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Auf über 40 Prozent kam die AfD in einem Wahllokal in Billbrook bei der Bundestagswahl. Eine Spurensuche

Von Marthe Ruddat

Tonnenschwere LKWs donnern die Straße entlang. Fußgänger sind hier nicht unterwegs. Auf dem schmalen, sandigen Gehweg bekämen sie schnell dreckige Schuhe. Hinter dichten Hecken verstecken sich ein paar kleine Häuser. Sie wirken fast verloren, umgeben von Industrieschornsteinen und Produktionshallen. Manche Eingangspforten am Unteren Landweg warnen Besucher – vorm bissigen, wachsamen oder tauben Hund.

Nach der Bundestagswahl vergangene Woche erlangte der Stadtteil Billbrook fragwürdige Aufmerksamkeit. „Auch Hamburg hat sein AfD-Dorf“ titelte beispielsweise die Hamburger Bild-Zeitung. Im Südosten Hamburgs, im Wahllokal 13103, erreichte die Alternative für Deutschland (AfD) ihr bestes Wahlergebnis in der ganzen Stadt: 41 Prozent stimmten für die Rechtspopulisten. Briefwähler*Innen sind bei der Zahl nicht berücksichtigt.

Zum Vergleich: Im Hamburger Gesamtergebnis kam die AfD auf 7,8 Prozent. Bei den Bundestagswahlen 2013 erhielt sie im gleichen Bezirk 17,8 Prozent. Was hat sich also seitdem geändert? Was läuft hier anders? Fühlen sich die Menschen abgehängt? Sind sie schlicht gegen Fremde?

„Nein, es herrscht hier wirklich keine ausländerfeindliche Stimmung“, sagt Barbara S. Sie trägt eine weiße Bluse, die Haare zu Zöpfen gebunden. Ein Stück weiter die Straße runter, an der S-Bahn-Station Billwerder-Moorfleet, betreibt sie ein kleines Geschäft, verkauft hauptsächlich Kaffee, Zigaretten und Bier. Früher hat sie in Eimsbüttel gewohnt. Seit drei Jahren steht die 52-Jährige nun jeden Tag hinter der Theke, von 6 Uhr morgens bis 8 Uhr abends, manchmal auch länger.

Barbara S. ist in Hamburg geboren, hat aber einen griechischen Pass. „Ich hätte gerne gewählt“, sagt sie. „Wen, ist ein Geheimnis. Aber bestimmt nicht die AfD.“ Von der Partei halte sie nicht viel. „Ich würde manche von denen gerne mal fragen, wohin sie denn in den Urlaub fahren.“

Es wirkt, als wäre vergessen worden, dass hier auch noch Menschen wohnen

Barbara S. kennt viele ihrer Kund*Innen gut, hält oft einen kleinen Schnack. Vor allem Arbeiter*Innen aus dem Industriegebiet und Anwohner*Innen kaufen bei ihr ein. Dass er die AfD gewählt habe, wisse sie nur von einem Mann, erzählt Barbara S. Er wohne hier in der Gegend. „Das Schlimmste ist, dass er nicht einmal wusste, was die eigentlich machen. Er wollte sich erst nach der Wahl darüber informieren.“

Er habe das aus Trotz getan, die Flüchtlingspolitik habe ihm nicht gepasst, sagt die Verkäuferin. Das gehe tatsächlich einigen Anwohner*Innen so. In der Umgebung seien viele Flüchtlingsunterkünfte eingerichtet worden. In Billbrook sind aktuell drei Unterkünfte bewohnt – in der Berzeliusstraße und am Billbrookdeich. Auch in den angrenzenden Stadtteilen sind Geflüchtete untergebracht.

Es habe einige Polizeieinsätze gegeben, sagt Barbara S. Die Leute erzählten, dass die Kriminalität gestiegen sei. Ob das wirklich stimmt, wisse sie aber nicht. Im Vergleich zum Vorjahr ist 2016 laut polizeilicher Kriminalstatistik die Zahl der Straftaten in Billbrook leicht gesunken.

Barbara S. hat selbst kein Problem mit den neuen Mitbürger*Innen. „Es war richtig, Flüchtlinge hier aufzunehmen“, sagt sie. „Dass da auch mal welche durchrutschen, war doch klar. Das war früher auch so, das ist doch nichts Neues.“ Auch den AfD-Wähler hat sie zu überzeugen versucht: „Ich habe ihn gefragt: Wenn Du flüchten müsstest, weil in Deiner Heimat Krieg ist. Würdest Du dann nicht auch an einem sicheren Ort leben wollen?“ Die müssten ja aber nicht alle hier her, sei die Antwort gewesen. „So ein Blödsinn“, sagt Barbara und zieht an ihrer Zigarette.

