: Das Ende der Gewaltenteilung
Rückblick Venezuela hat eine Verfassunggebende Versammlung gewählt. Die Opposition lehnt sie ab – auch das Ausland kritisiert Präsident Nicolás Maduro
Aus Buenos Aires Jürgen Vogt
Venezuela steuert auf das Ende der Gewaltenteilung zu. Mit der am Sonntag gewählten Verfassunggebenden Versammlung hat sich das Land ein neues oberstes Gremium geschaffen. Nach dem Wunsch der Regierung soll die Asamblea Nacional Constituyente (ANC) den Frieden wiederherstellen und die aktuelle Verfassung reformieren.
Von Frieden war am Sonntag jedoch wenig zu spüren. Die rechte Opposition hatte zum Boykott und zu Blockadeaktionen aufgerufen, mit der die Wahl behindert wurde, trotz des von der Regierung erlassenen Demonstrationsverbots. Zahlreiche Wahllokale, wie in den Wohnvierteln der Mittel- und Oberschicht in der Hauptstadt Caracas, blieben geschlossen. Durch eine Explosion in der Nähe von Altamira, einem traditionellen Treffpunkt der Opposition, wurden mehrere Nationalgardisten verletzt. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft kamen in Zusammenhang mit der Wahl mindestens zehn Menschen ums Leben.
Dass die regierenden Chavisten in der ANC die Mehrheit stellen, überrascht nicht. Mit der Festlegung neuer Wahlbezirke und der Wahl von KandidatInnen aus ausgesuchten gesellschaftlichen Bereichen hatten sie sich den Triumph schon zuvor zurechtgeschneidert. Der passive und aktive Wahlboykott der rechten Opposition machte die ganze Angelegenheit zur reinen Formsache. Keiner der am Sonntag gewählten 545 Mitglieder steht auch nur irgendwie in Opposition zur Regierung. Ihren Sitz hat die ANC im Parlamentsgebäude.
Welche Machtposition die ANC jedoch einnimmt, beschreibt auch Artikel 349 der gegenwärtigen Verfassung: „Die bestehenden Gewalten können die Entscheidungen der Verfassunggebenden Versammlung in keinster Weise verbieten.“ Nach einfacher Lesart untersteht ihr damit sogar der Präsident.
1999 trat ebenfalls eine gewählte Verfassunggebende Versammlung zusammen. Die damals vom verstorbenen „ewigen“ Comandante Hugo Chávez initiierte ANC war jedoch von einem gesellschaftlichen Konsens getragen. Die Wahl am vergangenen Sonntag hingegen fand ohne die breite Unterstützung der Bevölkerung statt. Mit rund 8,1 Millionen nahmen nur knapp 42 Prozent der 19,4 Millionen Stimmberechtigten teil, so die offiziellen Zahlen. Nach Angaben der Opposition haben sich weniger als drei Millionen beteiligt.
Wer aus freier Entscheidung votierte oder sich wegen der zuvor massiv angedrohten Sanktionen gegen StaatsangestelltInnen, MitarbeiterInnen des staatlichen Ölkonzerns PDVSA sowie EmpfängerInnen von Sozialleistungen dazu gezwungen sah, bleibt offen. Eine unabhängige Kontrolle von Wahlverlauf und Auszählung fand nicht statt. Die Regierung weigerte sich, internationale WahlbeobachterInnen zuzulassen.
Die Wahl wird von der rechten Opposition nicht anerkannt. „Es ist der größte Wahlbetrug in der Geschichte unseres Landes“, twitterte Parlamentspräsident Julio Borges und stellte klar, dass auch Entscheidungen der ANC nicht anerkannt würden. Zu erwarten steht, dass sich zwei Versammlungen gegenseitig ihre Nichtanerkennung attestieren. „Wir werden weiter im Parlamentsgebäude tagen,“ kündigte Borges am Montagmorgen an.
Neben dem Parlament, das die Opposition kontrolliert, könnte die neue Versammlung auch eine unliebsame Generalstaatsanwältin absägen. Seit Luisa Ortega Ende März die vorübergehende Entmachtung des Parlaments durch das regierungshörige Oberste Gericht kritisierte, ist sie der Regierung ein Dorn im Auge. Bis zuletzt sprach sie sich gegen die Bildung der ANC aus. Diese wird wohl nun ihre Amtsenthebung anordnen und zugleich die Kontrolle ihres noch autonomen Ministerio Publico übernehmen. Das hatte Präsident Maduro bereits öffentlich angekündigt.
Mit diesem Kurs erntet Venezuela weltweit Kritik. Acht lateinamerikanische Länder haben der ANC öffentlich die Anerkennung verweigert, darunter Kolumbien, Argentinien, Brasilien und Mexiko. Die USA haben ihre Sanktionsdrohungen erneut bekräftigt, und warnende Stimmen kommen auch von EU und aus Deutschland. „Die Wahl war weder frei noch geheim noch gleich und verstieß somit gegen demokratische Grundprinzipien“, so ein Außenamtssprecher in Berlin.
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