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Tristesse Leere Häuser, viele Arbeitslose: Bremerhaven ist eine krisengeplagte Stadt. Einige stemmen sich gegen den NiedergangBrownies gegen den Verfall

Aus Bremerhaven Lena Kaiser

Ein Stück New York Cheese Cake zum Mitnehmen. Was es sonst in Hamburg, Berlin oder im 60 Kilometer entfernten Bremen gibt, verkauft John Reinhardt in einer kleinen Seitenstraße von Bremerhavens Innenstadt: Brownies, Cookies und dazu Chai-Latte. Sein Laden ist ein Zeichen der Hoffnung, eine kleine Sensation in der von Arbeitslosigkeit, Abwanderung und Leerstand krisengeplagten Stadt.

Vor der Tür zeugen ein paar Seehunde aus Bronze von der Nähe zum Meer. Wenige Schritte weiter beginnt die Fußgängerzone, doch Laufkundschaft gibt es hier kaum. Denn an diesem Ende der Bremerhavener Innenstadt stehen viele Läden leer, seitdem eine Shoppingmall zwischen dem alten Zentrum und der Weserpromenade gebaut wurde.

John Reinhardt ist in den 1990er Jahren aus den USA nach Bremerhaven gekommen. Er hat in Kalifornien Internationale Beziehungen studiert und als Broker gearbeitet. Jetzt will er mit seinen Süßigkeiten etwas Glanz nach Bremerhaven zurückbringen.

Seit ihrer Gründung in den 1830er Jahren entwickelte sie sich zu einem der bedeutendsten Auswandererhäfen Europas. Auch Reinhardts Eltern brachen von hier in die Neue Welt auf. Reinhardt kam mit ihnen als Zehnjähriger für eine Zeit zurück. In seinen Erinnerungen war Bremerhaven damals schrecklich und grau. „Eine Stadt, wie man sie aus dem Osten kennt“, sagt er. Der Fischgeruch sei noch dominanter gewesen als heute.

Anfang der 90er Jahre hatten die US-Streitkräfte in Bremerhaven noch einen Stützpunkt. Die Stadt war aufgeblüht, ein bisschen wenigstens. Die GIs brachten Geld, Jazzclubs, Restaurants, Diskotheken. Läden, die nach dem Abzug 1993 dichtmachten. In Bremerhaven denkt man wehmütig an die Zeit der Army-Stationierung zurück.

In seinem Laden hat John Reinhardt improvisiert. Den Tresen hat er mit einem Freund gezimmert. Die Vitrine, in der er die Cookies und Cupcakes anpreist, ist ein umgedrehtes Ikea-Regal mit Plexiglasscheiben. Eine US-Flagge, mehrere Miniatur-Freiheitsstatuen, jede Menge Ami-Souvenirs. Reinhardt, 55 Jahre alt, breite Schultern, gefällt sich selbst darin, der Amerikaner zu sein, mit rot-kariertem Hemd, Blue Jeans, Boots und Wollmütze mit New-York-Schriftzug ist er beinahe ein wandelndes Klischee.

Zwei Männer betreten den 10 Quadratmeter kleinen Laden. Sie bestellen ein paar Cookies auf Englisch. Die beiden, Bärte, Wollmützen, dunkle Hosen und Jacken, sind Seeleute von den Fidschi-Inseln und gerade auf Landgang in der Stadt unterwegs. Sie kaufen Kekse, machen ein paar Sprüche und verschwinden wieder.

Bis heute legen in den Docks, ein paar hundert Meter von Reinhardts Laden entfernt, die Containerschiffe an. Doch die Mannschaften aus aller Welt haben fast nie die Zeit, den Hafen überhaupt zu verlassen, bevor es weitergeht. Nur noch selten gehen die Matrosen an Land, das Entladen der Container wurde rationalisiert. Menschen sieht man heute wenige im Hafen. Maschinen haben ihre Arbeit übernommen. Wirtschaftliche Effizienz, die Hafenstädten zu schaffen macht.

Vergangenes Jahr hat Reinhardt das Deutsch-Amerikanische Freundschaftsfest am 4. Juli auf dem Phillips Field, einem Sportplatz in Bremerhaven-Lehe, wiederaufleben lassen.

„Die Leute sind es gewöhnt, dass Kamerateams rumlaufen und nach Müll suchen“

Moritz Schmeckies will mit einem Künstlerhaus den Ruf des Stadtteils Lehe aufpolieren

Armenhaus des Westens

Lehe, das ist der an die Innenstadt angrenzende Stadtteil, von dem seit Jahren ein Schreckensbild gezeichnet wird. Seit den 1990er Jahren gilt Bremerhaven als Armenhaus des Westens und das zentrale Gründerzeit-Viertel, in dem ganze Häuserzeilen leer stehen, als Sinnbild für den Niedergang.

Noch in den 1970er Jahren arbeiteten 70 Prozent der Bremerhavener in der Fischindustrie oder im Schiffsbau. Dann begann die Werftenkrise, Produktionsstätten verlagerten sich unter anderem nach Asien. Und auch die Hochseefischerei geriet unter Druck, durch die Ausweitung der isländischen Hoheitsgewässer, Überfischung und Meeresverschmutzung. Der Abzug der Amerikaner verstärkte den Effekt.

Die Arbeitslosenquote in Bremerhaven liegt bei etwa 14 Prozent und ist damit mehr als doppelt so hoch wie der Bundesdurchschnitt. Jährlich verlassen rund 2.000 Menschen die Stadt, es leben nur noch 108.000 Menschen hier. Auch wenn die Abwanderung in den vergangenen Jahren etwas gebremst werden konnte, ist Bremerhaven eine schrumpfende Stadt.

