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Diskussion um #MetooBitte keine Sprechverbote!

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Die Debatte um sexuelle Gewalt wird ergebnisarm versanden. Und das liegt weniger an der Sache, sondern an der Gesprächsunkultur.

Nicht nur twittern, auch sprechen lohnt bestimmt – wenn alle mitreden dürfen Foto: dpa

D ieser Text muss damit rechnen, ganz grundsätzlich abgewiesen zu werden – der Autor ist ein Mann, wenngleich einer, der in Sachen Anbahnung von Geschlechtsdingen heterosexueller Prägung nichts mitzureden hat. Aber das ist womöglich ein besonderer Nachteil, denn reden sollen nur Betroffene, Opfer der Umstände, die sie beklagen. In der öffentlichen Arena soll nur Legitimität haben, wer die Annahme teilt, alles an den weltweit geäußerten Klagen über Männer und durch sie verübte sexualisierte Gewalt sei unterschiedslos gewichtig.

Weinstein, Spacey und alle anderen Männer: Die Debatte um sexuelle Gewalt wird ergebnisarm versanden. Und das liegt weniger an der Sache selbst, an mauernden Männern, sondern an einer Gesprächsunkultur, die alle Differenzierungen mit Empörungsgesten abweist.

Meine Kollegin Fatma Aydemir mokierte sich in dieser Woche über den Zeit-Redakteur Adam Soboczynski und seinen Text „Überreizte Debatte“, der die Unterzeile trägt: „Wer Vergewaltigungsfälle dazu nutzt, kleine Alltagsrechnungen zu begleichen, verharmlost schwere Straftaten.“ Sie schreibt: „Wie kommt eine Person auf die Idee, dass alltägliche Belästigungen und Übergriffe Nichtigkeiten seien, die nicht der Rede wert sind? Eben, weil diese Person nicht tagtäglich von diesem Verhalten betroffen ist. Am Ende von Soboczynskis polemischem Text bleibt nur noch eins hängen: Wer (noch) nicht vergewaltigt wurde, soll besser die Klappe halten und nicht über Sexismus klagen. Es bleibt zu hoffen, dass genügend Leser*innen erkennen: Diese Position ist einfach nur belanglos.“

Davon abgesehen, dass Soboczynski tatsächlich an keiner Stelle seiner Bitte um Differenzierung von „Nichtigkeiten“ spricht, wird ihm ein „belanglos“ hinterhergerufen, was auch so interpretiert werden kann: Was er sagt, ist nicht interessant – weil er keine Frau ist.

Der Kollege der Zeit ist ein Mann, aber eine Art Sprechverbot bekam auch am vorigen Sonntag die Schriftstellerin Heike-Melba Fendel verpasst. In der Talkshow „Anne Will“ wagte sie es, das Gebot der Dauerbetroffenheit zu verletzen: Sie wies darauf hin, dass in Hollywood keine #Metoo-Solidaritätsbekundung interesselos geäußert werde, dass es sozusagen zum promotionell guten Ton gehört, ein „Ich auch!“ hinterherzutwittern, weil das im Gespräch hält.

Die Art, wie etwa Ursula Schele, Vorsteherin einer in Kiel beheimateten Institution für „Gewaltprävention“, Heike-Melba Fendel in dieser Sendung ins Wort fiel, sie mit aggressiv-fürsorgerischer Art zu verunmöglichen suchte, war verblüffend. Es schien, als ob ein Rederecht nur hat, wer die Gebote der Erkenntnisse Frau Scheles akzeptiert: Frauen – überall und immer Opfer.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Dabei sind es gerade Stimmen wie von Fendel oder Soboczynski, die wichtig wären, um das, wofür inzwischen das Wort „Weinstein“ steht, besser zu verstehen. Mit Erklärungen zur Belanglosigkeit von Statements oder augenrollend vorgetragenen Einschüchterungen ist es ja nicht getan – sie befriedigen nur den kleinen Abwertungsimpuls des anderen in einer Debatte. Denn muss nicht tatsächlich auseinandergehalten werden, ob eine Frau Opfer eines Verbrechens wurde – einer Vergewaltigung etwa? Oder ob sie einen miesen Spruch erntete, auf den zu antworten ihr nichts Passendes einfiel? Oder sich nicht verwahren konnte gegen ein Grabschen?

