: Der Staat liest mit
ÜBERWACHUNG Bundesinnenminister Thomas de Maizière besucht in München die neue Entschlüsselungswerkstatt des Bunds, „Zitis“. Die ist aber schon jetzt umstritten
Aus München Konrad Litschko
„Wir sind blind“, beklagen Ermittler oft, wenn Verdächtige verschlüsselt kommunizieren, etwa via WhatsApp oder Telegram. Nun soll eine neue Bundesbehörde Abhilfe schaffen: die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (Zitis) in München. Werkzeuge, um Verschlüsselung zu knacken, sollen hier entwickelt werden. Die Behörde ist allerdings schon jetzt umstritten.
Am Donnerstagnachmittag reiste eigens Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in die Zentralstelle nach München, um das Projekt zu inspizieren. „Wir leben im digitalen Zeitalter, und in diesem müssen die Sicherheitsbehörden mit der Entwicklung Schritt halten“, sagte er und wies auf die zunehmende Nutzung neuer Kommunikationsformen durch Straftäter hin. „Um diese Herausforderung erfolgreich zu bewältigen, ist Zitis die richtige Antwort.“
Eingerichtet wurde die Zentralstelle schon zu Jahresbeginn, als Unterbehörde des Bundesinnenministeriums. Bis zu 400 Experten sollen hier für Polizei und Verfassungsschutz Techniken zur Entschlüsselung von Chats und zur Überwachung von Massendaten austüfteln. Selbst anwenden darf Zitis die Instrumente nicht – das bleibt den Sicherheitsbehörden überlassen. Anführen wird die Stelle ein früherer BND-Mann: Wilfried Karl.
Zitis: Die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich ist seit Jahresbeginn Bundesbehörde. 400 Experten sollen hier für Polizei und Geheimdienste Entschlüsseln. Bisher hat die Behörde allerdings nur 17 Mitarbeiter gefunden.
Wahlkampf:Union und SPD gehen mit der Forderung nach „mehr Sicherheit“ auf Stimmenfang. Dabei wurden in den letzten vier Jahren die Sicherheitsmaßnahmen ausgeweitet wie lange nicht. In Berlin wird Gesichtserkennung bei Videoüberwachung erprobt, seit Juli darf der sogenannte Staatstrojaner eingesetzt werden, und ab nächstem Jahr sollen Fluggastdaten flächendeckend gespeichert werden – die Liste ist unvollständig. Mehr auf taz.de
Das Problem: Die Expertenakquise stockt beträchtlich. Bisher hat Zitis laut Bundesinnenministerium statt 400 nur 17 Mitarbeiter gefunden. Die Personalsuche laufe aber „auf allen Ebenen“, versichert ein Sprecher. Sowohl in den Bundes- und Landesverwaltungen als auch extern werde nach Experten gesucht. Letztere suchen sich ihre Jobs aber offenbar lieber in der freien – und meist besser bezahlten – Wirtschaft.
Dass der Bund nun selbst zum Hacker wird, löst allerdings grundsätzliche Kritik aus. „Zitis ist ein Frontalangriff auf die Integrität und Vertraulichkeit digitaler Kommunikation“, schimpft der grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz. Anstatt die letzten geschützten Räume im Netz vom Staat zu „infiltrieren“, brauche es im Gegenteil „eine massive Aufrüstung von Verschlüsselungsmöglichkeiten“, fordert der Fraktionsvize.
Auch für Reporter ohne Grenzen ist die Behörde ein „Paradigmenwechsel“: „Weil der Staat erstmals systematisch Kommunikation und Endgeräte angreifen wird.“ Zwangsläufig würden davon auch Journalisten betroffen sein, die mit Informanten kommunizierten.
De Maizière weist die Kritik zurück. Die Sicherheitsbehörden könnten die Digitalisierung nicht ignorieren. „Auch online kann es keine Freiheit geben, wenn Sicherheit nicht gewährleistet ist“, so der CDU-Mann. Die Behörden bräuchten deshalb im Internet die gleichen Befugnisse wie sonst auch.
Thomas de Maizière
Ob Zitis dabei gesetzlich gedeckt ist, bleibt vorerst offen. Die Bundesdatenschutzbeauftragte, Andrea Voßhoff, beklagt bereits, bisher in das Projekt nicht eingebunden worden zu sein. Eine Bewertung könne sie deshalb noch nicht vorlegen.
Jedenfalls aber reiht sich Zitis in eine ganze Reihe weiterer Überwachungsmaßnahmen ein, welche die Bundesregierung in der jüngsten Legislaturperiode auf den Weg brachte: Staatstrojaner, Onlinedurchsuchung, Vorratsdaten- und Fluggastdatenspeicherung sowie zuletzt der Testlauf zur automatisierten Gesichtserkennung via Kameras am Berliner Bahnhof Südkreuz.
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