piwik no script img

Kommentar Putschprozesse in der TürkeiHintergründe bleiben ungeklärt

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Im Strafverfahren wegen des Putschversuches in der Türkei geht es nicht um Aufklärung – sondern um eine neue Geschichtsschreibung.

Proteste, als der frühere Luftwaffenchef Akin Ozturk zum Gericht geführt wird Foto: imago/Depo Photos

D er in der vergangenen Woche begonnene Prozess gegen Militärs und Zivilisten ist nicht das erste, aber wohl das wichtigste Verfahren, das die türkische Justiz zur Ahndung des Putschversuchs im Juli 2016 betreibt. Unter den insgesamt 486 Angeklagten sollen die führenden Köpfe der Putschisten sein. Sieben von ihnen sind flüchtig oder befinden sich im Ausland, wie der Hauptangeklagte Fethullah Gülen, der Chef der Gülen-Sekte, den der türkische Präsident Erdoğan für den Drahtzieher des Putschversuchs hält.

Doch selbst wenn das stimmen sollte: Der Prozess wird kaum zur Aufklärung der Hintergründe des Putschversuchs beitragen. Er findet unter ­Bedingungen statt, die von rechtsstaatlichen Grundsätzen weit entfernt sind. Ein Massenprozess, in dem die Angeklagten längst vorverurteilt sind und nun gegenüber einer parteiischen Justiz ihre Unschuld beweisen sollen.

So dürfte der ehemalige Luftwaffengeneral Akın Öztürk, der von der Staatsanwaltschaft als der militärische Führer des Putsches präsentiert wird, keine Chance haben, mit seiner Version der Putschnacht durchzudringen, nach der ihn Generalstabschef Hulusi Akar damit beauftragt haben soll, die Putschisten von ihren Plänen abzubringen. Nur deshalb sei er auf dem Luftwaffenstützpunkt gewesen, der als das Hauptquartier der Putschisten gilt.

Schon der im vergangenen Jahr gebildete parlamentarische Untersuchungsausschuss, der die Putschnacht aufklären sollte, scheiterte daran, dass die AKP-Mehrheit die Vorladung der wichtigsten Zeugen verhinderte. Der daraufhin von Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu erhobene Vorwurf, das Ganze sei ein gelenkter Putsch gewesen, wird durch diesen Prozess nicht widerlegt. Der Massenprozess dient vielmehr der Geschichtsschreibung der Regierung, die in der angeblich heroischen Abwehr des Putsches den Gründungsmythos ihrer neuen Türkei sieht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • "Er findet unter Bedingungen statt, die von rechtsstaatlichen Grundsätzen weit entfernt sind. Ein Massenprozess, in dem die Angeklagten längst vorverurteilt sind und nun gegenüber einer parteiischen Justiz ihre Unschuld beweisen sollen."

     

    Und spätestens an diesem Punkt sollte die EU die Türkei heftig kritisieren. Dieses Land führt mithilfe eben dieses 'angeblichen' Putsches eine Diktatur ein und wird die ohnehin schwache Demokratie und Freiheit in der Türkei endgültig beseitigen.

  • Auf einem Plakat war zu lesen: Erdoğan: Ölüm Cezası! Erdogan: Todesstrafe! Tell me!