piwik no script img

Einkaufszentrum sorgt für Widerstand

ErinnernIn Wolfsburg wird ein Einkaufszentrum gebaut werden, wo ein Außenlager des KZ Neuengamme war. Daran stören sich viele

Entdeckt: Überreste des KZ Außenlagers am Laagberg Foto: Wikimedia

Gehen Wolfsburger bald auf dem Gelände shoppen, wo Fundamentreste des Konzentrationsaußenlagers Neuengamme gefunden wurden? Das ist zumindest der Plan, aber der stößt in der Stadt auf heftige Kritik. Das Außenlager Laagberg bestand von April 1944 bis April 1945. Die fast 800 Häftlinge wurden im nahen Betrieb für den KdF-Wagen, dem Vorläufer des VW-Werks, als Zwangsarbeiter eingesetzt. Mehr als 140 Gefangene starben. Heute ist der Laagberg ein bürgerlicher Stadtteil mit Einfamilienhäusern und Grünanlagen, Mietskasernen gibt es kaum. Die Fundamentreste des ehemaligen KZ wurden erst im vergangenen Jahr bei Bauarbeiten für das geplante Einkaufszentrum entdeckt.

„Dass man hier so gut erhaltene Reste findet, hätten wir aber nicht gedacht“, sagte Wolfsburgs Oberbürgermeister Klaus Mohrs (SPD) damals. Und präsentierte kurz darauf die Idee der Stadtverwaltung: Die Fundamente sollten ausgegraben und an anderer Stelle mitsamt eines Dokumentations- und Bildungszentrums zum Lager Laagberg wieder aufgebaut werden. Die Baugrube sollte zugeschüttet, der Einkaufsmarkt wie geplant errichtet werden.

Verlegung ist unangemessen

Eine „unsägliche Idee“ nennt das die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN). Der Ort massenhaften Verbrechens könne nicht einfach verlegt werden. Auch der langjährige VW-Chef-Historiker Manfred Grieger hält eine Verlegung für unangemessen. „Jeder weiß schließlich, dass da ein KZ mit Wachtürmen und Stacheldraht stand“, sagte er dem NDR. „Die Polizei verlegt ja auch nicht einfach einen Tatort.“

Amicale Internationale de Neuengamme, der Dachverband der ehemaligen Häftlinge aus Belgien, Frankreich und Deutschland, ist ebenfalls gegen die Verlegung der Fundamentreste. Amicale-Präsident Jean-Michel Gaussot schreibt im April an Oberbürgermeister Mohrs: „Wir können nicht nachvollziehen, dass die Planungen zur Bebauung anscheinend ohne vorige Rücksprache mit den betroffenen Institutionen und Einrichtungen durchgeführt wurden.“ Die Fundamente seien wichtiges Zeugnis der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Wolfsburg. Sie böten Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, sich vor Ort mit der Geschichte des KZ Laagberg auseinanderzusetzen und die Erinnerung an die dort Inhaftierten zu bewahren.

Die Proteste der Opferverbände wurden gehört und ein neuer Vorschlag vorgelegt. Danach soll ein Teil der Barackenfundamante vor Ort bleiben und „sichtbar gemacht“ werden. In unmittelbarer Nähe des Fundortes, wo die Gefangenenbaracke 1 des Außenlagers Laagberg stand, werde ein „Gedenk- und Bildungsort“ errichtet, kündigt Mohrs an. „Er soll die Aufgabe erfüllen, Erinnerungs-, Forschungs- und politische Bildungsarbeit zu verbinden und eine aktive gedenkstättenpädagogische Arbeit ermöglichen.“

Kompromiss vorgeschlagen

Ein Kompromiss, mit dem zumindest Amicale leben kann. Präsident Gaussot lässt verlauten, er erkenne „das Potenzial der angedachten Kompromisslösung“ an. Sie habe immerhin den Vorteil, dass die Spuren des ehemaligen Lagers erhalten blieben und die Geschichte dieses Ortes den zukünftigen Generationen vermittelt werden könne. Trotzdem bedauert Gaussot die Bebauung des Ortes, an dem die Baracken standen, mit Gebäuden, die keinen Bezug zur Geschichte des Platzes haben werden.

Eigentlich sollte der Wolfsburger Stadtrat bereits über die Beschlussvorlage entschieden haben. Doch Oberbürgermeister Mohrs setzte die Abstimmung zuletzt kurzfristig ab. Unmittelbar vor der Sitzung, in der abgestimmt werden sollte, hatte das Netzwerk der KZ-Lagergemeinschaften sich mit einem Appell an die Stadt gewandt: „Wir fordern einen respektvollen Umgang mit diesen wertvollen Funden, stimmen Sie deren Verlegung vom originalen historischen Ort in der Ratssitzung nicht zu.“ Ob und welche Fundamente nun verlegt werden, und ob auf dem Gelände eine Gedenkstätte entsteht, will das Kommunalparlament nun in einer Sondersitzung im August besprechen. Reimar Paul

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen