Tag des Zorns, Tag der Freude

Donald Trump will Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen. Das stößt bei Palästinensern auf strikte Ablehnung, findet bei Israelis Zustimmung und könnte weitere Friedensgespräche torpedieren

Altstadt mit Stacheldraht und Flagge Foto: Ammar Awad/reuters

Aus Jerusalem Susanne Knaul

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu gibt sich am Mittwoch siegesbewusst. Wenige Stunden vor der für den Abend mit Spannung erwarteten Rede US-Präsident Donald Trumps zum Status Jerusalems preist Netanjahu in einem Video die diplomatischen Erfolge seiner Regierung: Die „historische und nationale Identität“ seines Landes finde „täglich, aber vor allem heute“ wichtige Ausdrucksformen.

Derweil laufen bei den Palästinensern bis zum letzten Moment die Telefone heiß. Präsident Mahmud Abbas appelliert an UN-Generaldirektor António Guterres, dafür zu sorgen, dass der Sicherheitsrat interveniert und Trump von seiner geplanten Erklärung abbringt.

Grund der Aufregung: Trump hatte Abbas am Dienstagabend telefonisch davon informiert, dass er die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen wolle. Dieser Schritt wäre enorm symbolträchtig. Die Warnung von Abbas, dass ein solcher Schritt „gefährliche Konsequenzen“ nach sich ziehen werde, ignoriert Trump.

Die Reaktion folgt auf dem Fuße: Die palästinensische Fatah-Bewegung ruft „drei Tage des Zorns“ aus. Israels Sicherheitsapparat wird in Alarmbereitschaft versetzt. Auf dem Platz vor der Geburtskirche in Bethlehem stecken Palästinenser Plakate mit dem Bild des US-Präsidenten in Brand. Und Ismail Hanijeh, Chef des Hamas-Politbüros im Gazastreifen, warnt vor dem „riskanten Spiel“ Trumps. Die Hamas wisse, wie man „eine Intifada entzündet“, sagt er und erinnert damit an die blutigen Aufstände der Vergangenheit.

Konkret würde sich mit der neuen Sichtweise der USA auf Jerusalem zunächst nicht viel ändern: Auch in der Vergangenheit hatte es in Washington geheißen, dass Ostjerusalem künftig einmal Hauptstadt Palästinas sein könnte oder sogar sollte. Selbst wenn die US-Botschaft verlegt werde, lassen Diplomaten wissen, sei das kein Vorwegnehmen eines finalen Abkommens über den Status Jerusalems.

Das wird in Israel aber gern missverstanden. Über das „vereinte Jerusalem“ jubelt nun Bildungsminister Naftali Bennett, Chef der Siedlerpartei Das jüdische Heim. So dürfte Trump das aber keineswegs gemeint haben. Dessen Plan sei „wie eine Glatze und Locken auf demselben Kopf“, kommentierte Sahava Galon, Vorsitzende der linksliberalen Partei Meretz. Trump müsse sich entscheiden – entweder Zweistaatenlösung oder Hauptstadt Jerusalem. Seit Monaten arbeitet der US-Sondergesandte Jason Greenblatt mit Trumps Schwiegersohn Jared Kush­ner an der Vorbereitung neuer Friedensverhandlungen, bei denen einige sunnitische Staaten – allen voran Saudi-Arabien und Jordanien – Pate stehen sollten. Eine Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt stieße nun nicht nur die arabischen Partner vor den Kopf. Die Palästinenser würden gar nicht erst erscheinen. Trump sei als Vermittler bei künftigen Verhandlungen disqualifiziert, wütet Nabil Schaat, enger Berater von Abbas: „He’s out.“

Von Anfang an umstritten

Als die Vereinten Nationen 1947 ihre Zustimmung zur Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat gaben, blieb Jerusalem außen vor. Die Stadt und ihre Umgebung sollten, so der Plan damals, als eigenständiges Territorium unter internationale Verwaltung gestellt werden.

