: Das Versprechen des Herrn Dohnanyi
30 Jahre Hafenstraße: Dass die besetzte Häuserzeile am Hamburger Hafenrand nicht geräumt werden konnte, war ein Resultat von Militanz und dem Geschick der AnhängerInnen, das gesamte linksliberale Spektrum zu mobilisieren
Von Kai von Appen
G20 war nichts dagegen. Am 20. Dezember marschierten 12.000 UnterstützerInnen der Hafenstraße, teils vermummt und behelmt, durch die Hamburger Innenstadt. In der Feldstraße griff die Polizei an, vielleicht eine halbe Stunde dauerte die heftige Auseinandersetzung, bei der die Polizei ordentlich einstecken musste und sich schließlich zurückzog. Der Demozug setzte sich wieder in Bewegung gen Hafenstraße.
Keinen Pfennig hätte man in dieser aufgeheizten Stimmung darauf gewettet, dass die seit 1981 besetzte oder umkämpfte Häuserzeile an der Hafenstraße heute noch steht. Und wer es doch getan hätte, der wäre als weltfremder Illusionist oder Zocker mit Insider-Kenntnissen bezeichnet worden.
Aber die Monate des folgenden Jahres sollten belegen, dass allein durch staatliche Repression eine solche Schlacht nicht gewonnen werden kann. Seit Anfang des Jahres 1987 waren die Bewohner der Hafenstraßenhäuser dem Psychoterror der Polizei ausgesetzt. Zu jedem denkbaren Anlass – einige Hafensträßler wollen 33 Fälle gezählt haben – drangen Polizeieinheiten in die Häuser ein. Einrichtungen wurden verwüstet , selbst Katzenbabys durch Polizeistiefel zertreten, Murmeln zwecks Verstopfung in Klos geworfen, Knallkörper in Öfen deponiert und Reizgas in Bettwäsche versprüht.
Doch den BewohnerInnen des Hafenrandes gelang es, die Sympathien des liberalen Spektrums der Stadt zu mobilisieren. So gründete sich das „Komitee zur Verteidigung der Hafenstraße“ und der „Initiativkreis zum Erhalt der Hafenstraße“ mit namhaften Persönlichkeiten wie dem Gründer des Institut für Sozialforschung, Jan Philipp Reemtsma, dem Ex-Bürgerschaftsabgeordneten der Grün-Alternative-Liste (GAL), Michael Herrmann, Kunst-Professor Hans-Joachim Lenger und Jugendrichter Joachim Katz. Der Politmäzen Reemtsma war es auch, der im Mai 1987 anbot, den Konflikt um das „Symbol des Widerstands“ zu „entstaatlichen“ und die Häuser für den symbolischen Kaufpreis von einer Mark zu übernehmen. Doch der SPD-Senat schlug das Angebot in den Wind.
Als SPD-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi im Sommer 1987 – keineswegs Freund der Hafenstraße – im Urlaub auf Sylt war, sah die SPD-Betonfraktion um Innensenator Alfons Pawelczyk und Bausenator Eugen Wagner ihre Chance gekommen, die Räumung der Häuser in Angriff zu nehmen.
Das brachte auch die Patriotische Gesellschaft auf den Plan, die vom „Komitee“ eingeschaltet worden war. „In einer Unzahl von Telefonaten wurde versucht, diese Räumung zu verhindern, um der Stadt den größten Krawall der frühen Neuzeit zu ersparen“, erinnert sich Geschäftsführer Erich Braun-Egidius später. Der Patriot Volker Doose kam schließlich zur Überzeugung, dass nur eine spektakuläre Aktion eine Räumung noch verhindern könnte. So machten sich unter anderem der GALier Herrmann, der Fotograf Günter Zint und Patriot Braun-Egidius mit einem Hubschrauber auf nach Sylt, wo sie Dohnanyi beim Fahrradfahren erwischten. „In einem dramatischen zweistündigen Gespräch erreichten wir, dass Dr. von Dohnanyi eingriff und die Räumung ausgesetzt wurde.“
Die Aktion sorgte tatsächlich für Schlagzeilen. Geschäftsführer Braun-Egidius war trotz der Anfeindungen aus der Politik und von den Boulevardmedien später stolz auf das Engagement. „Die Patriotische Gesellschaft war aus dem behüteten Zirkel der sorgsam gepflegten Zurückhaltung ausgebrochen und stand wieder in der Tradition ihrer Vorfahren von 1848“, sagte er später. „Sie hatte im Thema Hafenstraße die Gewichte in Hamburg verschoben.“
Doch die SPD-Betonfraktion lies nicht locker: Am 11. November erklärte SPD-Fraktionschef Henning Voscherau, das nach sechsjährigem Tauziehen eine vertragliche Lösung mit den Bewohnern der Hafenstraßenhäuser endgültig gescheitert sei und nun die Räumung eingeleitet werde. Mehrere Tausend Menschen versammelten sich am Abend rund um die Häuser am Hafenrand, in einem Zelt wurde die aktuelle Lage diskutiert. Zeitgleich tagte in den Häusern das Plenum der BewohnerInnen. „Es herrschte Ratlosigkeit“, sagt einer der damaligen Bewohner. „Es war klar, dass wir uns nicht ausliefern lassen.“
Im Plenum meldete sich einer der Bewohner zu Wort und sagte, dass Diskussionen nichts mehr nützen würden, man müsse Barrikaden bauen. Ohne dass ein Beschluss gefällt worden wäre, rannte er hinüber in das Sympathisantenzelt. Dort setzte das Wort „Barrikaden“ eine Lawine in Gang. Alles Greifbare wurde vor die Häuser in der Hafenstraße geschleppt – sogar Autos und Kleinlaster. Der Piratensender Radio Hafenstraße ging auf Sendung. „Wir sind sofort auf Sendung – aber das war alles nicht geplant“, sagt ein Macher des illegalen Senders, der auf einem Dachboden in den besetzten Häusern installiert wurde. Der Sender war Sprachrohr und Kommunikationsplattform der Hafensträßler. In keinem Geschäft auf St. Pauli hörte man in den folgenden Tagen ein anderes Programm. Tagelang herrschte um die Häuserzeile eine gespenstische Stille.