Man könnte die Debatte jetzt anreichern durch das Fachpersonal aus den Polizeien und den Rechtsinstitutionen: Wie epidemisch ist denn wirklich die Rate von Gewalt gegen Frauen? Was ergeben die Ermittlungen – auch Befunde von Falschanschuldigungen? Oder ist spätestens an dieser Stelle die Gelegenheit gekommen, schärfste Missbilligung auszusprechen? Andererseits: Gab es nicht den Fall des TV-Meteorologen Jörg Kachelmann, der fälschlich der Vergewaltigung bezichtigt wurde, wie ein Gericht bestätigte – und der trotzdem im Milieu des Feminismus mit der moralischen Anklage leben muss, er sei nur mangels Beweisen freigesprochen worden – aber eigentlich doch der Täter?

Was ist mein Anteil an den Geschlechtsverhältnissen?

Die Schauspielerin Annette Frier gab am Mittwoch der Berliner Zeitung zu Protokoll: „Wir brauchen keinen Sexismus-Tüv mit zweijährlicher Hauptuntersuchung und Prüfplakette. Wenn wir über Sexismus und sexuelle Gewalt als eine besonders miese Spielart des Machtmissbrauchs sprechen, dann finde ich ein anderes Gedankenspiel interessant: Wo bin ich selbst eigentlich anfällig dafür, Macht auszuüben? Wie nutze ich als Mutter meine argumentative Überlegenheit gegenüber den eigenen Kindern aus? Wie verhalte ich mich im Beruf? Spiele ich damit, wie ich auf Männer wirke – besonders dann, wenn es ‚wichtige‘ Männer sind? Nehme ich in Besprechungen Blickkontakt vor allem zu denen auf, die etwas zu sagen haben, weil es mir auf sie ankommt, egal, ob Mann oder Frau?“

Frier, recht verstanden: Die #metoo-Geschichten sind komplizierter gewirkt als eine jede Empörung vermuten möchte. Die Bekundung der Schauspielerin hat vor allem für sich, dass sie auf jede Opferhaltung verzichtet, vielmehr sich selbst ins Spiel bringt: Was ist mein Anteil, dass die (heterosexuellen) Geschlechtsverhältnisse so sind, wie sie noch sind?

Ihre Sprechposition lädt zur Debatte ein und schließt sie gegen Unliebsame (Fendel, Soboczynski etc.) nicht ab. Sie fragt: Was ist die Macht von Frauen – und verhindert damit, dass die Frau als solche zur zartgliedrigen und chronisch wehrlosen Figur abgewertet wird. Wie gesagt: Hierbei geht es nicht um Kriminelles, um Verbrechen, um die sich die Staatsanwaltschaft zu kümmern hat. Hier geht es um den Alltag, um das, was Soboczynski „kleine Alltagsrechnungen“ nennt: Sie mögen nicht vermischt werden mit dem, was durch die Strafgesetze geahndet werden kann.

Das wäre ungefähr der Rahmen, in dem ein produktives Sprechen möglich sein könnte – seitens der Männer. Nicht wie Volker Schlöndorff, Filmregisseur, der Dustin Hoffman in Schutz nahm (Delikt: vulgäre Sprüche am Filmset). Eher von Männern, die nur dies berichten: Welche Ängste treiben sie? Welche Demütigungen (durch Männer, auch durch Frauen) ertragen sie? Wie wehren sie sich gegen die Traditionen – und was wünschen sie im Sinne eines besseren (Sex-)Lebens? Sollen sie doch erzählen, wo sie selbst übergriffig wurden, wie schon geschehen, leider viel zu oft in Büßerpose. Und Frauen könnten auch gleich berichten, welche Täterinnenfantasien sie hegen.

Sprechen lohnt sich bestimmt, vielleicht nicht immer gleich in der Zeitung, aber darüber etwa: Wie soll Sexuelles überhaupt sein? Als Vertragsverhandlungen? Wie geht dann Verführung? Wie kann Überwältigung (nicht: Vergewaltigung!) gelingen, sofern beide das wünschen? Sprecheinschränkungen oder Abwertungen von Sprechenden wegen ihrer Haltungen oder gar wegen ihres Geschlechts: wertlos, alles.

Es ist eine Erscheinung, die uns aus den Universitäten anweht: dass nur noch Betroffene von dem, was sie angeht, reden dürfen. Keine hellhäutigen Menschen über People of Colour, nicht diese über weiße Personen. Alle reden über alles – das wäre schon mal ein Fortschritt.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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17 Kommentare

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  • Die Spitze des Eisbergs: http://www.stefanmicke.de/metoo

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Wohltuend, die niedergeschriebenen Gedanken von Jan Feddersen, die mich zum Nachdenken anregen.

     

    Einen Geschlechterverbindungspreis für Annette Friers Differenziertheit. Dabei ist es doch eine Banalität, dass in jedem/r von uns Opfer und Täter ZUGLEICH stecken. Mit den Worten der legendären Ersten Allgemeinen Verunsicherung: "Das Böse ist immer und überall."

