Terrorästhetik Filmschaffende fasziniert der Topos RAF. Mehr als 50 Filme arbeiten sich an ihm ab. Für jeden Geschmack ist etwas dabei. Eine Auswahl
: Noch immer kein Abspann

H. Schrott (Andreas Klein), J. Schily (Friederike Adebach) in „Die Stille nach dem Schuss“ Foto: United Archives/picture alliance

Von Detlef Kuhlbrodt

Es gibt keinen Stoff der westdeutschen Nachkriegsgeschichte, der so oft verfilmt wurde wie die RAF: In mindestens 50 längeren Spiel- und Dokumentarfilmen wurde die Geschichte der „Stadt-Guerilla“ immer wieder erzählt. Nachdem Uli Edel den „Baader Meinhof Komplex“ (2008) von Stefan Aust verfilmt hatte, hatten manche gehofft, nun sei endlich Schluss, doch es ging weiter. Anscheinend meint jede Generation, sich aufs Neue an der RAF abarbeiten zu müssen. Ein bisschen ist es wie mit „Hamlet“ im Theater.

Bei der Fülle ist es eine Herausforderung, das Richtige für sich zu finden. Hier ein Versuch, die Fülle zu bändigen: Es wurden Prämissen – etwa ideologisch, traumatisch, trashig – gewählt, die mit persönlichem Geschmack korrespondieren, wie man so einen Stoff gern aufgearbeitet sehen will. Suchen Sie sich welche aus und folgen sie den Empfehlungen. Die meisten Filme kann man sich auf YouTube angucken.

Ideologisch

Das Fernsehspiel „Bambule“ (1970) von Eberhard Itzenplitz wurde berühmt, weil Ulrike Meinhof das Drehbuch geschrieben hatte. So durfte der Film erst ab 1994 im öffentlich-rechtlichen TV gezeigt werden.

Im schönen Schwarz-Weiß der 60er Jahre werden die autoritären Methoden der Heim­erziehung in einem Mädchenheim kritisiert. Im Verlauf der Handlung kommt es zur Revolte der Insassinnen. „Bambule“ ist nicht nur eine didaktische Parabel auf gesellschaftliche Zustände, sondern auch ein schöner Film über die emanzipatorische Funktion von Zigaretten.

Klassisch

Der Episodenfilm „Deutschland im Herbst“ (1978), an dem Fassbinder, Schlöndorff, Reitz und Kluge beteiligt waren, ist ein Klassiker. Besonders toll: die Gespräche, die Fassbinder mit seiner Mutter und seinem Freund über die RAF führt, und wie er Kokain die Toilette runterspült, weil er denkt, die Polizei stehe vor der Tür. Toll auch die Filmdokumente des Staatsakts für Schleyer und die jungen Leute in Bundeswehrparkas bei der Beerdigung von Meinhof.

Dialogisch

„Die bleierne Zeit“ von Margarethe von Trotta ist einer der bekanntesten Filme der alten BRD. Es geht um die beiden Schwestern Christiane und Gudrun Ensslin. Christiane, Mitbegründerin der Emma, besucht ihre Schwester oft im Gefängnis und formuliert die Kritik, die jeder halbwegs Vernünftige an der RAF gehabt hätte. Der Film überzeugt auch im Kleinen; in einer Szene grinst die korpulente Gefängniswärterin ganz kurz, als Christiane ihrer Schwester vorwirft: „Eine Generation zuvor wärst du BDM gewesen“. Der Titel ist einem Gedicht von Paul Celan entnommen und beschreibt eigentlich die 1950er Jahre.

Pädagogisch

Als „Stammheim“ (1986) von Reinhard Hauff bei der Berlinale den Goldenen Bären gewann, war die Jury-Präsidentin Gina Lollobrigida nicht einverstanden. Der vom Hamburger Thalia-Theater koproduzierte tolle und auch lehrreiche Film beschreibt angenehm distanziert den Ablauf des zweieinhalb Jahre dauernden Prozesses anhand von Originalprotokollen.

