: Zur falschen Zeit am falschen Ort
G20 Ein Pole wurde während des G20-Gipfels am Hamburger Bahnhof festgenommen, weil er Pfefferspray, eine Taucherbrille und Feuerwerkskörper bei sich hatte. Die Justiz hält ihn für einen Gewalttäter, seine Schwester sagt, er war auf dem Weg in den Urlaub
von André Zuschlag
Vier Wochen ist der G20-Gipfel her – und noch immer sitzen Dutzende Menschen in Untersuchungshaft. Einer von ihnen ist Stanislaw B.. Für seinen Rechtsanwalt Jonathan Burmeister ist sein Fall ein „rechtspolitischer Skandal“. Die Gründe für den dringenden Tatverdacht, aus dem die wochenlange Untersuchungshaft folgte, seien mehr als fadenscheinig.
Wie die Schwester des 24-jährigen Polen der taz sagte, war dieser gemeinsam mit einem Freund Anfang Juli mit dem Zug durch Deutschland gereist. Die beiden seien auf dem Weg in den Wanderurlaub nach Spanien gewesen. Am ersten Gipfeltag kommt der Warschauer Kunststudent in Hamburg am Bahnhof Dammtor an. Dort gerät er in eine Polizeikontrolle. Die BeamtInnen finden in seinem Reiserucksack Pfefferspray, eine Taucherbrille und Feuerwerkskörper – das reichte aus, um ihn in Untersuchungshaft zu nehmen.
Der offizielle Vorwurf lautet: Verstoß gegen das Sprengstoff- und Waffengesetz und gegen das Waffenverbot bei Versammlungen. „Jemanden aufgrund dieser möglichen Verstöße so lange in Untersuchungshaft zu lassen, ist absolut lächerlich“, sagt Burmeister. Dies sei schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil „zum Zeitpunkt der Polizeikontrolle gar keine Demonstration stattgefunden hat“.
Laut Versammlungsgesetz gilt das Verbot von sogenannten „Schutzwaffen“. Dazu zählen Gegenstände einer Person, die nicht zum Angriff, sondern zum Schutz der TrägerInnen gegen Waffenanwendung bestimmt sind – darunter fallen in Deutschland unter anderem Fahrradhelme, Knieschützer, aber eben auch Taucherbrillen und Pfefferspray.
Aus Sicht der Justiz habe sich der junge Mann damit auf den Weg zu einer Demonstration machen wollen – dann gelte schon das „räumlich vorgelagerte Versammlungsrecht“, wie Gerichtssprecher Kai Wantzen sagte. Da die Konzentration seines Pfeffersprays in Deutschland nicht zulässig sei und er Feuerwerkskörper bei sich hatte, würde gegen ihn auch wegen Verstoßes gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz ermittelt.
Die Bedingungen im Gefängnis Billwerder, in dem der 24-Jährige sitzt, sind laut Burmeister katastrophal. So sei er während des G20-Gipfels nicht zu seinem Mandanten durchgelassen worden, vielmehr von den BeamtInnen aus dem Gebäude geschubst worden. Der Mutter des Angeklagten sei erst unter mehrmaliger Androhung juristischer Schritte ein Besuch gestattet worden. „Zudem wird es nicht einmal gestattet, ihm frische Klamotten zu bringen, nicht einmal frische Unterwäsche“, sagt Burmeister. Und das sei, sagt der Anwalt, „nun wirklich Erdogan-Stil“.
Da der 24-Jährige nicht vorbestraft ist und einen festen Wohnsitz in Warschau hat, könnte er bis zur Verhandlung eigentlich aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Die Hamburger Justiz will jedoch keinen der während des G20-Gipfels Verhaften entlassen, da sie sich sonst ihrem Verfahren entziehen würden, so die Befürchtung.
Die Polizei richtete nach dem Gipfel die Soko „Schwarzer Block“ ein, in der 170 BeamtInnen gegen Protestierende ermitteln.
Von anfänglich 51 Haftbefehlen sind derzeit noch 33 in Kraft. Rund zwei Drittel der Verhafteten kommen aus dem Ausland.
Bei den meisten Inhaftierten lauten die Tatvorwürfe Landfriedensbruch, versuchte Körperverletzung oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.
„Man könnte ihn problemlos per europäischem Haftbefehl vorladen“, sagt Burmeister dazu. Denn derzeit sei der Prozess vertagt, vermutlich weil Urlaubszeit ist. „Als nächster Termin wurde uns Ende September gesagt“, sagt Burmeister. Das bedeute, dass er noch sieben oder acht Wochen in der Justizvollzugsanstalt bleiben müsse.
Für seine Schwester ist der Grund, warum er bis dahin vermutlich nicht aus der Untersuchungshaft kommt, offensichtlich: „Das ist eine politische Machtdemonstration.“ Ihr Bruder sei einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen. Sie und ihre Familie seien „tief beunruhigt über die Politisierung des Falles“.
Gerichtssprecher Wantzen räumt ein, dass man sich „über die Verhältnismäßigkeit natürlich immer streiten könne“. Die Hamburger Gerichte gingen davon aus, dass diejenigen, die beim Gipfel festgenommen wurden, politisch den Rechtsstaat ablehnen. Dies begründe in diesem Fall die Untersuchungshaft bis zum Verhandlungsbeginn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen