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May übersteht die erste Machtprobe

Grossbritannien Die angeschlagene Premierministerin hat jetzt die Rückendeckung der eigenen Partei. Nun ist eine auf überparteilichen Konsens zielende Politik angesagt – und die DUP muss mit ins Boot

BERLINtaz| Alles unter Kontrolle, kein Grund zur Aufregung: Mit dieser Ansage versucht die britische Premierministerin Theresa May, nach dem Wahldebakel der vergangenen Woche die politische Lage Großbritanniens zu stabilisieren – und nebenbei ihre eigene. Einen großen Schritt zu ihrer Absicherung machte sie am ­Montagabend mit einem offensichtlich überzeugenden Auftritt vor der eigenen konservativen Parlamentsfraktion, deren Hinterbänklerzusammenschluss „1922 Committee“ die entscheidende Rolle bei der Frage spielen würde, ob die Partei May zu stürzen versucht oder nicht.

„Toller Auftritt“ vermeldete hinterher Außenminister Boris Johnson, der als wichtigster möglicher Rivale der Premierministerin gilt, und alle Zeitungen stellten am Dienstag Mays Kernaussage in den Mittelpunkt: „Ich habe uns in diesen Schlamassel geführt, und ich werde uns wieder herausführen.“ Wäre sie im Wahlkampf so offen, ehrlich und selbstkritisch aufgetreten wie jetzt vor der Fraktion, kommentierte ein Teilnehmer, dann hätten die Konservativen die Wahlen problemlos gewonnen. Vor einem parteiinternen Putsch scheint May jetzt vorerst gefeit. Eine Rolle mag auch gespielt haben, dass die Konservativen unter May immerhin prozentual das beste Wahlergebnis geholt haben seit Margaret Thatcher unmittelbar nach dem Falklandkrieg, und dass dies zu honorieren sei.

Die Tendenz geht jetzt dahin, May erst mal die Brexit-Verhandlungen führen zu lassen, die am kommenden Montag beginnen. Im Laufe der Zeit würde sich dann herausstellen, ob sie mit der Europäischen Union einen einvernehmlichen Brexit aushandelt oder ob sie daran scheitert.

„Ohne Schutzpanzer“, wie ein konservativer Kolumnist May ohne Parlamentsmehrheit beschreibt, ist die Premierministerin auf jeden Fall gezwungen, sich ihrer Partei unterzuordnen – und auch Kompromisse zu schließen, die über die Parteigrenzen hinausgehen. Beim Brexit ist von einem Allparteienausschuss zur Festlegung der Regierungslinie und zur Überwachung der Verhandlungen die Rede; darüber sollen bereits Gespräche zwischen Konservativen und Labour stattfinden. In Aussicht steht auch ein Ende der Sparpolitik oder zumindest die Absage einiger besonders unpopulärer oder ursprünglich für die Zeit nach der Wahl geplanter Maßnahmen.

Das gehört auch zu den Forderungen der protestantischen nordirischen DUP (Democratic Unionist Party), mit deren Parlamentsfraktion förmliche Gespräche über ein Tolerierungsabkommen, nach ersten Sondierungen, am Dienstagnachmittag an Mays Amtssitz in 10 Downing Street begannen. Mit den 10 DUP-Abgeordneten hätten die 318 Konservativen eine Mehrheit im 650 Abgeordnete zählenden Parlament – die real nur 642 sind, da der Parlamentspräsident nie mitstimmt und die sieben nordirischen Sinn-Féin-Abgeordneten das Unterhaus boykottieren. Eine großzügigere Sozialpolitik soll zu den Kernforderungen der DUP gehören, deren Wählerschaft vor allem aus der protestantischen Arbeiterklasse Nordirlands besteht. „Wir gehen einkaufen“, flachste ein DUP-Abgeordneter gegenüber Journalisten vor Beginn der Gespräche.

In Aussicht steht ein Ende der Sparpolitik. Das gehört zu den DUP-Forderungen

Es ist bezeichnend für das nach wie vor aufgeheizte politische Klima in London, dass Mays Treffen mit der DUP für viel mehr Aufmerksamkeit sorgt als das erste Treffen des neugebildeten Kabinetts am Vortag. Kommt mit den Nord­iren kein Deal zustande, gibt es für May keine Mehrheit im Parlament, wenn sie ihre erste Regierungserklärung zur Abstimmung stellt – dem von der Königin in der „Queen’s Speech“ verlesenen Regierungsplan der nächsten zwölf Monate.

Deswegen wird immer wahrscheinlicher, dass die „Queen’s Speech“ nicht wie geplant schon am kommenden Montag stattfindet, sondern erst, wenn alle Details mit der DUP geklärt sind. Die auch in Deutschland wiedergegebene Behauptung, wonach eine mögliche Verzögerung daran läge, dass die Queen ihre Rede von einem mit Hand beschriebenen Stück Ziegenhaut abliest, was längerer Vorbereitung bedürfe, wird von Queen- und Ziegenhautexperten dementiert. Dominic Johnson

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