: „Wir wollen uns nicht mehr verstecken“
Daca Rund 800.000 jungen Einwanderern droht nach einer umstrittenen Entscheidung der US-Regierung der Verlust der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Die Betroffenen fürchten nun um ihre Existenz
Aus New York Dorothea Hahn (Text und Fotos)
Paola Soria hat bis zuletzt gehofft, dass Donald Trump es ernst meinte, als er herausposaunte: „Ich liebe die Dreamer. Sie sind wunderbar“. Aber jetzt hat sie die Gewissheit, dass er ein Lügner ist. Während der Justizminister das sofortige Ende der Aufenthaltsgenehmigungen für junge Einwanderer, die als Kinder ohne Papiere ins Land gekommen waren, verkündet, drängt sich die 20-jährige Biologiestudentin dicht an ihre Freundin. Die hält ein Handy zwischen ihre beiden Köpfe. Gemeinsam lauschen sie der Erklärung, die ihre Träume ruiniert.
Die beiden jungen Frauen sind „Dreamer“. Um bei der Verkündung der erwarteten Hiobsbotschaft nicht allein zu sein, kamen sie am Dienstagmorgen zu der vergoldeten Sherman-Reiterstatue am Rand des Central Park, zwei Blocks von Trumps Wolkenkratzer entfernt. Bevor der alte Mann im Justizministerium spricht, treten im Park junge Leute aus vielen Ländern des amerikanischen Kontinents ans Mikrofon. Sie haben Jahre mit Bangen und Hoffen verbracht, zwischen der Angst vor Abschiebung in ein Land, das sie nicht kennen, und der Hoffnung auf den „amerikanischen Traum“ – daher auch die Bezeichnung „Dreamer“.
2012 gab ihnen Barack Obama die Hoffnung auf eine legale Existenz in den USA. Nachdem im Kongress wieder einmal eine Einwanderungsreform gescheitert war, erließ der damalige Präsident im Alleingang per Dekret ein Aufenthaltsrecht für junge Leute, die als Kinder „illegal“ ins Land gekommen waren. Er verstand die „verschobene Aktion für Ankünfte im Kindesalter“ (Daca) als Übergangslösung, bis der Kongress handlungsfähig werden würde. Und er befristete die Genehmigungen auf jeweils zwei Jahre; danach müssen die Anträge erneut gestellt werden. Rund 800.000 jungen Einwanderern droht nun der Verlust des Daca. „Diese jungen Leute ins Visier zu nehmen ist falsch, weil sie sich nichts haben zuschulden kommen lassen“, schrieb Obama am Dienstag auf Facebook.
Paola Soria ist eine typische Vertreterin dieser gebildeten, ambitionierten Generation. Sie will Kinderärztin werden. Doch an diesem Tag steht sie unter dem Schock der Erklärung aus Washington. Sie ist so deprimiert, dass sie selbst das berufliche Ziel korrigiert, auf das sie hingearbeitet hat: „Ich wollte Kinderärztin werden. Wer weiß, ob das jetzt noch möglich ist.“
Statt Trump verkündet Justizminister Jeff Sessions die beschlossene Beendigung von Daca. Ab sofort kann keiner, der bei der papierlosen Ankunft in den USA jünger als 16 war, mehr einen Antrag auf ein neues Daca stellen. Und jene, die bereits ein Daca haben, wissen, dass sie in längstens zwei Jahren jederzeit abgeschoben werden können.
Die jungen Leute, die sich am Fuß der Reiterstatue versammelt haben, kennen das Leben ohne Aufenthaltsgenehmigung. Ohne durften sie nicht legal arbeiten, durften keinen Führerschein machen und die Universitäten blieben ihnen verschlossen oder verlangten von ihnen höhere Studiengebühren für „Auswärtige“, die für sie unerschwinglich waren. Nun stellt sich Paola Soria auf weitere Tiefschläge ein: „Dies ist ein neues, gigantisches Hindernis auf meinem Weg.“ Sie ist in die USA gekommen, als sie vier Jahre alt war, das Land ihrer Vorfahren, kennt sie nicht. Und obwohl der Justizminister sie als „Illegale“ bezeichnet, versteht sie selbst sich als „Amerikanerin“. Sie hat kein Wahlrecht und bislang nur wenig Erfahrungen mit politischen Aktivitäten, doch „der Kampf ist nicht zu Ende“, sagt sie.
Das Daca-Programm: Das von Trumps Amtsvorgänger Barack Obama per Dekret erlassene Daca räumt Hunderttausenden Kindern von illegalen Einwanderern eine Arbeitserlaubnis ein und schützt sie damit vor Abschiebung. Justizminister Jeff Sessions bezeichnet das Programm als verfassungswidrig.
Die Abwicklung: Neue Bewerbungen für das Programm werden nicht mehr akzeptiert. Bis zum 5. Oktober sollen einige der anerkannten „Dreamers“ ihre zweijährige Arbeitserlaubnis verlängern können. Bis zum Frühjahr 2018 soll der Kongress eine Lösung finden. Gelingt das nicht, werden vom Stichtag an täglich rund 1.000 Menschen ihren Schutz verlieren.