Und nicht nur das: Ende Februar dieses Jahres hat die Bundesregierung Bremerhaven wegen der „stark unterdurchschnittlichen Lebensverhältnisse“ zur abgehängten Region erklärt. Neben ländlichen Gebieten im Osten finden sich auf dieser Liste nur fünf Großstädte.

Wenn John Reinhardt durch Stadtteile wie Lehe geht, ist er ratlos. „Bremerhaven ist ein wirklich heißes Pflaster“, sagt er. Neulich haben sie Müll vor die Tür seines Ladens geworfen. Er wollte das nicht so stehen lassen: „Hey Jungs, könnt ihr das nicht bitte aufheben, was soll das denn?“, rief er. „Ey Alter, was willst du“, hätten sie erwidert. Und er wollte keins auf die Mütze kriegen. „Es ist manchmal schon ziemlich asozial hier“, sagt Reinhardt. Das sind Momente, in denen er froh ist, mit seiner Familie nicht in der Stadt, sondern im Speckgürtel zu wohnen. Den gibt es nämlich auch.

Auch Moritz Schmeckies will dem schlechten Image von Lehe etwas entgegensetzen. Er ist ebenfalls nach Bremerhaven zurückgekommen. Schmeckies, 35 Jahre, schlank, anrasierte blonde Haare, verließ wie so viele nach dem Abitur die Stadt. In Göttingen und Leipzig studierte er Philosophie und Ethnologie und interessierte sich für Stadtentwicklung.

Nun, 16 Jahre später, sitzt er in einem besprühten Container in der Goethestraße im Herzen Lehes auf einem Stuhl aus Gummireifen und Fahrradschläuchen und erzählt von seinen Plänen. Er will Künstler und Kreative hierher locken. Ein Filmemacher, ein Grafikdesigner und Musiker, alle unter einem Dach. Damit das klappt, hat die städtische Wohnungsgesellschaft ihm ein Mehrfamilienhaus zur Verfügung gestellt.

Noch läuft die Sanierung. Wenn die fertig ist, soll es in den ersten Etagen Werkstätten und einen Co-Workingspace geben, die Bremerhavener Wirtschaftsförderung stellt sogar einen 3D-Drucker. Und oben sollen Menschen wohnen können. Junge Kreative, die dem Stadtviertel ein neues Gesicht verleihen sollen. Schmeckies will, dass beide Seiten profitieren: Die Leute können sich hier ausprobieren, und die Stadt bekommt eine bessere Durchmischung des Stadtteils. Dafür gibt es städtische Förderung.

Von Gentrifizierung kann hier keine Rede sein, dafür fehlt der Wachstumsdruck. Viel zu viele Häuser stehen leer. „Keiner glaubt daran, dass es hier wie in Prenzlauer Berg läuft“, sagt Schmeckies. Verdrängen will er niemanden. In Lehe gehe es darum, den Stadtteil mit seinen sozialen Unterschieden zu erhalten. Kaum einer wisse, wie billig man hier wohnen kann. Für 3 bis 4 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete bekommt man eine Altbauwohnung. Dennoch pendeln viele lieber aus Bremen, als hier zu wohnen.

Viele Millionen Euro hat die Stadt in die Sanierung heruntergekommener Stadtteile investiert. Straßen gepflastert, Schrottimmobilien abgerissen, soziale Einrichtungen gebaut. Vor zehn Jahren hat die Stadt mit 300 Millionen Euro der Innenstadt neuen Glanz verliehen. Weil Bremerhaven arm ist, kam das Geld dafür vom Bund oder der EU.

In direkter Wasserlage wurden hochpreisige Eigentumswohnungen, Hotels und sogar schicke Restaurants gebaut. Doch die Rechnung, dass diese Investitionen auch auf die her­untergekommenen Stadtteile ausstrahlen könnten, ist nicht aufgegangen.

Die Suche nach Rezepten

Gerade hat die Stadt zusammen mit Kulturschaffenden eine Zukunftswerkstatt gestartet. Hier sollen Ideen entwickelt werden, wie es mit Bremerhaven wieder aufwärts gehen soll.

In anderen Städten gibt es ähnliche Projekte. Der Unterschied ist, in Bremerhaven ist man vorne mit dabei, wenn man eine Ideen umsetzen will. Nicht wie in Berlin, Hamburg und mittlerweile auch Leipzig, das bis vor einigen Jahren noch Freiräume hatte, wo eine etablierte Szene ihr Revier abgesteckt hat. „Dort muss man sich hinten anstellen“, sagt Schmeckies.

Wenn er heute durch Lehe geht, spürt Schmeckies den Aufbruch. „Es ist nicht so desolat hier, wie viele sagen“, sagt er.

Laut Schuldneratlas des Wirtschafts- und Inkassodienstleisters Creditreform ist es einer der ärmsten Stadtteile Deutschlands. Die vielen Fernseh- und Zeitungsberichte haben Spuren hinterlassen. „Niemand will, dass der Ort, in dem man lebt, in Verruf gerät. Aber die Leute sind es schon gewöhnt, dass hier Kamerateams rumlaufen und nach Müllhaufen suchen“, sagt Schmeckies.

In Zukunft finden sie vielleicht auch den Cookies-Laden von John Reinhardt und das Kreativhaus von Moritz Schmeckies.

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