M. Bleibtreu (Baader), J. Wokalek (Ensslin) in „Baader Meinhof Komplex“ Foto: Constantin Film

Erinnerungsstützend

Mit 20 Millionen Euro Produktionskosten ist der „Baader Meinhof Komplex“ (2008) von Uli Edel nach dem gleichnamigen Buch von Stefan Aust eine der teuersten Produktionen der deutschen Filmgeschichte. Zweieinhalb Millionen Kinobesucher haben den actionreichen Film gesehen, der 1967 bei dem Schahbesuch in Berlin ansetzt und mit dem Tod der Stammheim-Gefangenen endet. Vor allem als Gedächtnisstütze ist der „Komplex“ gut. Immer wieder toll ist der Anfang, in dem Ulrike Meinhof als Teil der Sylter Schickeria von ihrem Mann genötigt wird, ihren konkret-Artikel gegen den Schah vorzulesen. Auf dem Nacktbadestrand sorgten Schamhaar-Perücken für eine historisch-korrekte Darstellung.

Traumatisch

Zwei Bilder von Holger Meins wurden zu Ikonen der 70er Jahre: das von seiner Festnahme und das Bild des Aufgebahrten, das nicht nur wegen der Kameraperspektive grotesk wirkt. Sein Kopf sieht aus wie der von Jesus oder Che Guevara. Am Bauch sieht man die Nähte, denn die Organe mussten rausgenommen und untersucht werden. Dieses Bild wurde von Sympathisanten mit dem Zusatz „dieser Mann erpresst den Staat“ als Poster gedruckt. In dem vielstimmigen „Starbuck“ (2001) porträtiert der Berliner Filmemacher Gerd Conradt seinen Freund, mit dem er an der Berliner Filmhochschule studiert hatte. Mit dem Film versucht Conradt, den Tod seines Freundes aufzuarbeiten.

Gegengeschnitten

Den vielfach ausgezeichneten „Blackbox BRD“ (2001) von Andres Veiel finden eigentlich alle gut. Es ist ein Doppelporträt des RAF-Terroristen der dritten Generation, Wolfgang Grams, der im Juni 1993 bei einem Zugriff der GSG9 ums Leben kam, und des Bankmanagers Alfred Herrhausen, der am 30. 11. 1989 von der RAF ermordet wurde. Viele Fragen bleiben offen.

Enttäuschend

Der posthum erschienene unvollendete Romanessay „Die Reise“ (1977) von Bernhard Vesper ist eines der wichtigsten 68er-Bücher. Vesper setzte sich darin auch mit seinem Vater, dem Nazi-Dichter Will Vesper, und seiner ehemaligen Lebensgefährtin Gudrun Ensslin auseinander. Mit Hasch und LSD versuchte er – auch an Burroughs orientiert – seine Geschichte schreibend aufzuarbeiten und nimmt sich 1971 das Leben. Markus Imhoofs Verfilmung des depressiven und drogenlastigen Romanfragments ist leider misslungen. Im Film spielen Drogen kaum eine Rolle, wohl weil sie als anstößiger gelten als der bewaffnete Kampf.

Psychologisch

J. Lampe (Juliane), B. Sukowa (Marianne) in „Die bleierne Zeit“ Foto: Filmverlag der Autoren

Der Dokumentarfilm „Die Folgen der Tat“ (2015) erzählt von den Auswirkungen, die der RAF-Mord an dem Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto im Privaten hatte. Susanne Albrecht, deren Familie mit den Pontos befreundet war, hatte die Mörder zu ihrem Opfer geführt. Ihre Schwester Julia hat zusammen mit Dagmar Gallenmüller diesen schönen, präzisen Familienfilm gemacht, der im letzten Jahr mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde.

Künstlerisch wertvoll

Genervt von den immer gleichen historischen Szenen halten viele „Die innere Sicherheit“ (2000) von Christian Petzold und Harun Farocki für den besten RAF-Film. Wie Schlöndorffs schöner Film „Die Stille nach dem Schuss“ (2000), der vom DDR-Exil einiger RAF-Aussteiger handelt, kommt auch Petzolds Film ohne historische Rückblenden aus. Es geht um Hans und Clara, die als Exterroristen im Untergrund leben und ihre 15-jährige Tochter Jeanne, die sich nach einem normalen Leben sehnt. Die Kleinfamilie flieht von Portugal nach Hamburg. Aus Sicht von Jeanne ist das Leben ihrer Eltern schwachsinnig. Am beeindruckendsten ist die Szene, in der die protestierende Tochter auf der Flucht ein Biene-Maja-Shirt anziehen muss.

Trashig

Das teils pornografische „Rasp­berry Reich“ (2004) von Bruce LaBruce ist „eine Farce über die deutschen Terroristen der 6. Generation und die homosexuelle Intifada, weit jenseits von allem […], was mit politischer, moralischer und sexueller Korrektheit zu tun hat“, wie Georg Seeßlen in der Zeitschrift epd Film völlig richtig befand.