Rechte Argumente
Sofia Ruales hat zusammen mit ihrer Schwester Erica, ihrem Vetter Marlon und ihrer Freundin Dayana auf ein Handy gestarrt, während Sessions sprach. Der hat zur Begründung der Abschaffung von Daca jene Argumente genannt, mit denen rechte US-Amerikaner seit fünf Jahren dagegen protestieren. Daca sei ohne Beteiligung des Kongresses eingeführt worden und daher verfassungswidrig, sagt er. Zudem behauptet er, dass „Hunderttausende Amerikaner“ durch die „illegalen Fremden“ von ihren Arbeitsplätzen verdrängt worden seien.
Das Projekt einer Einwanderungsreform wollen er und Trump nun wieder dorthin zurückgeben, wo sämtliche vorausgegangenen Reformen gescheitert sind: in den Kongress. „Rein politische Taktik“, kommentiert die 24-Jährige Sofia Ruales die Arbeit der Kongressabgeordneten: „Ihnen geht es nicht um uns, sondern ausschließlich um die Frage, wie viele Wähler sie gewinnen oder verlieren können. Das ist einfach nur entzweiend und egoistisch.“
Am Dienstagmorgen bei der Verkündung versteckte sich Trump hinter Sessions, am Abend versteckte er sich hinter dem Kongress, indem er twitterte: „Der Kongress hat sechs Monate Zeit, Daca zu legalisieren. Sollte das nicht klappen, werde ich die Sache erneut überprüfen.“ Für die Betroffenen bedeutet das weitere Monate des Wartens und der Unsicherheit. Sofia Ruales will sich nicht mit dieser Situation abfinden. Sie kam im Alter von acht Jahren aus Ecuador in die USA. Seit sie das Daca bekam, hat sie Wirtschaftswissenschaften studiert, und eines Tages möchte sie in den Vereinten Nationen arbeiten. An diesem Tag trägt sie Transparent, auf dem eine Faust mit der Aufschrift „Unterstützt Daca“ zu sehen ist.
Landesweiter Protest
Als der Justizminister am Morgen seine Rede beendet hat, setzen sich die Demonstranten in Richtung Trump Tower in Bewegung. In Sprechchören verkünden sie, dass die USA auch ihr Land sind. Dass sie bleiben werden. Und sie verlangen, dass Trump und Pence zurücktreten. Im Gegensatz zu den meisten anderen gleichaltrigen US-Amerikanern sind sie zweisprachig und kennen mehrere Kulturen. Sie rufen ihre Slogans auf Englisch und Spanisch, und sie geben Interviews. Während sie ihren langen Aktionstag in New York beginnen, starten überall im Land ähnliche Proteste. Unter anderem gehen in Denver und in Phoenix Schulklassen auf die Straße, füllt sich in DC der Vorplatz des Weißen Hauses, und Kirchen und Universitäten organisieren Proteste.
Bei der Ankunft vor dem 58 Stockwerke hohen Trump Tower blockieren zehn junge Leute die Fünfte Avenue. Der 29-jährige Alvaro Aguilar ist einer von ihnen. Er ist mit 14 in die USA gekommen und hat seither bei jedem Wahlkampf gehört, wie Politiker neue Einwanderungsgesetze versprochen haben, die anschließend im Kongress gescheitert sind. 2012 bekam Alvaro Aguilar erstmals einen legalen Status, den er jetzt wieder verlieren soll. „Wir sind es leid“, sagt er, „wir wollen einfach nur normal leben: studieren, arbeiten und uns um unsere Familien kümmern. Die Politik respektiert uns nicht.“
Die zehn jungen Leute haben sich eine Anwaltsnummer auf ihre Unterarme notiert, bevor sie sich auf der Kreuzung der 56. Straße, auf den Asphalt sitzend, einhaken. Sie wissen, dass sie festgenommen werden können. Schon nach wenigen Minuten rücken von allen Seiten Polizisten mit Plastikhandschellen an. Von einem Lautsprecher läuft in Endlosschleife die Botschaft: „Sie befinden sich unrechtmäßig auf der Fahrbahn und behindern den Autoverkehr. Wenn Sie jetzt nicht freiwillig gehen, wird ein Verfahren wegen ordnungswidrigen Verhaltens gegen Sie eröffnet.“
Kämpfen statt Angst haben
Die jungen Demonstranten halten mit Slogans dagegen. „Keine Papiere – keine Angst“ ist einer davon. „Wir gehen nicht mehr weg“ ein anderer. Kurz bevor ein Polizist ihn fesselt und abführt, sagt Alvaro Aguilar: „Wir wollen uns nicht mehr verstecken und schweigend leiden. Wir haben keine Angst mehr.“
Inmitten von Tausenden jungen Demonstranten, die am Straßenrand hinter den von der Polizei aufgestellten Absperrgittern stehen und Slogans rufen, steht eine 58-jährige Frau. Lupita Arreola ist für diesen Tag aus Arizona eingeflogen, um in der Nähe ihrer Tochter zu sein, die jetzt in Handfesseln von der Sitzblockade abgeführt wird. Ínsgesamt werden 34 Menschen bei Sitzprotesten festgenommen.
Die Tochter ist Psychologin und hat ein Daca. Auch der Mutter, die seit 20 Jahren in den USA lebt, droht die Abschiebung nach Mexiko. Ihre Tochter winkt ihr aus der weißen Polizeiwanne zu, bevor Polizisten von außen die Hintertür verriegeln. Die Mutter winkt zurück. „Ich habe viel mehr Angst als sie“, sagt sie stolz: „Sie ist mutig und kämpferisch und sie verteidigt das, woran sie glaubt.“
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