Zweisamkeit auf dem Kirchentag: Gespürte Liebe und kein Gequatsche

Anmachsprüche, hier? Der Kirchentag verspricht viel Offenheit und reichlich Flirts. Passen Sexualität und Glauben zusammen?

Menschen auf einer Veranstaltung tanzen im Kreis

Es wird heftig angefasst auf dem Kirchentag Foto: dpa

Du siehst mich – und das womöglich als potenzieller Sexualpartner. Auch der erotisch konnotierte Blick spielt auf dem Kirchentag eine Rolle. Mehr noch: Es wird in der „Abendreihe Flirten“ ausdrücklich dazu angeregt.

Während der Veranstaltung „Wenn du mich anblickst, werde ich schön“ wandern flirtende Blicke durch den Saal. Ob das wohl an der „Blick-La-Ola“ liegt? Blick-La-Ola, das heißt: Der erste schaut den Menschen auf seinem Nebenplatz an und sagt: „Schön.“ Als Antwort kommt ein „Dich zu sehen“ zurück. Das wird so lange durchgezogen, bis jeder einmal an der Reihe war und alle froh zu sein scheinen, sich zu sehen.

Schön. Klappt ja ganz famos – hier auf dem Kirchentag. Aber im Leben? Wenn sich zwei Menschen im Alltag begegnen, gibt es häufig Blick-Missverständnisse. Da wird zu kurz geschaut, zu langsam reagiert, da sind große Zweifel.

„Pfff, die wollen mir das Flirten beibringen. Das ist mir alles zu verkopft.“ Holger Marten verlässt sichtlich genervt und zugleich belustigt die Veranstaltung. „Das ist ja immer eine 50:50-Chance: Ich spreche eine potenziell nette Frau an, dann stimmt entweder die Chemie oder eben nicht.“

Auch in diesem Jahr hat die taz Panterstiftung junge NachwuchsjournalistInnen eingeladen. Sie werden für uns und für Sie auf täglich vier Sonderseiten sowie bei taz.de aus Berlin berichten. Mit unverstelltem Blick, stets neugierig und das Geschehen ernstnehmend. Das Team besteht aus: Korede Amojo, Malina Günzel, David Gutensohn, Edda Kruse Rosset, Lara Kühnle, Sami Rauscher, Tasnim Rödder und Linda Rustemeier. Unterstützend mitwirken werden die taz-Redakteure Philipp Gessler und Susanne Memarnia. Die redaktionelle Leitung übernehmen die taz-Redakteure Annabelle Seubert und Paul Wrusch.

Die taz ist zudem mit eigenen Ständen auf dem Kirchentag vertreten.

Wenn ein erster Blickkontakt zu einem ausgedehnten Flirt führt, kann daraus ein sexueller Kontakt entstehen. Huch, und wie weit darf ich da gehen als christlich Gläubiger? Sozial- und Sexualpädagoge Uwe Sielert sieht in der protestantischen Ethik eine große Offenheit, was verschiedene Beziehungsformen und die darin eingeschlossene Sexualität betrifft. „Es geht darum, dass die Sexua­lität lebenswichtig ist und gelebt wird“, sagt er. „Und das auf Augenhöhe. Verschiedene Beziehungen werden dabei nicht nur als existent, sondern auch als würdig erachtet.“

Hölzern und verklemmt?

Also alles ganz frei und ungehemmt, auch im kirchlichen Zusammenhang? Marten sagt: „Gott, wenn es ihn denn gibt, hat mich doch genau so geschaffen. Wenn ich ihn also ernst nehme, bedeutet das doch zwangsläufig, dass ich mich mit allen meinen Stärken und Schwächen annehmen muss. Das ist aus meiner Warte doch gerade die Voraussetzung, um meinen Nächsten zu lieben – wie soll das denn sonst funktionieren?“ Dass der Zugang aus Kirchensicht immer noch so hölzern und verklemmt ist, versteht er nicht.

Uwe Sielert glaubt sogar, dass der Glaube zu einer gelebten Sexualität führen kann. Man könne dann gelassener mit dem „Konfliktuösen der Sexualität“ umgehen. Durch den Glauben sei eine „zugesprochene Gewissheit“ da. Wer nicht ständig um die Anerkennung seiner Person kämpfen müsse, könne auch leichter loslassen und so eine „extatische Sexualität leben“.

Es sei doch bemerkenswert, meint Sielert, dass die Kirchentagsbesucher durch ein besonders offenes Schauen auffallen würden, zum Beispiel in der Straßenbahn. „Die lächeln mich an, dann kann ich auch ein Lächeln zurückgeben.“ Der Kirchentag sei von einer „Multisinnlichkeit“ geprägt, so sei es eine „gespürte Liebe und nicht nur so ein Gequatsche“. Den Kirchentag als „Forum für gelebte Sexualität“ zu begreifen, fällt ihm aber dann doch auch schwer.

Na, man wird sehen. Um beim Flirten mal was anderes als die abgedroschenen Anmachsprüche zu benutzen, lohnt sich offenbar – lehrt ja der Kirchentag – ein Blick in die Bibel. Wie wär’s mit: „Dein Schoß ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt. Dein Leib ist wie ein Weizenhügel, von Lotosblüten umsäumt. Deine beiden Brüste sind wie zwei Kitze, Zwillinge einer Gazelle.“

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