Fall Yücel vor dem EGMR in Straßburg: Vorwurf der Terrorpropaganda

Deniz Yücel klagte in Strassburg wegen Verletzung seiner Menschenrechte. Die türkische Regierung weist das zurück – mit teilweise dünnen Argumenten.

Auto, aus dem jemand ein Plakat hält, Aufschrift: "Free Deniz"

Man kann es nicht oft genug sagen: Free Deniz! Der Mann hat nur seine Arbeit gemacht Foto: dpa

FREIBURG taz | Seit Februar ist der deutsch-türkische Journalist und Ex-tazler Deniz Yücel in türkischer Haft. Die türkische Regierung hat jetzt beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ihre Stellungnahme vorgelegt. Der 52-seitige Schriftsatz liegt der taz vor.

Was bisher geschah: Yücel sitzt seit Februar in türkischer Untersuchungshaft. Ihm wird die „Verbreitung von Propaganda terroristischer Organisationen“ und die „Aufstachelung zu Hass und Feindseligkeit“ vorgeworfen. Yücel hat Anfang April den Straßburger Gerichtshof angerufen. Er werde ohne vernünftigen Grund festgehalten, dies verletzte sein Recht auf Freiheit und die Pressefreiheit. Im Juli forderte der EGMR die Türkei zur Stellungnahme auf. Die türkische Regierung antwortete nun am letzten Tag der gesetzten Frist.

Zulässigkeit: Die Türkei hält Yücels Beschwerde nicht einmal für zulässig, da er den Rechtsweg in der Türkei noch nicht erschöpft habe. Zehn Tage vor seiner Klage in Straßburg habe Yücel das türkische Verfassungsgericht angerufen, das noch nicht entschieden habe. Das Verfahren dort gehe durchaus voran. So habe das Verfassungsgericht Ende Oktober die türkische Regierung zu einer Stellungnahme aufgefordert.

Recht auf Freiheit: Yücel sei auch nicht willkürlich inhaftiert, sondern wegen konkreter strafrechtlicher Vorwürfe, so die türkische Regierung. Die Ermittlungen gegen Yücel seien im Dezember 2016 aufgrund einer anonymen Email aufgenommen worden. Darin wurde die linksradikale Hackergruppe Redhack beschuldigt, den Email-Account des türkischen Energieministers geknackt zu haben.

Der Zugang zu den Emails des Ministers sei in einem Twitter-Chatroom weitergegeben worden. Die Sicherheitsbehörden hätten daraufhin die Identität von 9 der 18 Twitter-Nutzer aus dem Chatroom herausgefunden. Einer sei Deniz Yücel gewesen. Der Vorwurf, Yücel sei Mitglied in einer bewaffneten Terrororganisation und habe diverse Hacking-Straftaten begangen, werde zwar weiter untersucht, so die Regierung, doch darauf werde die am 27. Februar 2017 verhängte Untersuchungshaft nicht gestützt.

U-Haft wegen acht journalistischen Texten

Die Untersuchungshaft stütze sich vielmehr auf acht Artikel Yücels, die dieser zwischen August 2015 und Februar 2017 in türkischen Zeitungen publiziert hat. Die Artikel wurden in der Stellungnahme nur sehr auszugsweise wiedergegeben.

Danach lässt sich ein Drittel der Artikel dem Vorwurf zuordnen, Yücel verbreite Propaganda der verbotenen kurdischen Organisation PKK. So heißt es, ein Interview Yücels mit dem PKK-Gründungsmitglied Cemil Bayik erwecke den Eindruck, dass die PKK eine „legitime Struktur“ sei. Yücel habe PKK-Chef Öcalan auch gelobt, indem er ihn als „Oberbefehlshaber“ der PKK bezeichnete.Außerdem habe Yücel unwahre Nachrichten verbreitet, indem er schrieb: „Die Sicherheitskräfte verbrannten wahrscheinlich eine 19jährige Person namens H.A. im Untergeschoss eines Hauses in Cizre.“

Ein weiteres Drittel der Texte führten zu dem Vorwurf, Yücel verbreite Propaganda der Terrororganisation Fetö des Prediger Fetullah Gülen, der hinter dem Putschversuch vom Juli 2016 stecke. So schrieb Yücel, es sei noch immer ein Rätsel, wer die verantwortlichen Personen hinter dem Coup waren. Es gebe keinen endgültigen Beweis, dass Fetö hinter dem Putschversuch steckt. In einer Überschrift werde Erdogan als Coup-Verschwörer bezeichnet.

