Bock auf Boliden

Sie bauen ihre eigenen Rennautos, lieben stinkenden Motorsport und wollen mehr Frauen in ihre Rennserie holen: Die Formula Student Ladies sind das erste derartige Frauen-Netzwerk in Deutschland. Auf Werkstattbesuch beim Team der TU Berlin

Am Prototyp: Mädels vom Formula Student Team der TU Foto: Joanna Kosowska

Von Alina Schwermer

Der Pionier ist noch nicht mehr als ein Skelett. Er versteckt sich nackt in der großen Halle auf dem Gelände an der Gustav-Meyer-Allee, auf einer kleinen Freifläche zwischen Werkzeugen, drei schief gestapelten Autoreifen und dunklen Planen. Ein robustes Fahrgestell aus schwarzen Bauteilen, das irgendwann ein Elektro-Rennwagen werden darf. Mit ihm will das Team FaSTTUBe von der TU Berlin im nächsten August in Hockenheim bei der Rennserie Formula Student brettern; dazu mit einem konventionellen Rennwagen mit Verbrennungsmotor. Dorothea Wiemann und Clara Montag, stehen neben dem Skelett. „Wir beide sind Boss“, sagt Wiemann. „Es hat nie jemand danach gefragt, was wir zwischen den Beinen haben.“

Dass zwei Frauen Teamleiterinnen für einen Boliden sind, findet in der Werkstatt wenig Beachtung, in der Statistik schon. Seit 2006 gibt es auch in Deutschland die Formula Student, eine Motorsport-Serie, bei der StudentInnen ihre Rennwagen selbst bauen und fahren. Es geht nicht nur um Geschwindigkeit wie in der Formel 1, sondern auch um Effizienz, Konstruktion, Präsentation.

Emanzipatorisch aber geht es ähnlich archaisch zu wie beim großen Bruder Formel 1: Weibliche Mitglieder gibt es kaum in den 120-km/h-Teams. Ihr Anteil wird auf zehn Prozent geschätzt. Und wenn, räumen die Motorsport-Ladies ein, dann oft in klassischen Positionen wie PR und Marketing.

„Bei Mädels mit einem guten Abi sagen die Leute: Wie wär’s denn mit Jura? Oder Medizin?“, erklärt Dorothea Wiemann. Sie selbst baut lieber Rennwagen. Und ist Mitglied bei den Formula Student Ladies, dem ersten deutsche Netzwerk für Frauen in der Rennserie.

„Wir wollen Kommunikation unter den Frauen der verschiedenen Teams hinkriegen“, sagt die Studentin Friederike Häusler. „Und mehr Frauen in die Serie holen.“ Sie war federführend bei der Gründung, wobei „federführend“ im Fall moderner Kommunikation heißt: Sie erstellten eine WhatsApp-Gruppe. Mit zehn Mitgliedern fingen die Motorsport-Ladies im Sommer 2016 an. Mittlerweile sind sie etwa 100.

Ohne stinkende Autos läuft nichts

Noch sind die Aktivitäten überschaubar: Man trifft sich einmal im Jahr beim Rennen in Hockenheim, besucht ab und an gemeinsam Autokonzerne. Vor allem quatschen sie offenbar über Motorsport. Apropos: Klingt es anders, wenn Frauen über Autos fachsimpeln? „Es kommen genau die gleichen dummen Sprüche“, sagt Wiemann. „Und dieselben Geschichten.“ „Der einzige Unterschied ist“, sagt Häusler, „dass viel mehr geredet wird.“

Die drei Motorsport-Ladies wechseln ein wenig zwischen zwei Welten. Hier die umweltbewussten Studentinnen, die über das selbst entwickelte Drag Reduction System (System zur Verminderung des Luftwiderstandes – Anm. d. Red.) dozieren und über die spannenden Zukunftsperspektiven von E-Mobilität. Und da die Autofans, die Sprüche reißen und die Formel 1 cool finden und die konventionellen Rennwagen mit ihren Abgasen. „Der Verbrenner macht auch einfach Bock“, sagt Dorothea Wiemann. Warum? Sie antwortet wie aus der Pistole: „Weil er laut ist und stinkt.“

Die Formula Student ist eine internationale Rennserie für StudentInnen. Die Teams bauen jedes Jahr einen neuen Rennwagen und nehmen damit an verschiedenen Wettbewerben teil. In Deutschland gibt es die Serie seit 2006. Sie unterteilt sich in die Formula Student Combustion für Rennwagen mit Verbrennungsmotor und die Formula Student Electric für E-Rennautos.

