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Besetzung war mal, oder?

Viele der alten AktivstInnen haben sich in den erkämpften Räumen eingerichtet – was einmal zum Wohle aller gedacht war, ist zum Privileg weniger geworden. Ein Ausweg könnten Modelle wie das „Mietshäuser-Syndikat“ sein. Und die wirklich Aufsehen erregenden Besetzungen in letzter Zeit kommen von Flüchtlingen

Von Malene Gürgen

Miete verweigern, Kündigung ins Klo, Häuser besetzen sowieso“ – eine bis heute gern auf Demonstrationen verwendete Parole, die seltsam anachronistisch anmutet. Wer in den Innenstädten überhaupt noch eine Wohnung findet, ist froh, die Miete dafür wird an anderer Stelle eingespart, und kommt die Kündigung, führt der Weg nicht zum Klo, sondern in die nächste Mietrechtsberatung. Häuser besetzen, das war einmal.

Die Hochzeit der Hausbesetzungen hat ihre Spuren hinterlassen. Nicht nur in Berlin, dem Zentrum der damaligen Szene, haben viele der Projekte aus den 80er und 90er-Jahren überlebt und stellen nach wie vor einen wichtigen Bezugspunkt der linken Szene dar – auch wenn etliche andere verschwunden sind oder ihre Relevanz nach außen eingebüßt haben. Viele der Projekte sind längst legalisiert, die BewohnerInnen haben normale Mietverträge, was in der überdrehten Debatte nach dem Hamburger G20-Gipfel gern vergessen wurde, als sich PolitikerInnen fast aller Parteien mit ihren Räumungsforderungen überboten, weil sie das Autonome Zentrum Rote Flora für den Drahtzieher der Ausschreitungen hielten.

Neue Besetzungen gibt es kaum noch. Das liegt auch an der sogenannten Berliner Linie, die 1981 eingeführt und seitdem in vielen Städten kopiert wurde: Besetzte Häuser, so ordnete es der Berliner Senat damals an, seien binnen 24 Stunden nach Bekanntwerden der Besetzung zu räumen. Damals hatte die Bewegung ihren Höhepunkt erreicht, knapp 170 Häuser galten in Berlin als besetzt – mit der neuen Direktive wollte der Senat verhindern, dass sich weitere Projekte verfestigten.

Weniger bekannt ist, dass zur Berliner Linie auch noch ein zweiter Teil gehörte: Nach Ablauf der 24 Stunden sollte ein Haus künftig nur noch dann geräumt werden, wenn der Eigentümer Strafanzeige stellte und außerdem selbst zusicherte, dass betreffende Haus zügig zu sanieren. Denn das Eigentümer ihre Immobilien zur reinen Spekulation nutzten und dabei immer weiter verfallen ließen, sorgte auch außerhalb der Hausbesetzerszene für Kritik.

1996 ließ der Berliner Senat ein sechs Jahre zuvor besetztes Haus im Ostberliner Stadtteil Friedrichshain auf Grundlage des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes räumen, ohne dass ein gerichtlicher Räumungstitel vorliegt – es war der erste Verstoß gegen den zweiten Teil der Berliner Linie, dem viele weitere folgen sollten.

Spätestens seitdem gilt: Neubesetzungen haben in der Regel höchstens als stille Besetzungen, von denen zunächst niemand etwas mitkriegt, eine Chance, länger als ein paar Stunden zu überleben. Der politische Effekt aber verpufft bei einer stillen Besetzung, eine neue Szene kann sich so nicht bilden. Ganz abgesehen davon, dass nicht nur die politischen Rahmenbedingungen heute andere sind, sondern auch der Leerstand in den Innenbezirken der Großstädte um ein Vielfaches geschrumpft ist.

Das bedeutet aber nicht, dass keine linken Hausprojekte mehr gegründet werden, im Gegenteil: Das 1992 von ehemaligen Hausbesetzern in Freiburg gegründete Mietshäuser-Syndikat, ein Verbund selbstverwalteter Hausprojekte mit dem Ziel, möglichst viele Häuser dem Immobilienmarkt zu entziehen und in Gemeineigentum zu überführen, boomt wie noch nie. 127 Hausprojekte umfasst das Syndikat momentan, darunter sind ehemals besetzte Häuser, die erst später Teil des Verbunds wurden, ebenso wie Neugründungen oder Häuser, in denen die Mieterschaft dem drohenden Rausschmiss bei Eigentümerwechsel dadurch entgangen ist, dass sie das Haus selbst gekauft hat.