     

    Bei dem Guten bin ich mir weniger sicher.

  • Ich sehe mich nicht als Daueropfer, aber was hier unterschlagen wird ist die Tatsache, dass die Relativierer und 'ins-rechte-Licht-Rücker' (denen ein angebliches Redeverbot erteilt wird), seit Jahren dafür gesorgt haben, dass dieses Thema unter den Teppich gekehrt wurde, wo man nur konnte (nicht nur von Männern).

    Sie kamen also schon sehr lange zu Wort.

    Als Frau ist es eine Dauernormalität aufgrund des Geschlechts entweder als sexy oder belanglos eingestuft zu werden, in Bereichen, in denen es gar nicht um Sexyness geht. Und jedes Reden darüber endet in der Relativierung, dass es Schlimmeres, Grausameres und irgendwo natürlich auch größeres Unrecht gibt, man auch ein bisschen selber was dafür kann und wenn man deswegen beruflich nicht in bestimmte Bereiche vordringt, na, dann liegt es vielleicht auch an etwas anderem.

     

    Jetzt wird endlich darüber geredet und natürlich haben viele Frauen keine Lust mehr auf Relativierung. Sie sind es leid. Ich habe mir, nachdem mir diese Art von Sexismus in meiner Pubertät fast dauerhafte körperliche Schmerzen bereitet hat, damit geholfen, in bestimmte Bereiche einfach nicht mehr vordringen zu wollen, weil ich nicht kaputt gehen wollte. Deswegen bin ich aber kein Daueropfer. Es geht mir gut. Ich habe nur ebenfalls keine Lust, mir anzuhören, dass Weinstein-Opfer evtl. vielleicht auch eigene Interessen verfolgen. Ich will, dass über den echten Scheiß endlich geredet wird. Über den Machtmissbrauch. Das Kleinhalten. Nichternstnehmen. Die ständigen Übergriffe. Das Immerdoppeltsogutseinmüssen.

     

    Und dass meine Tochter diese Art von Schmerz nicht erleben muss. Und wenn doch, dass ihr zugehört wird, wenn sie es ausspricht. Und nicht jeder dahergelaufene damit durchkommt zu behaupten, sie verfolge damit doch eigene Interessen, und was, das darf man nicht sagen, gibt es etwa ein Redeverbot?

    Dass, was Sie Redeverbot nennen, ist vielmehr die Überdrüssigkeit derer, die sich diese Argumente viel zu lange anhören mussten.

    • @Maike Lala:

      Bei allem Respekt, Ihr Kommentar hat was von dem Argumentationsprinzip "Ich hab nichts gegen Ausländer, aber ...".

      "Ich sehe mich nicht als Daueropfer, aber" im folgenden Text sind Ihre einzigen Argumente Ihre Selbstpräsentation als Opfer, unter Einbeziehung Ihrer Tochter.

       

      Dabei haben weder Feddersen noch andere, die sich eine differenziertere Debatte wünschen, jemals Sexismus geleugnet oder die Erfahrung von Diskriminierung relativiert.

      Aber man muss sexuelle Gewalt (die keineswegs immer sexualisierte Gewalt ist) und Nötigung als strafrechtlich relevante Übergriffe von vermeintlichen oder tatsächlichen "Alltagsbelästigungen" wie dummen Sprüchen, allzu aufdringlichen Blicken etc. unterscheiden.

      Letztere sind Ausdruck eines Kommunikationsproblems, das auch aus einem strukturellen Machtgefälle resultiert, aber sich nicht darauf reduzieren und vor allem nicht mittels pauschaler Schuldzuweisungen lösen lässt.

      Moralismus hilft da ebenso wenig, wie Emotionalisierung ein gutes Argument ist. Stichwort Überdrüssigkeit. Redeverbote aus Überdruss bleiben Redeverbote. Und wie Feddersen darlegt, wird (z.b. von Fatma Aydemir) sehr wohl oft mit einer "Wer anders denkt als ich, soll die Fresse halten"-Rhetorik operiert. In den Talkshows zum Teil mit ausdrucksstarker Mimik und gestenreich unterstrichen. Das ist eigentlich selbstentlarvend, denn übers Maul fahren muss nur, wer es nötig hat.

      Ein gutes Argument jenseits von reinen Betroffenheitsbekundungen und aggressiven Ausfällen gegen jede auch nur zaghaft abweichende Meinung wäre der Sache dienlicher.

