: „Bis an die Grenzen der Zumutbarkeit zurückgehalten“
CHRONIK Nach dem Schuss auf Benno Ohnesorg rechtfertigte das offizielle Berlin den Polizeieinsatz. Die Studenten seien selbst für den Toten verantwortlich, schrieb der Regierende Bürgermeister Heinrich Albertz (SPD). Erst Monate später trat er zurück
Vielleicht hätte sich der Riss, den der Tod Benno Ohnesorgs zwischen etablierter Politik und außerparlamentarischer Opposition zur Folge hatte, am 3. Juni noch kitten lassen. Mit Blumen des Regierenden Bürgermeisters am Tatort, Worten des Bedauerns, dem Versprechen nach einer genauen Untersuchung. Aber Albertz’verständnislose Worte zeigten, dass die Schüsse am Vorabend mehr gewesen waren als der Ausraster eines einzelnen Polizeibeamten.
Mohammad Reza Pahlavi, iranischer Diktator und Verbündete des Westens, besuchte Deutschland im Rahmen einer längeren Europareise im Mai und Juni 1967. In Berlin versammelten sich am Vorabend des 2. Juni rund 2.000 Studierende im Audimax der Freien Universität. Der Exiliraner Bahman Nirumand, bis heute Autor der taz, sprach über Folter unter dem Schahregime. Am nächsten Tag, so wurde beschlossen, sollte an zwei Orten demonstriert werden: am Vormittag vor dem Schöneberger Rathaus, wo sich der Schah in das Goldene Buch der Stadt eintragen wollte, und am Abend vor der Deutschen Oper.
In Schöneberg fanden sich aber nicht nur rund 2.000 Schahgegner ein, sondern auch rund 150 Iraner, die von der Polizei hinter die Absperrungen gelassen wurden und von dort mit Holzlatten auf die Demonstranten einschlugen. Die Polizei ließ die sogenannten „Jubelperser“ gewähren, und ging selbst mit Pferden gegen die Demonstranten vor.
Am Abend waren wiederum 2.000 Demonstranten gegenüber der Deutschen Oper, als der Schah zusammen mit Albertz und Bundespräsident Heinrich Lübke eine Aufführung der „Zauberflöte“ besuchte. Farbeier und Mehltüten fliegen, trafen aber keine Operngänger. Die Polizei setzte gegen die zwischen einen Bauzaun und Polizeiabsperrungen eingequetschten Demonstranten das ein, was Polizeipräsident und SPD-Mitglied Erich Duensing die „Leberwursttaktik“ nannte: Man müsse „in die Mitte der Demonstration hineinstechen, damit sie an den Enden auseinanderplatzt“. So trieb die Polizei mit Schlagstöcken, Hunden und Wasserwerfereinsatz die Demonstranten in die Seitenstraßen. Nach 20 Uhr verbreitete die Polizei über einen Lautsprecher das Gerücht, Demonstranten hätten einen Polizisten erstochen.
Der 26-jährige Student Benno Ohnesorg flüchtete zusammen mit einigen anderen Demonstranten in den Hinterhof der Krumme Straße 66/67. Dort wurden sie verprügelt, bis der Zivilbeamte Kurras gegen 20.30 Uhr auf Ohnesorg zutrat und aus nächster Nähe abdrückte. Ohnesorg starb kurze Zeit später, vermutlich schon auf dem Weg ins Krankenhaus. Zwei Kliniken wiesen ihn ab, bis ihn schließlich das Krankenhaus Moabit aufnahm. Vor der Autopsie manipulierten Unbekannte die Einschusswunde.
Die Polizei sprach am 3. Juni von einem „Querschläger“ nach einem Warnschuss, der Ohnesorg versehentlich getroffen habe. Statt eines Innehaltens angesichts von Ohnesorgs Tod eskalierte die Stimmung gegen die außerparlamentarische Linke: Der sozialliberale Senat beschloss ein vierzehntägiges Demonstrationsverbot. Auch die Springer-Presse hetzte: „Das Maß ist nun voll, die Geduld der Berliner Bevölkerung erschöpft. Wir sind es endgültig leid, uns von einer halberwachsenen Minderheit, die meist noch Gastrecht bei uns genießt, terrorisieren zu lassen“, kommentierte die Berliner Morgenpost.
Kurras wurde später wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, aber vom Landgericht Berlin freigesprochen. Polizeikollegen bescheinigten ihm, in Notwehr gehandelt zu haben.
Erst im September 1967 trat Albertz von seinem Amt zurück – elf Tage, nachdem er sein Bedauern über den Polizeieinsatz geäußert hatte: „Ich war am schwächsten, als ich am härtesten war, in jener Nacht des 2. Juni, weil ich objektiv das Falsche tat.“ Sein Nachfolger machte Kurt Neubauer zum Innensenator – einen harter Hund, der die Konfrontation mit der außerparlamentarischen Linken weiter vorantrieb. Martin Reeh
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