Kaufen statt Besetzen lautet die Strategie. Das Mietshäuser-Syndikat unterstützt Gruppen dabei, Häuser mithilfe von Bank- und Direktkrediten zu erwerben. Das Haus gehört anschließend einer GmbH, in der es zwei stimmberechtigte Mitglieder gibt: Zum einen den Hausverein, der aus allen aktuellen BewohnerInnen besteht, zum anderen das Syndikat selbst. Bei Grundsatzfragen wie einer Satzungsänderung oder dem Verkauf des Hauses müssen beide Seiten zustimmen – so ist gesichert, dass die Bewohnerschaft nicht nach ein paar Jahren beschließt, ihr Haus durch einen Verkauf doch zu Geld zu machen, was das Ende des kollektiven Projekts bedeuten würde.

So versuchen die Syndikate, aus den Erfahrungen der Hausbesetzerbewegung zu lernen: Nicht wenige Projekte endeten damit, dass die ehemals vom Kollektiv begeisterten Besetzer sich mit zunehmenden Alter immer besser in der Rolle der Eigentumswohnungsbesitzer gefielen – was der Gesellschaft oder doch mindestens der Szene dienen sollte, wurden zum Privileg einiger weniger.

Selbstverwaltetes Wohnen, Unabhängigkeit von kommerziellen Vermietern, eine langfristig gesicherte Perspektive: Im Hausprojekt zu wohnen ist attraktiv, die Warteliste von interessierten Gruppen auf der Suche nach passenden Immobilien ist lang, auch Neubauten wurden mit dem Syndikat schon realisiert. Wohnraum zu schaffen, der nicht verwertet werden kann, ist durchaus ein rebellischer und radikaler Akt – auch wenn vom romantischen Gestus früherer Hausbesetzungen dabei kaum etwas übrig bleibt und Selbstverwaltung ganz konkret vor allem bedeuten kann, die Betriebskostenabrechnung selbst machen zu müssen.

Doch es gibt sie auch noch, die richtigen Besetzungen. Es gibt sie dann, wenn es eine Bewegung gibt, die bereit ist zu kämpfen, den symbolischen wie auch den materiellen Preis einer Räumung hochzutreiben, das zeigt das Beispiel der erfolgreichen Besetzung des Alten Sportamtes in Bremen (siehe Seite 44). Denn nur dann gibt es eine Chance, die Verantwortlichen vor der sofortigen Räumung zurückschrecken zu lassen.

Aufsehenerregende und längerfristige Besetzungen kamen in den letzten Jahren aus einer anderen Ecke: aus der Flüchtlingsbewegung

Außerhalb von Bremen ist es allerdings nicht die linke Szene im engeren Sinn, die das in den letzten Jahren geschafft hat. Zwar werden bei Demonstrationen, „Squatting Days“ oder politischen Straßenfesten immer wieder Häuser besetzt, doch meist bleiben das symbolische Aktionen, bei denen die Häuser ein paar Stunden später wieder geräumt oder die Aktionen freiwillig beendet sind.

Aufsehenerregende und längerfristige Besetzungen kamen in den letzten Jahren aus einer anderen Ecke: aus der Flüchtlingsbewegung. In Erinnerung geblieben ist die Besetzung der leer stehenden ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg, die jahrelange Auseinandersetzungen nach sich zog und für ein paar Wochen im Sommer 2014 den Kiez in den Ausnahmezustand versetzte. Im Januar sollen die wenigen verbliebenen Besetzer nun geräumt werden, ob es wirklich dazu kommt, ist ungewiss.

Doch auch in anderen Städten gab es Besetzungen durch Flüchtlinge. Darunter waren sowohl Gebäude, die auch tatsächlich zum Wohnen genutzt werden sollten, wie auch symbolträchtige Orte wie der Hamburger Michel, der im September 2015 von 40 Roma besetzt wurde, die so ihre Abschiebung verhindern wollten.

Auch diese Besetzungen sind in den allermeisten Fällen inzwischen geräumt oder freiwillig aufgegeben. Dennoch ist hier eine Dynamik aufgeblitzt, die sich aus einer ähnlichen Quelle speiste wie frühere Besetzungsbewegungen: Die unmittelbar einleuchtende Dringlichkeit des Anliegens. Denn dass es Unrecht ist, leer stehende Häuser verfallen zu lassen, während Menschen sich keine Wohnung leisten können, ist ebenso einleuchtend wie die Tatsache, dass es Unrecht ist, Menschen, die mit der Hoffnung auf ein besseres Leben hierher gekommen sind, in Containerdörfer in der Provinz einzusperren.

Dort, wo Flüchtlingsbewegung und Recht-auf-Stadt-Bewegung zusammenkommen, kann die Grundfrage der Hausbesetzungen – in was für einer Stadt wollen wir leben? – auf die aktuellste und deswegen am meisten Sprengkraft entfaltende Art gestellt werden. Sollten Hausbesetzungen je wieder zu einem wirkmächtigen Instrument linker Bewegungen in Deutschland werden, wäre das die Voraussetzung.

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