  • Etwas verwirrend, daß Sie zunächst von Frauen schreiben, dann aber von "Heterologik", ganz so als seien homosexuelle Frauen gar keine, bzw. als bekämen die keinen Augenaufschlag hin, mit "Schwanzgefühl" und so. Gibt es wirklich Grund zur Annahme, daß sich Homosexuelle diesem "Treiben", wie sie es nennen, geschlossen verweigern?

    • @Walter Sobchak:

      Sorry, verrutscht. War ne Frage an @Marion Pranter.

  • Sprechverbote sollte es nicht geben, klar. Ich antworte jetzt mal als ebenfalls nicht-Heterosexuelle, aber Frau, die dem Treiben der Heteros manchmal fassungslos zusieht.

    Dass Frauen in Machtzusammenhängen ihre Möglichkeiten ausreizen, ist völlig unbestritten. Augenaufschlag, intensiver Blickkontakt mit Männern, die einem beruflich etwas ermöglichen könten, auch wenn diejenige absolut nichts will von dem...

    Herr Feddersen, das ist aber keine wirkliche Macht, weil sie in der Logik befangen bleibt, dass Frauchen kurzzeitig ein Schwanzgefühl auslöst oder ein uneindeutige Versprechen zu geben scheint bei dem Herrn in der Entscheiderposition, das ihr in Einzelentscheidungen vielleicht auch kurzfristig nützt.

    Trotzdem reduziert sie sich in diesem Vorgang selbst sozusagen auf ihre Titten und konterkariert ihre eventuellen Qualifikationen.

    Das ist das Dilemma der (Hetero)frau: ich muss es über die Objektschiene versuchen, wenn meine Qualität evtl. nichts nützt.

    Und so zieht sich Frau dann den Boden unter den Füßen weg, wenn es darum geht, als komplexer Mensch mit Fähigkeiten gesehen zu werden.

    Teil der kranken Dynamik ist diese Hetero"logik".

  • Sprechverbot? Um welchen Paragraph geht's denn?

     

    Differenzierung ist nicht verkehrt. Nicht jeder Übergriff ist - juristisch betrachtet - eine Vergewaltigung, doch auch ein unerbetener Klaps auf den Po dürfte bei den meisten Betroffenen mehr hinterlassen als eine "kleine Alltagsrechnung". Das und nix anderes hat Frau Ayedemir dankbarerweise noch einmal klargestellt.

     

    Zu Ihrer Beruhigung, Herr Feddersen: das mit der "Überwältigung" klappt noch. Ich zumindest bin überwältigt von so viel Empathielosigkeit auf so engem Raum. So kann wirklich nur jemand schreiben, der Feminismus für ein "Milieu" hält.

  • 6G
    677 (Profil gelöscht)

    Ihren letzten Absatz "Männer erklären..." finde ich erklärungsbedürftig. Ich habe das so verstanden, dass unter #metoo nur Frauen schreiben und dann das passiert, was im Artikel beschrieben wird.

     

    Wo also erklären in diesem Zusammenhang Männer den Frauen die Welt?

  • Es geht wohl um etwas anderes als um ein Sprechverbot oder die Meinung, dass nur Betroffene über das entsprechende Thema reden dürften. Das wäre ja idiotisch. So könnten sich die meisten zur Mehrheit der Diskussionen gar nicht mehr äussern. Wer, welche verbale Belästigung oder welchen körperlichen Übergriff wie empfindet, ist individuell. Dafür gibt es keine allgemein gültige Befindlichkeit. Kein Betroffener oder keine Betroffene braucht eine Wertung, Belehrung oder Richtigstellung von andern, wie sie/er sich zu fühlen hat, wie sie/er sich hätte äussern sollen, wie der Vorfall einzuordnen ist. Wenn jemand sich sehr gekränkt fühlt durch einen anzüglichen Witz, ist das eben so und wenn sich eine vergewaltigte Person nicht als Opfer sehen will, ist das kommentarlos zu akzeptieren. Gerade das letztere will man ja oft vergewaltigten Frauen nicht zugestehen und diese Verweigerung geht regelmässig auch von Frauen aus. Der Ausspruch "sie hat schliesslich lebenslänglich" illustriert diese Haltung deutlich. Die Zementierung des Opferstatus - betroffen sind v.a. Kinder und Frauen - bis in den Tod durch Aussenstehende ist eben so unangebracht, wie eine Bemerkung die betroffene Person als Verharmlosung empfindet. M.E. ist ein wesentlicher Teil des Konfliktes um metoo: Männer erklären Frauen die (Frauen)-Welt. Die Reaktion der Frauen zeigt, dass das nicht ein Thema ist, bei dem sie das akzeptieren wollen. Die Reaktion der Männer zeigt, dass sie noch nicht mal bemerken, dass sie immer wieder abmühen, den Frauen die Welt zu erklären. Und übrigens: Beleidigt sein, ist immer einfacher als selbstkritisch sein.