Arabische Staaten weigerten sich jedoch, der Teilung zuzustimmen und den Plan für ein international verwaltetes Jerusalem zu akzeptieren. Im Krieg von 1948 besetzten israelische Truppen Westjerusalem und Teile im Osten. Dazu gehörte die Altstadt mit der Klagemauer und dem Tempelberg. Ende des Jahres annektierte Israel die besetzten Gebiete und erklärte Jerusalem zu seiner Hauptstadt. Jordanien annektierte daraufhin Ostjerusalem und bestimmte es zu seiner zweiten Hauptstadt.

Status quo

In den folgenden 19 Jahren blieb Jerusalems Status ungeklärt. Die UNO erkannte die Stadt offiziell weder als Teil Israels noch als Teil Jordaniens an.

Nach dem Sechstagekrieg

1967 besetzte Israel den jordanischen Teil Jerusalems und weitere Gebiete im direkten Umland der Stadt, die es später annektierte. In den folgenden Jahrzehnten hat die israelische Regierung zahlreiche Behörden nach Jerusalem verlegt und neue Siedlungen in palästinensischen Gebieten errichtet. Die beiden Hälften der Stadt wurden durch die „grüne Linie“ – die Demarkationslinie – geteilt.

Verhandlungen scheiterten

Alle Versuche, eine friedliche Lösung zu finden, die sowohl für die Palästinenser als auch für Israelis akzeptabel wären, sind bislang gescheitert. In den Friedensgesprächen von 1993 einigte man sich, über den endgültigen Status der Stadt später zu entscheiden.

Bislang haben sich beide Seiten geweigert, Plänen für eine israelisch-palästinensische Verwaltung oder einem internationalen Status zuzustimmen. Die israelische Regierung besteht darauf, dass Jerusalem Hauptstadt des jüdischen Staates ist. Für die Palästinenser ist ein künftiger eigener Staat, in dem Ostjerusalem nicht die Hauptstadt ist, nicht denkbar.

Internationale Anerkennung

Da sich Israelis und Palästinenser nicht einigen konnten, war auch mit einer Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt durch die internationale Gemeinschaft nicht zu rechnen. Seit 1948 haben sich alle Staaten der Welt daran gehalten – bis jetzt.

Gänzlich unwillkommen sind die Entwicklungen der palästinensischen Führung trotzdem nicht. Der Aufruhr um Trump lenkt die Aufmerksamkeit von dem stockenden Versöhnungsprozess zwischen der Fatah und der Hamas ab. Vor einer Woche hätten die Beamten der Palästinensischen Autonomiebehörde nach zehn Jahren in die Ämter im Gazastreifen zurückkehren sollen, doch dort versperrten ihnen die Kollegen von der Hamas den Weg. Es geht um Arbeitsplätze, um Geld und um ein Abspecken der aufgedunsenen Verwaltung in Gaza. Die Versöhnung entpuppt sich für die beiden großen palästinensischen Parteien zunehmend als mission impossible, als unlösbares Problem. Wie gerufen kommt deshalb der neue Sündenbock Trump, der den Unmut der enttäuschten Palästinenser schlucken soll.

Auch Netanjahu kommt die Ablenkung der öffentlichen Aufmerksamkeit gelegen. Ihm droht eine Anzeige wegen Korruption. Eine Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt zu seiner Amtszeit würde sich gut machen in seiner Bilanz. Sie würde Israel zudem einen Vorsprung vor den Palästinensern verschaffen, sollte es je zu neuen Verhandlungen kommen. Das scheint gerade jetzt nicht sehr wahrscheinlich, was Natanjahu freut. Umgekehrt fürchten die Israelis neue Gewalt und diplomatische Rückschläge. Derzeit nehmen die Regierungen in Riad und Jerusalem Kurs auf Annäherung; beide Staaten verfolgen gemeinsame Interessen, wenn es darum geht, Teheran die Stirn zu bieten.

Eine nukleare Aufrüstung des Iran wollen weder Israel noch Saudi-Arabien und die Vereinigten Staaten. Ein Bündnis der drei wird auf lange Sicht jedoch nur dann funktionieren, wenn sich Israel und die Palästinenser einigen. Erneure Gewalt im Westjordanland und im Gazastreifen würde die arabisch-amerikanisch-israelische Allianz gleich wieder im Keim ersticken lassen.