Die Formula Student Ladies sind ein Zusammenschluss von Frauen in der Rennserie. Die Gruppe ist teamübergreifend und will Kommunikation zwischen den Frauen fördern und mehr Studentinnen in den Motorsport holen. Das Netzwerk existiert seit 2016 und hat rund 100 Mitglieder.

Das Team FaSTTUBe ist das Formula Student Team der TU Berlin und besteht seit 2005. 40 StudentInnen bauen am Rennwagen und treten damit bei mehreren Events jährlich an. Größter Erfolg: Vvierter Platz in Hockenheim 2017. (asc)

Gelächter. Nur noch E-Rennautos bauen, nee, darauf haben sie keine Lust. Und das neue E-Auto sei ja eine angemessene Wiedergutmachung für die Umweltsünden. Die drei Konstrukteurinnen haben über die Zusammenarbeit untereinander Harmonie entwickelt. Ein Jahr arbeiten sie an jedem Rennauto, bevor es in den Wettbewerb geht. Ein halbes Jahr Bauzeit, ein halbes Jahr Testfahren. Im letzten August erreichten sie in Hockenheim den vierten Platz. Es war ihr größter Erfolg.

„Wir bauen auf dem Wissen auf, das wir in den letzten Jahren gesammelt haben“, sagt Dorothea Wiemann. 120 Stundenkilometer schnell wurde ihr letzter Rennwagen – mehr lohne sich nicht, dafür sei die Strecke nicht konzipiert. Die Formula Student soll risikoärmer sein als die Formel 1; belohnt werden soll Konstruktion, nicht die Mannschaft mit dem besten Fahrer. Unterschiedliche Voraussetzungen aber gibt es trotzdem. Clara Montag, Teamleiterin des Rennwagens mit Verbrennungsmotor, schaut ein wenig neidisch auf die Teams aus dem Süden, aus Karlsruhe oder Stuttgart.

Da unten sitzen die zahlungskräftigen Sponsoren. In Berlin gibt es nicht so viele. „Man erfährt viele Absagen“, sagt Montag. „In den letzten Jahren ist es noch schwieriger geworden.“ Auch dieses Jahr suchen sie noch Sponsoren.

Ein Rennauto zu bauen ist nicht billig: 40.000 Euro etwa gab FaSTTUBe für den letzten Wagen aus; das E-Auto werde noch teurer, weil der Markt noch nicht so groß ist. Schließe man die Sachspenden mit ein, so Montag, liege der Wert eines Rennwagens im sechsstelligen Bereich. Und weil man in der Formula Student nicht zwei Mal mit demselben Auto antreten darf, müssen sie eben jedes Jahr ein neues bauen.

Sexismus kommt von außen

Missen aber wollen sie die Herausforderung des Skeletts nicht. Und nebenbei die Formula Student Ladies ausbauen. Sie sind mittlerweile international geworden. Sie überlegen, an Schulen zu gehen und für ihre Leidenschaft zu werben. In die Außenwelt, die ihnen archaischer vorkommt als ihr Biotop in der Werkstatt.

Emanzipatorisch geht es ähnlich zu wie beim großen Bruder Formel 1

„Ich habe viel weniger Sexismus oder Respektlosigkeit innerhalb der Branche erlebt als außerhalb“, erzählt Wiemann. „Innerhalb leisten die Frauen selbstverständlich denselben Beitrag. Außerhalb ist es eher so: Was? Du studierst E-Technik? Da kann ich dir aber viel mehr erzählen, ich bin nämlich ein Kerl, auch wenn ich nur Sozialwissenschaften studiert habe.“ Das scheint sie eher zu amüsieren.

Auf dem Weg zum Motorsport-Team haben die Männer aber offenkundig trotzdem weiter einen Vorteil. Clara Montag etwa zögerte vor dem Maschinenbau-Studium. Wäre das wirklich was für sie? „Ich hatte persönlich vorher nicht so viel mit Autos zu tun. Ich habe mich dafür interessiert, aber es ist nicht so, als hätte ich alle möglichen Magazine gewälzt. Vielen Frauen ist die Hürde zu hoch.“

Doch letztlich, befinden die drei Formula Student Ladies, helfe Vorwissen gar nicht wirklich weiter. „Es ist egal, ob jemand alle Automarken kennt“, sagt Wiemann. „Denn keiner weiß, wie man so ein Rennauto wirklich baut.“ Das lernt man erst in der Werkstatt.

Und das läuft nicht immer reibungslos: Der letzte Versuch, ein E-Auto zu bauen, scheiterte an Streit und Eifersüchteleien im Team. Im nächsten Jahr wollen sie endlich ihre Premiere mit E-Auto feiern. Und am liebsten zum ersten Mal auf dem Podest landen.