  • "Alle reden über alles – das wäre schon mal ein Fortschritt."

    Da stimme ich zu. Und wundere mich, dass so eine Selbstverständlichkeit heute offenbar neu ausgehandelt werden muss. Mit Blick auf 51 Lebensjahre kann ich mich an offenere Gespräche zwischen den Geschlechtern erinnern. Heute muss Mann vorsichtig abwägen, ob nicht schon ein vermeintlich falscher Begriff der "Gegenseite" Anlass gibt, sich mit dem Argument gar nicht mehr auseinandersetzen zu müssen.

  • Zum angesprochenen Thema (#metoo):

    Mann und Frau waren nie weiter voneinander entfernt als heute. Warum wir uns zunehmend mehr als Gegner, denn als Partner begreifen, verstehe ich von Tag zu Tag weniger. Eine bessere Gesellschaft können wir nur gemeinsam gestalten.

     

    Zur allgemeinen Gesprächskultur:

    Es geht scheinbar darum, Recht zu haben und zu behalten, um jeden Preis. Vielleicht es zu mühsam, einander zu überzeugen; zu unerträglich, auch mal die anderslautende Haltung zu akzeptieren? Es wird der singularisierte Prototyp des Eigenbrötlers übrig bleiben. Wollen wir das? Und wer kann das wollen, weil es nützlich sein könnte?

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...wertlos, alles.

  • In einer Debatte einen Beitrag belanglos zu nennen ist kein Sprechverbot – sondern einfach ein Beitrag zur Debatte. Wenn Frauen in der Debatte um sexuelle Belästigungen darauf hinweisen, dass Männern oft die Erfahrungen dazu fehlen (weil sie eben sehr viel seltener Opfer von sexueller Belästigung sind), vielleicht sogar ein relevanter? Aydemir bezeichnet Soboczynskis Beitrag übrigens nicht als belanglos nicht weil er keine Frau ist, sondern weil ihm offenbar die Erfahrung fehlt einschätzen zu können, wie problematisch auch alltägliche sexistische "Geschmacklosigkeiten" sein können. Das kann man jedenfalls zur Debatte stellen, und das hat Aydemir gemacht.

     

    Und , wenn das als "Sprechverbot" gilt –– warum dann eigentlich nicht auch Soboczynskis eigenen Beitrag, der Beschwerden über alltägliche sexistische Sprüche als McCarthy-haft und eine Verharmlosung schwerer Straftaten bezeichnet. Das sagt er doch offenbar, weil er sich gegen solchen Beschwerden im Rahmen der #metoo Debatte ausspricht.

     

    Also: Warum die Doppelmoral? Und warum hier überhaupt von Sprechverboten sprechen? Klingt vor allem nach Click-bait.

  • In einer Debatte einen Beitrag belanglos zu nennen ist kein Sprechverbot – sondern einfach ein Beitrag zur Debatte. Wenn Frauen in der Debatte um sexuelle Belästigungen darauf hinweisen, dass Männern oft die Erfahrungen dazu fehlen (weil sie eben sehr viel seltener Opfer von sexueller Belästigung sind), vielleicht sogar ein relevanter? Aydemir bezeichnet Soboczynskis Beitrag übrigens nicht als belanglos nicht weil er keine Frau ist, sondern weil ihm offenbar die Erfahrung fehlt einschätzen zu können, wie problematisch auch alltägliche sexistische "Geschmacklosigkeiten" sein können. Das kann man jedenfalls zur Debatte stellen, und das hat Aydemir gemacht.

     

    Und , wenn das als "Sprechverbot" gilt –– warum dann eigentlich nicht auch Soboczynskis eigenen Beitrag, der Beschwerden über alltägliche sexistische Sprüche als McCarthy-haft und eine Verharmlosung schwerer Straftaten bezeichnet. Das sagt er doch offenbar, weil er sich gegen solchen Beschwerden im Rahmen der #metoo Debatte ausspricht.

     

    Also: Warum die Doppelmoral? Und warum hier überhaupt von Sprechverboten sprechen? Klingt vor allem nach Click-bait.

  • guter, sachlicher kommentar. danke,

  • Vielen Dank für diesen Kommentar. Die allgemeine Gesprächskultur ist tatsächlich ein großes Problem, nicht nur bei diesem Thema. Miteinander reden und nicht gegeneinander wäre sehr oft schon der entscheidende Schritt zur Konfliktlösung!