartfühlenden Oberempathen braucht, der sich anlässlich einer Schleimbeutelentzündung (oder einfach nur, weil gerade Montag ist) auch gleich noch über das Wohl und Wehe der Familie des Patienten zu unterhalten hat, der soll den gefälligst aus seiner persönlichen Tasche zu einem entsprechenden Stundensatz bezahlen.

     

    Davon abgesehen ist das meiste auch Illusion. So ziemlich jeder Arzt würde früher oder später ein Fall für seine psychiatrisch spezialisierten Kollegen, wenn er für seine Patienten auch nur annähernd das Maß an Mitgefühl aufbringen würde, das ihr jeweiliges Schicksal "verdient".

  • Grundsätzlich halte ich diese Entscheidung für richtig. Was mir überhaupt nicht gefällt:

    "Es sollte gelten: Wer nach dem Abitur eine Ausbildung in der Pflege absolviert hat, rückt bei der Studienplatzvergabe ganz nach vorn."

    Es ist Ihnen schon bewusst, dass hiermit ein weiteres Problem auf dem Rücken einer Berufsgruppe ausgetragen würde, die bereits mehr als ausreichend eigene Probleme hat? Oder für wie attraktiv halten Sie es, jemanden ein oder gar drei Jahre lang auszubilden, nur damit sie/er diese Ausbildung als Sprungbrett für eine andere Ausbildung nutzt, anstatt seine erworbene Kompetenz und Arbeitskraft der Pflege zur Verfügung zu stellen? Als Krankenpfleger und Pflegepädagoge habe ich kein Interesse daran, Leute auszubilden, die gar nicht im Beruf arbeiten wollen.

    Um einen Eindruck vom Stationsalltag zu erhalten, würde ich vielmehr regelmäßige Praktika während des Medizinstudiums empfehlen. Am besten bei unterschiedlichen Berufsgruppen.

  • Wo sind die Zulassungsbeschränkungen zum Beruf eines Arztes oder gar ein Berufsverbot notwendig?

     

    Zum Beispiel Rassisten sollten ausgeschlossen werden! Auch Berufsverbot wäre eine gute Lösung. Wie in Österreich.

     

    Thomas Unden wollte ausländerfeindliche Äußerungen trotz Aufforderung der WGKK nicht zurücknehmen. Der Allgemeinmediziner Thomas Unden wollte Flüchtlinge in seiner Praxis in Wien-Floridsdorf nicht behandeln. Diese Ansage, die der Arzt via Plakat auf seiner Ordinationstür verkündete und als Foto auf Facebook postete, sorgte für Aufregung.

     

    Daraufhin hat Unden seinen Vertrag bei der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) verloren. Diese hatte Unden aufgefordert, seine Aussagen zurückzunehmen. Der Bitte kam der Arzt jedoch nicht nach. Auf Facebook schrieb er: "Eine Abänderung meiner Haltung steht für mich in keinem Fall zur Diskussion."

     

    Der Arzt hat gegenüber der WGKK auch mündlich deponiert, dass es keinen Widerruf seiner Äußerungen geben wird. Daher kam es seitens der WGKK zur Vertragskündigung. Danach prüfte der Disziplinaranwalt der Ärztekammer, ob Unden das Ansehen der Ärzteschaft beziehungsweise die Versorgungspflicht verletzt hatte.

     

    Letztesendes erteilte die Ärztekammer Wien dem streitbaren Arzt ein Berufsverbot.

    • @Stefan Mustermann:

      So ein Fall würde in Deutschland wahrscheinlich entsprechend laufen. Einem Kranken willkürlich die Behandlung zu verweigern, verstößt nunmal überall gegen die berufsethischen Grundsätze der Ärzteschaft.

       

      Allerdings ist das nicht dasselbe wie ein Berufsverbot für Rassisten, sondern nur für solche, deren rassistische Einstellung nachweislich ihre ärztliche Tätigkeit beeinträchtigt. Was ein Arzt über Andere sagt und denkt (oder ob er in seiner Freizeit als Rassist politisch aktiv ist), ist weitestgehend ihm überlassen.

  • „Es sollte gelten: Wer nach dem Abitur eine Ausbildung in der Pflege absolviert hat, rückt bei der Studienplatzvergabe ganz nach vorn. Damit ist noch nicht gesichert, dass die Bewerber das sechsjährige theoretisch geprägte Studium meistern und am Ende die Approbation erhalten.“

     

    Es ist natürlich so, dass die Theorie und Praxis zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Allgemein wird oft in der Fachliteratur erwähnt, dass Universitätsabsolventen ihr Wissen in der Praxis oft nicht umsetzen können.

     

    Dann sagen zu recht einige Professoren, dass man sich sehr gut auf eine Klausur vorbereiten kann und die dementsprechend sehr gut bestehen. Jedoch heißt das noch lange nicht, dass man den Fach gut beherrscht.

