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Wann fängt Schwarz zu leuchten an?

Kunst Die American Academy startet ein neues Aufenthaltsstipendien-Programm. Der Künstler Kerry James Marshall erhielt als Erster diese „Max Beckmann Distinguished Visitorship“. Sein großes Thema: Vorurteile

VON Renata Stih

Mit dem „Max Beckmann Distinguished Visitorship“ hat die American Academy am Wannsee eine neue Auszeichnung initiiert, die herausragende Kunstschaffende für zwei Wochen nach Berlin bringt. Der Preis ist wesentlich dem Engagement von Beckmanns Enkelin Mayen Beckmann und den Kunstspenden einiger Berliner KünstlerInnen zu verdanken und wird von der Terra Foundation for American Art in Chicago mitgetragen.

Max Beckmann ist ein Vertreter der Moderne und eine ideale Verbindungsfigur im Kontext von Berlin, Deutschland und den USA. Der Künstler, der Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin und Frankfurt große Erfolge feierte und später als für die Nazis „entarteter Künstler“ aus Deutschland nach Amsterdam floh, zog nach dem Krieg in die USA. Dort lehrte er an der Art School der Washington University in St. Louis, wo ihn der Mäzen Norton D. May unterstützte und die größte Beckmann-Sammlung mit Gemälden, Zeichnungen und Drucken zusammentrug, die heute im legendären Saint Louis Art Museum zu bestaunen sind. Später siedelte Beckmann nach New York über, wo er an der Art School des Brooklyn Museum lehrte, bis er 1950 überraschend verstarb. In New York ist er mit einigen seiner wichtigsten Werken in den Sammlungen des Museum of Modern Art vertreten.

Erstmals mit dem Max Beckmann Distinguished Visitorship ausgezeichnet wurde nun der afroamerikanische Künstler Kerry James Marshall. Er stellte sich in zwei Gesprächen der Berliner Öffentlichkeit vor, zuerst im lebendigen Austausch mit Professor Karlheinz Lüdeking an der Universität der Künste, unter großer Anteilnahme der Studierenden und zahlreicher anderweitig Interessierter; zwei Tage später im beengten Ambiente eines Berliner Auktionshauses im Gespräch mit dem designierten Intendanten der Volksbühne, Chris Dercon.

Kerry James Marshall ist ein Künstler, der packend erzählen kann. Er könne sich noch an den immensen Eindruck erinnern, den Beckmanns Werke während eines Schulausflugs zum Saint Louis Art Museum bei ihm hinterließen. In Marshalls Auffassung von Form und Farbe finden sich dann auch Parallelen zu Beckmanns Werk.

Hinter dem lustigen Schein

Marshall arbeitet vielschichtig und multimedial, mit Fotografie und Video, Collagen und Installationen, vornehmlich aber mit Malerei. Auf den ersten Blick sind seine Bilder bunt, erzählerisch und lustig – aber genauer besehen steht dahinter eine Gesellschaftskritik, die den repräsentativen, westlichen Kulturbegriff infrage stellt. Als Maler beschäftigt er sich mit Schwarz und der Farbenvielfalt, die darin steckt; er untersucht, wann Schwarz zu leuchten anfängt und wann die Farbe stumpf wird, wann sie Leere darstellt. Was ist Schwarz, wie entsteht schwarze Farbe, wie definiere ich Schwarz als Farbe? Was bedeutet es, schwarz zu sein?

Sein Kernthema: wie Vorurteile gegenüber Schwarzen formuliert werden, was für Vorstellungen Weiße von Schwarzen und Schwarze von sich selbst haben. Die Porträts vom schwarzen Mann, der kaum sichtbar ist, da er schwarz im schwarzen Raum dargestellt ist, die weißen Zähne zeigt und grinst, sind chiffrierte Darstellungen, ironisch vereinfacht.

„Rassengesetze“

Marshall befasst sich mit der Frage, was die Identität der schwarzen Bevölkerung in den USA ausmacht, die er in Darstellungen von Alltagsmomenten besonders deutlich formulieren möchte. Er stellt klassische Bildformen aus der Kunstgeschichte auf den Prüfstand und übersetzt sie in neue Bilder, die wie aus dem Poesiealbum entnommen scheinen: glückliche schwarze Menschen, die wie ein Pendant zur heilen Welt der Weißen in den USA in den 1950er Jahren erscheinen, als Marshall in Alabama geboren wurde.

Die Wirklichkeit muss weniger heiter gewesen sein: Es galten da noch die „Rassengesetze“ für Schwarze, die im Bus hinten sitzen mussten, nur bestimmte Parkbänke nutzen durften, in abgetrennten Wohnbezirken hausten, keine beruflichen Aufstiegschancen hatten und vom „American Way of Life“ ausgegrenzt waren.

Daher verbirgt sich hinter der naiven Fröhlichkeit der Bilder, wo Familien feiern oder Kinder Fahrrad fahren, Paare sich küssen oder Frauen sich schminken, eine abgrundtiefe Gesellschaftskritik, mit der die Erinnerung an die Geschichte der Schwarzen in Zusammenhang der amerikanischen Geschichte im 20. und 21. Jahrhundert beleuchtet wird.

Hinter der naiven Fröhlichkeit verbirgt sich abgrundtiefe Gesellschaftskritik

Während der Umraum, in dem sich das abspielt, hell leuchtet und präzise dargestellt ist, sinken die Figuren als schwarze Form weg, wie bei Aufnahmen von Menschen vor einem Fenster im Gegenlicht – sie werden abstrahiert; ihre Identität verschwindet.

Gleiches Recht einfordern

Unsichtbarkeit ist ein zentrales Thema in Marshalls Werk, basierend auf der Auseinandersetzung mit Ralph Ellisons’ „Invisible Man“, dessen Protagonist ein namenlos bleibender Mann ist, der sich selbst für unsichtbar hält. Diese Unsichtbarkeit ist keine physische, sondern eine soziale Unsichtbarkeit, denn als Schwarzer wird er von seiner weißen Umwelt im Amerika der Nachkriegszeit nicht wahrgenommen. Marshall sieht dieses Muster bis heute fortwirken – etwa in der Unterrepräsentation schwarzer Kultur in den Institutionen.

In den Museen etwa, die er als Kind besuchte, fand Marshall die Geschichte der westlichen Zivilisation und eine Ästhetik des weißen Mannes, die ihn zuerst beeindruckte und begeisterte, später aber in die Frage mündete: „Was hat das mit mir, was hat das mit meiner Geschichte zu tun?“ Er beschloss, dass er eines Tages als gleichberechtigter Künstler inmitten dieser Kunst seinen Platz einfordern würde. Das ist ihm gelungen. Eine Retrospektive seiner Werke reist unter dem Titel „Mastry“ derzeit durch die großen US-amerikanischen Museen. Bis 3. Juli ist sie noch im MOCA in Los Angeles zu sehen.

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