Unterdessen wuchs die Solidarität mit der Hafenstraße: Ganze Belegschaften sendeten Grußbotschaften, die über Radio Hafenstraße verlesen wurden. Der Baumogul und der damalige FDP-Chef Robert Vogel stellte sich hinter die Bewohner, der Zweite Bürgermeister, Ingo von Münch (FDP), machte klar, dass er mit dem Senatsbeschluss, keine vertragliche Lösung zu suchen, nicht einverstanden war. Hamburg war gespalten. Auf der einen Seite die SPD-Betonfraktion, die Springerpresse und die Polizeigewerkschaften, auf der anderen Seite das linksliberale Spektrum und seine UnterstützerInnen.
Zudem liefen am 16. November die Diplomatie-Drähte heiß. Die gesamte Republik schaute auf Hamburg und fürchtete ein Bürgerkriegs-Desaster. 10.000 Polizisten hatte Pawelczyk mittlerweile zusammengezogen, darunter die sogenannte Anti-Terroreinheit GSG 9 des Bundesgrenzschutzes, die von Hubschraubern aus die mit Stacheldraht versehenen Dächer erklimmen sollte.
Bundespräsident Richard von Weizsäcker und der SPD-Bundesvorsitzende Hans-Jochen Vogel schalteten sich ein, beide hatten als ehemalige regierende Bürgermeister von Berlin Erfahrung mit der Häuserkampfbewegung.
In den Häusern hatten sich indes die BewohnerInnen zur Schlacht um die Vereidigung ihrer Häuserzeile gewappnet. Im ersten Stock des Hauses Hafenstraße 108 hatten sich am Montag, den 16. November, Mitglieder des „Komitees zur Verteidigung der Hafenstraße“ eingefunden. „In den Häusern waren Unmengen an Benzin gebunkert“, sagt ein Ex-Bewohner. Es habe auch Überlegungen gegeben, Öfen aus den Fenstern zu werfen. Schusswaffengebrauch kam damals nicht in Betracht, aber auf den mit Stacheldraht befestigten Dächern der Häuser waren Harpunen stationiert worden, um einen „Luftangriff“ der GSG 9 abzuwehren.
Die politische Intervention zeigte Wirkung: Am Dienstag beschloss der SPD/FDP-Senat, doch noch ein Vertragsangebot zu unterbreiten. Auf einer Pressekonferenz gab Bürgermeister Klaus von Dohnanyi sein „Ehrenwort“ und „verpfändete sein Amt“, dass es eine Vertragslösung gebe, wenn bis zum Donnerstag der Abbau der Befestigungen erfolgt sei. Obwohl alle Bewohner wussten, dass ein neuer Vertrag noch keine sichere Zukunft bedeutet, willigten sie ein und bauten die Barrikaden ab. „Bei einer Räumung hätte es Tote geben“, sagt später SPD-Kronprinz Voscherau, was ihn nicht davon abhielt, erneut mit einer Räumung zu liebäugeln, nachdem er Dohnanyi im Februar 1988 gestürzt hatte. Räumungen von Wohnungen wegen vermeintlicher Vertragsverletzungen waren damals an der Tagesordnung.
Erst 1994 gelingt den „Patrioten“ am runden Tisch der Durchbruch und der SPD-Stadtpartei-Senat stimmt dem Verkauf der zwölf Häuser zu. Im Jahr darauf gründeten die BewohnerInnen und der Rechtsanwalt Hans-Jochen Waitz die Genossenschaft „Alternativen am Elbufer“, die das Areal seither verwaltet.
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