„Aufstachelung zu Hass“

Im übrigen sollen die monierten Texte Feindschaft und Hass erzeugen, etwa zwischen Türken und Kurden, die doch „Geschwister“ seien. So erzählt Yücel in einem Text die Anekdote, dass ein Kurde und ein Türke zum Tode verurteilt werden. Der Kurde will dabei als letzten Wunsch seine Mutter noch einmal sehen. Dagegen wünscht sich der Türke nur, dass der Kurde sterben muss, ohne seine Mutter noch einmal gesehen zu haben. Eine solche Haltung kennzeichne die Politik der Türkei gegenüber den Kurden. Auch Kritik an Erdogans Referendum über eine auf ihn zugeschnittene neue Verfassung wird von der türkischen Justiz wohl als Aufstachelung zu Hass eingestuft.

Dass Yücel mit diesen Texten den Verdacht erweckte, er habe Straftaten begangen, sei von unabhängigen Gerichten schon mehrfach bestätigt worden, so die Stellungnahme der türkischen Regierung. Der Verdacht gegen Yücel werde weiter untersucht. Aber keinesfalls sei der Journalist grundlos inhaftiert.

Pressefreiheit: Die Inhaftierung Yücels wegen dieser Artikel verletze auch nicht die Pressefreiheit, die die Türkei achte. Von der Untersuchung sei nämlich nicht seine Arbeit als Journalist betroffen, sondern Aktivitäten, die er im Interesse von terroristischen Organisationen durchgeführt habe. Die Pressefreiheit schütze nicht das Befürworten von Gewalt, so die türkische Regierung. Es würde den Kampf gegen Kriminalität behindern, wenn gegen Angehörige bestimmter Berufe gar nicht ermittelt werden dürfe.

Verfahrensdauer: Die türkische Regierung wies den Vorwurf zurück, das Verfahren vor dem türkischen Verfassungsgericht dauere unnötig lange. Seit dem Putschversuch und den nachfolgenden Maßnahmen habe es mit rund 105 000 Verfassungsbeschwerden eine außergewöhnlich hohe Arbeitsbelastung des Verfassungsgerichts gegeben. Im Fall Yücel sei es „extrem angemessen“, dass nach neun Monaten noch keine Entscheidung gefallen ist.

Maßstab: Eine Beschwerde beim EGMR wird an der Europäischen Menschenrechtskonvention gemessen, die auch die Türkei unterzeichnet hat. Allerdings hat die Türkei nach dem Putschversuch mitgeteilt, dass sie nun Maßnahmen treffen müsse, die von der Konvention abweichen. Sie nutzte dabei eine Möglichkeit, die die Konvention vorsieht, wenn Krieg oder ein anderer öffentlicher Notstand das Leben einer Nation bedroht. Diese Notlage halte in der Türkei immer noch an, so die Regierung. Sie habe in einer solchen Situation einen weiten Einschätzungsspielraum für die erforderlichen Maßnahmen.

Einschätzung: Wenn der EGMR in den kommenden Monaten über die Klage Yücels entscheidet, stehen dessen Chancen schlecht. Denn solange der EGMR den Eindruck hat, dass sich das türkische Verfassungsgericht einigermaßen ernsthaft um Yücels Fall kümmert, hat jener den türkischen Rechtsweg noch nicht erschöpft und dann wäre seine Beschwerde in Straßburg (noch) unzulässig.

Die türkische Stellungnahme offenbart aber zugleich, wie dünn die strafrechtlichen Vorwürfe gegen Yücel sind. Die vermeintlichen Straftaten wirken konstruiert, der Verdacht gegen Yücel an den Haaren herbeigezogen. Mit keinem Wort wird erklärt, warum Yücel sich gleichzeitig in den Dienst der PKK und von Fetö stellen sollte, obwohl beide Organisationen völlig unterschiedliche Ziele haben. Eine Untersuchungshaft sollte in keinem demokratischen Staat auf solch hanebüchene Vorwürfe gestützt werden können. Auch im Ausnahmezustand ist es nicht erforderlich, politische Gegner mit derart fabrizierten Strafverfahren auszuschalten.

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