Syrischer SV in Berlin: Soziales Lernen beim Fußball

Der Bezirksligist Syrischer SV bietet Deutschunterricht, soziale Kontakte und er wächst. Angst haben die Spieler indes vor dem syrischen Geheimdienst.

vier Fußballer jubeln

Die syrische Nationalmannschaft feiert – die Hobbyspieler beim Syrischen SV in Berlin auch Foto: dpa

BERLIN taz | Fußball-Berlin ist international. Auf den Spielfeldern des Poststadions hört man Zurufe auf Russisch, Englisch und Arabisch. Auch ein Team japanischer Freizeitkicker macht sich zum Training bereit, während auf einem anderen Nebenplatz unmittelbar neben dem eigentlichen Stadion der Welt-Verein in der Bezirksliga zu Gast beim Syrischen SV ist. Ja, zu Gast, denn das Poststadion ist die Heimspielstätte dieses 2014 gegründeten Vereins.

„Erst waren das Freunde, die einfach auf der Wiese miteinander gespielt haben. Dann haben sie Kontakt mit mir aufgenommen, wir haben den Verein gegründet und beim Berliner Fußballverband angemeldet. Seit 2015 nehmen wir am offiziellen Spielbetrieb teil, in der Freizeit-Bezirksliga“, erzählt Vereinsgründer Mustafa Gumrok. Gumrok ist seit über 40 Jahren in Deutschland. Er arbeitete bis zu seiner Pensionierung 2015 als Ingenieur – und er spielte in seiner Jugend beim Erstligisten al-Hurriya aus Aleppo Fußball.

Gumrok weiß, was Fußball bewegen kann, wie identitätsstiftend er ist und dass er soziale Beziehungen fördert. Der Syrische SV ist daher stetig am Wachsen. Aus dem guten Dutzend Spieler, die vor drei Jahren den Klub gründeten, sind mittlerweile 40 bis 50 Männer und Jugendliche geworden, die an den Spielen und am Training teilnehmen.

„Das Training von so vielen Leuten ist nicht einfach. Aber ich teile sie immer in mehrere Gruppen auf, die parallel arbeiten. Das geht schon. Und die Jungs sind gut“, meint Coach Ahmed. Ahmed war in Syrien ebenfalls in der ersten Liga aktiv, beim Armee-Verein al-Jaish. Er spielte dort bis zum Ausbruch der Revolution. Dann verließ er das Land, kam nach Deutschland und fand nach einer Zwischenstation Anschluss an den Berliner Kultverein Türkiyem­spor. Dort spielt er in der Landesliga – und trainiert außerdem zweimal die Woche den Verein seiner Landsleute.

Wichtig ist das Miteinander

Die spielen gar nicht schlecht, sind in der Bezirksliga gegenwärtig 5. – und streben weiter nach oben. „Mit den vielen Spielern, die wir haben, wollen wir in der nächsten Saison zwei Mannschaften haben, eine weiter in der Bezirksliga und eine andere in der Kreisliga“, erklärt Gumrok.

Mindestens ebenso wichtig wie der Wettbewerb ist aber das Miteinander. „Wir fühlen uns hier sehr wohl, fast wie zu Hause, wir sprechen ja auch die gleiche Sprache“, meint Mannschaftskapitän Naji Negmah. Interessanterweise hat Negmah aber ein Jahr gewartet, bis er nach Ankunft in Berlin mit dem Fußball anfing. „Ich wollte erst richtig Deutsch lernen, um mich hier zurechtfinden zu können, um arbeiten und studieren zu können. Dann erst kam der Fußball“, erzählt er in flüssigem Deutsch.

Der Verein sieht sich selbst als Motor für die Integration. „Wir bieten hier Deutschkurse an. Wir erklären auch Mentalitätsunterschiede zwischen Deutschen und Syrern, damit sie hier besser klarkommen. Und wir unternehmen viel gemeinsam, gehen zum Bowling, zum Schwimmen“, erzählt Gumrok.

Vereinsgründer Mustafa Gumrok

„Wir erklären Mentalitätsunterschiede, damit die Syrer hier besser klarkommen“

Der Ausflug in der Schwimmhalle geriet dann zum wechselseitigen Lernprozess, wie Gumrok schildert: „Wenn du mit einer so großen Gruppe arabischer Männer in eine Schwimmhalle kommst, dann stockt vielen erst einmal der Atem. Ich musste aber auch unseren Jungs sagen, wie sich verhalten sollten, nicht von der Seite hereinspringen, nicht spritzen.“ Fußball ist da einfacher, die Regeln, auch die Benimmregeln sind international.

In Berlin ist der Syrische SV eine Plattform für syrische Fußballer geworden. Er erhebt aber keinen Monopolanspruch. „Wir wollen Spieler hier fit machen. Wenn sie dann andere Vereine finden, auch höherklassige, ist das gut. Einige sind auch schon weggegangen, andere wieder zurückgekehrt“, meint Gumrok.

Echtes Bundesligapotenzial sieht Coach Ahmed bei den seinen trotz aller Fortschritte aber nicht. Ein Talent wie Mahmoud Dahoud, in Syrien geboren, in Deutschland aufgewachsen und aktuell Profi bei Borussia Dortmund, ist zwar Ansporn für alle. Dahoud ist auch ein großer Held in der syrischen Fußballcommunity. Aber die eigenen Grenzen wissen die Männer ebenfalls ganz gut einzuschätzen. Manche träumen zwar von Hertha und Union, sie wissen aber auch, dass es Träume sind.

Probleme für die Familie befürchtet

„Wir müssen ja so viele Sachen parallel machen. Wir lernen die Sprache, wir gehen zur Schule. Wir wollen Arbeit finden. Und natürlich auch den Fußball ernst nehmen. Aber schon auf dem Niveau Landesliga musst du dreimal die Woche trainieren, dann kommt noch der Spieltag. Wenn du zum Training nicht kommst, dann lässt der deutsche Trainer dich völlig zu Recht auch nicht spielen“, sagt Naji, der Kapitän, der Zweitliga-Erfahrung im syrischen Fußball hatte, bevor er nach Berlin kam.

Eine gewisse Gefahr geht allerdings auch vom syrischen Fußballalltag in Berlin aus. „Die Regeln verlangen, dass man, um sich beim Berliner Fußballverband anzumelden, vorher beim alten Verein nachfragen muss. Wenn wir aber eine Liste nach Syrien schicken mit den Spielern hier, dann bekommt die zuerst der syrische Geheimdienst in die Hände. Und dann kann die Familie in Syrien Probleme bekommen“, erzählt Gumrok. Derzeit gilt eine 30-tägige Wartefrist bei der Anmeldung. Und Gumrok hofft inständig, dass der DFB keine Namenslisten nach Syrien schickt.

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