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Urteile der Abschreckung

Politische Justiz oder normales Strafrecht? Die Urteile gegen G20-Gegner, die unfriedlich demonstrierten, fielen durch die Bank hart aus. Doch was steckt dahinter: er Bürgermeister, neue Gesetze oder das Ziel der Einschüchterung?

Von Marco Carini

Ein knappes Dutzend Urteile sind mittlerweile bei den G20-Prozessen in Hamburg gefallen. Die Angeklagten sollen während des Gipfels unfriedlich demonstriert oder Gegenstände bei sich getragen haben, die auch als Waffen hätten eingesetzt werden können. Die Vorwürfe sind immer dieselben: Landfriedensbruch oder schwerer Landfriedensbruch und Widerstand gegen oder Angriffe auf Vollstreckungsbeamte.

In allen Verfahren wurden Haftstrafen ausgesprochen, die mal zur Bewährung ausgesetzt wurden, meist aber nicht. Dabei war die Mehrzahl der Angeklagten nicht vorbestraft und zumeist hatten die Wurfgeschosse ihr Ziel verfehlt, sofern sie überhaupt gezielt geschleudert worden waren. Verletzungen trug keiner der gepanzerten Polizisten davon. In einigen Urteilen – auch das ist ungewöhnlich – gingen die RichterInnen noch über die Strafforderungen der Staatsanwaltschaft hinaus.

Die Urteile haben – in ihrer Breite – eine neue Qualität. Bislang wurden bei Flaschenwürfen etwa nach Autonomen-Demos rund um den 1. Mai fast immer Geldstrafen per Strafbefehl verhängt, sagte einer der G20-Verteidiger. Nur in Ausnahmefällen hätten Gerichte auch einmal mehrmonatige Haftstrafen auf Bewährung verhängt. Ganz ähnlich sah das der Hamburger Amtsrichter Johann Krieten, als er im ersten der G20-Prozesse einen 21-jährigen, nicht vorbestraften Niederländer zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monate ohne Bewährung verurteilte: „Es hat in der Vergangenheit häufig überaus milde Urteile für Straftäter gegeben, die Gewalt gegen Polizisten verübten“, sagt er bei der Urteilsbegründung Ende August.

„Schon dass Personen für solche Delikte in Hamburg in Untersuchungshaft kommen, ist in den vergangenen 20 Jahren nicht vorgekommen“, sagt Anwalt Matthias Wisbar, der einige der Angeklagten vertritt. Er spricht von einer „völlig neuen Dimension“. Bei der Strafzumessung spiele nun das „Nachtatverhalten“ eine entscheidende Rolle: Nur wer gesteht und überzeugend bereut, hat bislang die Chance, zumindest mit einem Bewährungsurteil davonzukommen.

Dabei seien auch die auf Bewährung ausgesetzten Strafen „harte Verurteilungen“, so Wisbar. Doch der Strafrahmen habe sich inzwischen so weit verschoben, dass sie in der Öffentlichkeit bereits als „milde Schuldsprüche“ wahrgenommen würden. Die neue, harte Linie erscheint durchgängig: „Es gibt eine Räson, der anscheinend alle RichterInnen folgen.“

Grenze überschritten

Der Verdacht liegt nahe, dass es sich hier um politische Justiz handelt: Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte direkt nach dem Gipfel vor der Bürgerschaft seinen Wunsch formuliert, dass die gefassten Gewalttäter „mit sehr hohen Strafen“ rechnen müssten. Mit dieser Wortmeldung überschritt Scholz eine Grenze, nach der sich in demokratischen Staaten die Politik niemals in die Rechtspraxis einmischen darf. „Das hat mit Gewaltenteilung nichts mehr zu tun“, sagt Wisbar. Sowohl die Richterschaft wie auch Justizsenator Till Steffen (Grüne) hatten sich über den so wegweisenden wie übergriffigen Fingerzeig des Landesvaters stark befremdet gezeigt.

In ihren Urteilsbegründungen sahen sich die G20-RichterInnen fortan mehrfach genötigt, sich gegen den Vorwurf zu verwahren, als tumbe Erfüllungsgehilfen die Forderungen des Bürgermeisters umzusetzen. Die Justiz dürfe den „törichten Forderungen aus der Politik nicht folgen“, wies etwa auch Richter Krieten die Vorgaben des Landesvaters zurück. Gerichtssprecher Kai Wantzen schlug in dieselbe Kerbe: „Die Gerichte sind kein Spielball der Politik und entscheiden allein nach Recht und Gesetz.“

Dieses, darauf verwies Krieten in seiner Urteilsbegründung, habe sich vor dem G20-Gipfel in einem entscheidenden Punkt verändert: Ende Mai hatte der Bundestag eine Gesetzesnovelle beschlossen, die Strafen für Tätlichkeiten gegen Vollstreckungsbeamte (§ 114 StGB) erhöht und den (schweren) Landfriedensbruch-Paragrafen (§ 125 StGB) verschärft. Kern der Novelle: Widerstand gegen oder Angriffe auf Polizeibeamte sollen in Zukunft mit einer Bewährungsstrafe von mindestens einem halben Jahr geahndet werden, minderschwere Fälle mit geringerem Strafmaß sind nicht mehr vorgesehen.

Doch die Heraufsetzung der Mindeststrafen allein kann die verhängten hohen Haftstrafen kaum erklären. Dafür fällt etwas anderes auf: In den Urteilsbegründungen der meisten RichterInnen nimmt der generalpräventive Aspekt des gerade ergangenen Urteils, also die Abschreckung anderer von der Begehung gleichartiger Straftaten, einen breiten Raum ein.

Politik per Gericht

„Polizisten sind kein Freiwild für die Spaßgesellschaft oder für erlebnisorientierte Gewalttäter“, befand etwa Richter Krieten. Dabei erging sich der Jurist während der Urteilsverkündung immer stärker in allgemeinpolitischen Einschätzungen und entfernte sich immer mehr von dem konkreten Fall, den entlastenden und belastenden Gesichtspunkten. „Krieten (…) hat ein Urteil über die gewalttätigen Ausschreitungen und die Randalierer insgesamt gesprochen und dabei auch den Angeklagten eingeschlossen. Was ist das, wenn nicht Politik?“, kommentierte die Zeit.

„Generalprävention ist Teil jeder Strafzumessung, wenn sie darüber hinaus noch zu einen Extra-Aufschlag führt, muss das besonders begründet sein – etwa durch eine bewiesene Zunahme bestimmter Straftaten“, stellt Anwalt Wisbar klar. Die aber gäbe es bei den hier geahndeten Straftaten nicht. Anwalt Jonathan Burmeister, der einen anderen Verurteilten vertrat, drückt es so aus: „Die Urteile dienen im besonderen Maße der Abschreckung.“

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