     

    Dann gibt es viele Spezialisten über alle akademischen Fächer bereichsübergreifend, die an den besten Unis weltweit studierten. Über Viele kann man allerdings nur sagen, dass sie sehr gut Englisch (Allgemeinenglisch) sprechen können und aus reichen Familienverhältnissen kommen.

  • "Wer in Deutschland Medizin studieren will, muss ein 1,0er-Abitur hinlegen oder jahrelang auf einen Studienplatz warten. Hochbegabung, Strebsamkeit oder Sitzfleisch sind also die wichtigsten Voraussetzungen für künftige Ärzte?"

     

    Es fehlt zu oft an Sozialen Kompetenzen und der Menschlichkeit. Viele gehen Medizin studieren nicht aus Überzeugung ("ich will Menschen retten etc."), sondern um sehr viel Geld zu verdienen.

     

    Was verdient ein Arzt im Krankenhaus / Klinikum?

     

    Im Krankenhaus verdienen laut einer Studie der FAZ die Ärzte folgende Gehälter.

     

    Am meisten verdient hier mit weitem Abstand der Chefarzt:

     

    das Chefarzt Gehalt beträgt durchschnittlich 279.000 Euro brutto jährlich

     

    ein Oberarzt Gehalt beträgt 114.000 Euro brutto p.a.

     

    ein Facharzt Gehalt beträgt 84.000 Euro brutto p.a.

     

    ein Arzt in Weiterbildung verdient ca. 68.000 Euro brutto im Jahr

    https://www.praktischarzt.de/arzt/gehalt-arzt/

     

    Das ist ein Auszug aus der Theorie. Es ist nur ein grober Rahmen. Es gibt variable Gehaltsanteile vieler Ärzte, die immer wieder in öffentlicher Kritik stehen. Stichwort: "Fallzahlen". je mehr ein Arzt Patienten behandelt oder Operationen durchführt, umso mehr verdient er auch. Dann kommt die Fallpauschale. Unterschiedliche Leistungen eines Arztes werden unterschiedlich honoriert. Es gibt viel zu viele Millionäre in diesem Beruf. Und es gibt z.B. viel zu viele Operationen oder sonstige Behandlungen, die überhaupt nicht erforderlich sind.

    • @Stefan Mustermann:

      Ein Beispiel.

       

      Rund 15,8 Millionen Mal unterzogen sich Patienten in deutschen Kliniken 2013 einem medizinischen Eingriff – gut 30 Prozent mehr als 2005.

       

      Sind alle diese Operationen notwendig?

       

      Und wie lassen sich überhaupt große regionale Unterschiede bei der Häufigkeit bestimmter Operationen erklären? Nach einer veröffentlichten Studien der Bertelsmann Stiftung und der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) werden Mandel-Operationen bei Kindern, Blinddarm- und Prostata-Eingriffe in manchen Regionen Deutschlands bis zu achtmal öfter vorgenommen als andernorts. Beim Einsatz künstlicher Kniegelenke, bei Kaiserschnitten oder Gebärmutterentfernungen unterscheide sich die OP-Häufigkeit zwischen den Regionen um das Zwei- bis Dreifache. Rein medizinisch seien solche Unterschiede nicht zu erklären, meinen die Autoren.

  • „Wer in Deutschland Medizin studieren will, muss ein 1,0er-Abitur hinlegen oder jahrelang auf einen Studienplatz warten.“

     

    Das ist die Regel, aber es gibt „Ausnahmen“.

     

    Die Studienplatzvergabe hängt nicht nur von Universitäten wie Humboldt Uni ab. Oft kooperieren Unis mit medizinischen Großunternehmen. Und es gibt Fälle, wo Menschen auch ohne Abitur doch Medizin studieren… Das heißt umgangssprachlich so wie Vitamin „B“…

     

    An Kontrollfunktionen in der Medizin fehlt es vorne und hinten!

  • Wie ist eigentlich der NC für Journalisten noch mal?

  • Hurra! Jetzt wird dem Medizinstudium ein 2,5jähriges Praktikum (im Rahmen einer Krankenpflege-Berufsausbildung) vorgeschaltet. Ein freiwilliges soziales Jahr wird damit zur Zeitverschwendung, Ausbildungsplätze in der Pflege werden durch zukünftige Ärzte blockiert.

     

    Warum ausgerechnet Rettungssanitäter später die besseren Ärzte sein sollen, entbehrt doch auch jeder Empirie ... meine persönlichen Erfahrungen sind andere.

     

    Wichtig wäre m.E. eine Geschlechterquote. Denn heute sind 60% der Studenten der Medizin weiblich. Diese 50% mehr Frauen als Männer ist durch die vermehrte Teilzeitarbeit der Ärztinnen auch eine Ursache des heutigen Ärztemangels ...