Auch im Sandwisch ist eine Unterkunft für Geflüchtete. Sie gehört offiziell zum Stadtteil Moorfleet, ist aber nur wenige Meter von dem Wahllokal entfernt, in dem 41 Prozent für die AfD stimmten. 100 Menschen haben hier ein vorübergehendes Zuhause. Sie kommen aus den verschiedensten Nationen. Aber auch obdachlose Deutsche kommen hier unter.

An diesem Donnerstagnachmittag ist es ruhig in der Wohn­unterkunft. Auf dem großen Hof sitzt eine Familie, unterhält sich, spielt. Eva Fuchs ist hier die Teamleiterin und kennt auch die anderen Unterkünfte in der Umgebung gut. Sie ist überrascht vom Billbrooker Wahlergebnis: „Wir haben eher wenig Kontakt mit den Nachbarn. Und wenn, dann ist er stets positiv.“ Offene Konflikte gebe es nicht.

Als die Unterkunft vor etwa drei Jahren eröffnet wurde, richteten Anwohner*Innen sogar eine Kleiderkammer für die Bewohner*Innen ein. Die gibt es heute nicht mehr. Es werden aber noch regelmäßig runde Tische organisiert, zu denen auch immer wieder ein paar Nachbar*Innen kommen. „Wir wussten zwar von Anfang an, dass wir nicht sonderlich beliebt sind. In den größeren Unterkünften war die Ablehnung aber deutlich mehr zu spüren als hier“, sagt Fuchs. „Man fühlt sich dadurch natürlich nicht besser.“ Sie mache sich jetzt anders Gedanken darüber, wie die Bewohner*Innen geschützt seien.

Gunnar P. hat die Grünen gewählt. „Ich bin einer von drei“, erzählt der Mann lachend. Der 54-Jährige geht in der Andreas-Meyer-Straße mit seiner Hündin spazieren. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität. Seine Stimme hat Gunnar P. am Wahlsonntag im Wahllokal 13103 im Sandwisch abgegeben. „Ich bin wirklich überrascht“, sagt er über das Wahlergebnis. „Hier wohnen doch so viele Arbeiter*Innen und Menschen mit Migrationshintergrund.“ Den Eindruck, dass es hier viel Fremdenfeindlichkeit gibt, habe er nicht.

Tatsächlich haben in Billbrook mehr als 80 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund. Im Wahlbezirk 13103 waren nur 138 Menschen wahlberechtigt. Die Wahlbeteiligung lag bei 45,7 Prozent, nur 63 Menschen gaben hier überhaupt ihre Stimme ab. 25 davon machten ihr Kreuz bei der AfD – 41 Prozent. Zweitstärkste Kraft wurde die SPD mit 19 Stimmen und 31,1 Prozent. Verschwindend geringe Zahlen, bei fast 1,3 Millionen Wahlberechtigten in Hamburg. Und genau das macht es so schwer, Erklärungen vor Ort zu finden.

„Es lebt sich hier doch nicht verkehrt“, sagt Barbara S. Ihre Kund*Innen erzählen aber auch von Zeiten, in denen in Billbrook mehr los war. „Früher war in meinem Laden mal ein Edeka“, sagt sie. Es gab eine Apotheke, einen Schlachter, eine Post. „Heute ist nur noch der Briefkasten geblieben“, sagt die 52-Jährige. Im gesamten Stadtteil gibt es keinen niedergelassenen Arzt, keinen Zahnarzt, keine Apotheke. Manchmal wirkt es, als wäre vergessen worden, dass zwischen Möbelmarkt, Kraftwerk und Industrieanlagen auch noch Menschen wohnen.

Nur FDP und SPD haben sich offenbar die Mühe gemacht, wenigstens ein Wahlplakat aufzuhängen – nebeneinander auf einer großen Plakatwand an der Autobahnausfahrt Moorfleet. Dass die AfD in Billbrook gezielt für ihr Programm geworben hat, ist in der Woche nach den Wahlen nicht mehr sichtbar. Werbung der Rechtspopulisten findet sich in keiner der langen Straßen des Wahlbezirks. Erfolgreich waren sie hier trotzdem.

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