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Der Ausverkauf

In Dänemark gilt er als „Visionär“, in Berlin als gewissenlos: Jörn Tækker kaufte ganze Straßen billig auf und stieß sie teuer ab. Sein Name steht für die Verdrängung von Mietern. Mit dem Geld baut er das Ökodorf Nye, wo die Straßen wie Gemüse heißen

Aus Berlin und Aarhus Lea Wagner

Reden will sie – aber nur mit Anwalt und erst, als sie sich vergewissert hat, dass die Autorin wirklich kein Detektiv ist wie der Anrufer, der ihre Adresse haben wollte, angeblich um ihr ein Drehbuch zu schicken. Das kam dann nie. Dafür tauchten Fotos auf von ihr, ihren alten Eltern und ihren Kindern, aufgenommen vor der Kita. Das Treffen mit Tanja R.* kommt zustande. Es sollen andere von dem Unrecht erfahren. Sie zitiert aus Briefen und Urteilen und je mehr sie sich empört, desto lauter wird sie. Wenn es um den Menschen geht, der ihr das Leben zur Hölle macht, verliert sie die Kontrolle. Sie weint noch, als ihr Anwalt längst weg ist.

Tanja R. heißt in Wirklichkeit anders. Sie will nicht, dass ihr Name in der Zeitung steht. Probleme habe sie schon genug. Später reicht sie Fotos nach. Und eine Auflistung von Fakten. Ihr ist wichtig, dass man ihr glaubt. Ihr und nicht ihm, der sie der Lüge bezichtige. Es sieht nicht gut aus für sie. Wenn das Gericht ihren Antrag nicht zulässt, muss sie aus ihrer Wohnung sofort raus – mit allen Sachen, zwei kleinen Kindern und einem Mann.

Tanja R. hat das Pech, eine Wohnung zu mieten, deren Wert in den letzten Jahren um ein Zigfaches gestiegen ist. Eine Wohnung in Kreuzberg, beste Lage, direkt am Wasser. Dass Tanja R. schon fast zwanzig Jahre dort lebt, ist für ihren Vermieter Nebensache. Auch dass sie die Wohnung einst für 120.000 Mark renovieren ließ. Tanja R.s Vermieter hat für Einzelschicksale keine Zeit. Er will verkaufen. Das Geld braucht er für ein anderes, größeres Projekt. In seiner Heimat nennen sie ihn „Visionär“ – in Berlin jemanden „ohne Gewissen“.

Menschen machen Ärger

Im dänischen Aarhus steht ein kleiner drahtiger Mann mit T-Shirt und Segelohren vor seinem Traum. Liebevoll streicht er mit feingliedrigen, sonnengegerbten Händen, denen man die sechzig Jahre nicht ansieht, über Häuschen aus Pappmaché. „Ich will die Welt zu einem besseren Ort machen“, sagt Jörn Tækker. Er spricht so schnell, dass man Mühe hat zu folgen. Fragen übergeht er oft. 4.500 Wohnungen gehörten Tækker noch vor wenigen Jahren in Berlin. „Ich war damals der größte ausländische Investor“, sagt er. Und dass ihn Profit nicht interessiere. In der Finanzkrise verlor er 300 Millionen Euro. Dass sein Unternehmen überlebte, verdankt er vor allem dem Verkauf eines Großteils seiner Berliner Immobilien. Jörn Tækker ist der Mann, der Tanja R. aus ihrer Wohnung kriegen will. Eigentumswohnungen in Kreuzberg sind ein Vermögen wert und verkaufen sich ohne Menschen darin besser. Menschen machen Ärger, pochen auf ihre Rechte, klagen.

Klar gibt es ein ­Vorkaufsrecht. Aber welcher Mieter kann sich das leisten?

Ärger haben in Berlin viele mit Tækker. Sein Name steht wie kein anderer für Verdrängung, auch wenn sich der Investor aus Berlin mittlerweile größtenteils zurückgezogen hat. Von seinen einst 4.500 Wohnungen hat er mehr als die Hälfte verkauft, seine circa fünfzig Berliner Mitarbeiter wurden von einer anderen Firma übernommen.

Jörn Tækker wird jetzt woanders gebraucht. In Aarhus will er seinen Lebenstraum fertigstellen: eine Art Öko-Utopia, das als Miniatur in seinem Büro steht.

Seit elf Jahren arbeitet Jörn Tækker an seinem grünen Bullerbü: einer Stadt, in der Ärzte in dem selben Haus wohnen wie Tankwarte und in der die Terrassen Gemeinschaftseigentum sind. In der man sein Auto, wenn man denn überhaupt noch eins hat, Tækker hat eins, mit anderen teilt. In der Regen aufgefangen und für Waschmaschinen und Toilette genutzt wird. In der es keinen Rasen gibt, weil Mähen Strom frisst. In der die Straßen nach Gemüse benannt sind. In der man sich seine Post in einer Zentrale abholt, zu der man laufen muss, um mit den Nachbarn ins Gespräch zu kommen. „Wenn Menschen mehr mitein­ander sprächen, gäbe es viele Kriege nicht“, sagt Tækker.

„Nye“ heißt sein Utopia, das ist Dänisch und bedeutet „neu“. Dass er seine Utopie auf Kosten von Berlin errichtet, stört ihn nicht. „Was ich mit meinem Geld mache, ist meine Sache.“ Tækker sieht keinen Widerspruch zwischen seinem Handeln in Aarhus und in Berlin, doch er sagt: „Bestimmte Dinge würde ich in Dänemark nicht tun.“ Was, lässt er offen. Aus mehreren Quellen hört man, dass Tækker in Berlin mit dänischen Mietern anders umgeht, besser. Er hat Stipendien vergeben, um dänische Studenten und Künstler nach Berlin zu holen. Er bot ihnen Wohnungen an, organisierte eine Ausstellung.

Im Jahr 2004 kommt er zum ersten Mal für längere Zeit in die Stadt. Ein Jahr vergeht, bevor er seine erste Immobilie kauft. In diesem Jahr lässt er sich treiben, saugt den Geist der Stadt auf. „Vieles erinnerte mich an das Kopenhagen von früher: arm, links und kreativ.“ Mitte der Nullerjahre gibt es noch viele günstige Häuser in Berlin. Dem Spiegel sagt er rückblickend: „Ich konnte nicht verstehen, warum die Preise so tief waren. Jemand musste etwas übersehen haben.“ Die Stadt ist chronisch klamm und verkauft Gebäude an Privatinvestoren. „Das kam uns vor wie eine Heuschreckenplage“, sagt Martin Breger von der Mieten-AG Graefekiez. „In Kreuzberg kaufte Tækker ganze Straßenzüge auf.“

Tækkers Traumstadt ist bislang nur ein Acker mit Meerblick. Ein Anwohner strahlt: „Nye? Das wird toll!“ Eine Frau ist skeptischer: „Voll wird es werden.“ Bald sollen auf dem Acker 20.000 Menschen wohnen. Und irgendwann vielleicht ist es der Großteil der Aarhuser. „Im Stadtrat sind alle begeistert, Gegenstimmen gibt es keine“, sagt Kristian Würtz, Sozialdemokratin im Stadtrat. Knapp vierzig Häuser, bisher noch nicht gebaut, sind schon verkauft.

Kritik wischt Tækker weg: „Es sind immer die gleichen fünf Anwohner, die dagegen sind. Die haben Angst, dass wir ihnen den Blick aufs Meer versperren.“ Das Problem an der Demokratie sei, dass Gegenstimmen lauter seien als Zuspruch. „Wir verplempern unsere Zeit damit, den ewigen Nörglern zuzuhören.“ Tækker ist in keiner Partei, hat aber mehrfach Alternativet, den dänischen Grünen, gespendet.

Er bezeichnet sich als Linker, der bescheiden lebe. Tækker hat sich hochgearbeitet: Bis zur achten Klasse konnte er weder lesen noch schreiben. Die Lehrer gaben ihm schlechte Noten, aber schleppten ihn mit durch. „Damals fiel in Dänemark niemand durch“, sagt er. Er wollte Künstler werden, seine Eltern hatten dafür nichts übrig. Er wurde Zimmermann, Bauingenieur – wie sein Vater. Noch heute sind seine E-Mails voller Fehler. Nur, dass ihn niemand mehr deswegen demütigt.

Tækkers Strategie in Berlin: kaufen, abwarten, bis die Preise steigen, dann verkaufen. Manche Mieter gehen freiwillig, andere gegen Geld. „20.000 Euro waren damals locker drin“, sagt Martin Breger. Im Graefekiez hat Tækker laut Breger zehn von elf Häusern komplett in Eigentumswohnungen verwandelt. „Klar, es gibt das Vorkaufsrecht für Mieter, aber die wenigsten können sich das leisten.“ Weil ihm auffällt, dass viele Mieter ihre Rechte nicht kennen, gründet Breger im Jahr 2012 Tækker Watch. Die Gruppe informiert und demonstriert, stoppen kann sie Tækker nicht.

Als es im Graefekiez immer stiller wird, hat der Protest in der Lausitzer Straße noch nicht einmal begonnen. Dort hat Tækker im Jahr 2006 eine ehemalige Glasfabrik mit mehreren Innenhöfen samt Wohnhaus erworben. Er zahlt 2,3 Millionen Euro. Berlin braucht Geld. „Rückblickend war das ein Riesenfehler“, sagt Florian Schmidt (Grüne), Baustadtrat im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Mit der Fabrik übernimmt Tækker Dutzende von GewerbemieterInnen: Fotografen, Filmemacher, Journalisten, linke Politaktivisten. Sie alle kämpfen für eine bessere Welt – wie Tækker es von sich behauptet.

„Rückblickend war der Verkauf ein ­Riesenfehler“

Florian Schmidt (Grüne), Baustadtrat Friedrichshain-Kreuzberg

Der solidarisiert sich, unterstützt ein Kollektiv, indem er ihm mehrere Jahre die Miete erlässt. Alle anderen zahlen vergleichsweise niedrige Mieten. Wenn sie erhöht werden, dann nur gering. Tækker sagt: „Was die machen, imponiert mir. Ich bin einer von ihnen.“ Doch er investiert nicht in die Gebäude, lässt sie verrotten. Eineinhalb Jahre ist der Fahrstuhl kaputt, die Fenster sind undicht, die Heizung fällt aus. Der Zustand nervt die MieterInnen, aber die Miete ist günstig.

Das bedeutet Rausschmiss

Im Dezember 2016 hört eine Mieterin im Treppenhaus ein Gespräch zwischen Tækker und einem Kaufinteressenten mit. Es geht um die „Sexiness“ des Standorts. Tækker will verkaufen. Er will die Gewerberäume zu einem Großteil in Lofts umwandeln, das Dach ausbauen – entstehen soll so etwas wie die „Hackeschen Höfe von Kreuzberg“. Die Stadt erteilt Tækker die Genehmigung. Den Mietern ist klar, das bedeutet der Rausschmiss. Die wenigen verbleibenden Gewerberäume wird sich keiner leisten können.

Die Mieter gründen AGs und treffen sich einmal im Monat. Stadtrat Schmidt will vermitteln. Diskutiert wird, ob die Stadt das Gebäude zurückkaufen kann. Oder eine Stiftung. Tækker verlangt knapp 20 Millionen – fast das Zehnfache, was er bezahlt hat. „Die Leute wollen nicht akzeptieren, dass wir in einer Marktwirtschaft leben“, sagt er. Käufer behandle er anders als Mieter. „Ein Kauf ist ein Deal auf Augenhöhe. Messen Sie mich lieber daran, wie ich mit meinen Mietern umgehe. Manch einer mag Angst vor mir haben, aber rausgeworfen habe ich noch nie jemanden.“

Wenige Tage später gewinnt er die Klage gegen Tanja R. Die Begründung: Sie habe illegal ihre Wohnung untervermietet. Tanja R. behauptet, dass ihr ihre frühere Eigentümerin die Untervermietung erlaubt hatte, dass sie oft im Ausland sei, ein Untermieter der beste Schutz gegen Einbrecher sei und sie jeden Untermieter angemeldet habe. Es hilft nichts, Tanja R. muss packen.

Auch die Leute aus der Lausitzer Straße rechnen damit, rauszumüssen. Auf eine Anfrage der Linken antwortet der Bezirk: „Das Bezirksamt sieht keine Möglichkeit, die Gewerbetreibenden und Bildungseinrichtungen im Bezirk zu halten, da erschwinglicher Gewerberaum kaum noch verfügbar ist.“ Von dem Kaufpreis von knapp zwanzig Millionen will Tækker nicht abgehen: „Ich kann nicht für die Versäumnisse der Politik einspringen.“

* Name geändert

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