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Polizei lässt Rocker schmoren

Spitzel Um einen V-Mann in der Rockerszene zu schützen, soll das Landeskriminalamt Kiel offenbar entlastende Angaben gegen einen Beschuldigten unterdrückt haben. Als zuständige Ermittler dagegen opponierten, sollen sie gemobbt worden sein

von Kai von Appen

Schwere Vorwürfe gegen das Landeskriminalamt (LKA) Schleswig-Holstein in Kiel: Um einen V-Mann in der Rockerszene zu schützen, sollen 2010 entlastende Informationen über zwei in Untersuchungshaft einsitzende Beschuldigte auf Weisung der LKA-Führung unterdrückt worden sein. Zwei dagegen remonstrierende Ermittler sollen daraufhin massiv unter Druck gesetzt, gemobbt und strafversetzt worden sein. Das ergeben Recherchen des Landtagsfraktionschef der Piratenpartei, Patrick Breyer.

„Das Vorgehen des Landeskriminalamts ist schockierend, grenzt an eine Verfolgung Unschuldiger“, sagt Breyer und fragt: „Werden auch in anderen Fällen zum Schutz eigener quellenentlastende Erkenntnisse unzulässigerweise unterdrückt?“ Die Innen- und Justizministerien bestreiten die Verfehlungen in mehren Kleinen Anfragen. „Mit irreführenden Antworten versucht die Landesregierung, mutmaßliches Fehlverhalten zu vertuschen“, erklärt Breyer. „Ich werde beantragen den Innenminister in den Innenausschuss zu zitieren“, kündigt er an.

Mitglieder der Rockergruppe „Bandidos“ hatten im Januar 2010 mit Schlagstöcken und Messern bewaffnet eine Gruppe der verfeindeten „Red Devils“ in einem Schnellrestaurant in Neumünster überfallen. Ein „Red Devil“ wurde dabei lebensgefährlich verletzt. Zwei erfahrene LKA-Beamte führten die Ermittlungen zu dem Fall.

Laut der von Breyer gesammelten Polizeiakten soll bereits im Juni 2010 ein V-Mann-Führer den beiden Ermittlern von einem Informanten berichtet haben, der einen in Untersuchungshaft sitzenden Bandido entlastete. Dieser habe sich demnach nicht zur Tatzeit am Tatort aufgehalten. Und auch ein anderer Beschuldigter sei nicht der Messerstecher gewesen. Die Angaben sollten aber nicht in der Ermittlungsakte dokumentiert werden, das habe er dem Informanten versprochen.

Die Ermittler sollen das Vorgehen als rechtswidrig angesehen haben, da es gegen Richtlinien verstoße. Vor allem, weil der V-Mann selbst Tatbeteiligter gewesen sei. Gleichwohl stellten sich die Vorgesetzten der Ermittler auf die Seite des V-Mann-Führers. Doch der Schutz des Spitzel war ihnen offenbar wichtiger als die Erkenntnisse für das Verfahren.

Einen Monat später soll einer der Ermittler dem zuständigen Staatsanwalt dann doch einen Vermerk mit den entlastenden Angaben übergeben haben. Am nächsten Tag soll ihm die Sachbearbeitung entzogen und er wenig später in eine andere Dienststelle versetzt worden sein. Tage später soll den Akten zufolge der V-Mann-Führer einen eigenen Vermerk der Ermittlungsakte beigelegt haben. Diese sollen aber eine Reihe von Fehlern enthalten haben. Als der zweite Ermittler diese Version korrigieren wollte, sei ihm das untersagt worden, woraufhin auch er die Sachbearbeitung niederlegte.

Um die Ermittler daran zu hindern, im Prozess im Dezember 2010 die entlastende Aussage vor Gericht offenzulegen, hatten sie vom LKA keine Aussagegenehmigung bekommen. Als das Gericht nachfragt, versieht das Rechtsreferat im Innenministerium „die in der Verfahrensakte anonyme Quelle“ mit einer Sperrerklärung. Die beiden Bandidos wurden allerdings auch ohne die V-Mann-Angaben vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen.

Um die Ermittler an einer entlastenden Aussage vor Gericht zu hinder, bekamen sie keine Aussagegenehmigung

Als Anfang 2011 der grüne Landtagsabgeordnete Thomas Fürther beim Innenministerium nachhakt, ob zwei Beamte die Ermittlungsgruppe zum Überfall wegen Differenzen mit den Vorgesetzten verlassen mussten, verweigerte das Innenministerium unter Klaus Schlie (CDU) die Antwort. In Folge hätten die beiden Ermittler nach den Recherchen des Piraten auf der Abschussliste gestanden, seien gemobbt worden. Es habe sogar Versuche gegeben, sie psychisch für dienstuntauglich erklären zu lassen, so Breyer.

Auf taz-Anfrage bestätigt der Kieler Rechtsanwalt Michael Gubitz den von Breyer aufgedeckten Sachverhalt. Gubitz hatte im Mai 2011 für einen Ermittler Strafanzeige und Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die damaligen Vorgesetzten erstattet –wegen Unterdrückung einer entlastenden Aussage. Die Ermittlungen verliefen im Sande, wie auch eine Klage wegen Mobbings und auf Schadenersatz wegen einer ausgebliebenen Beförderung. Seine Vorgesetzten sind indes die Karriereleiter nach oben geklettert wie der Landespolizeidirektor Ralf Höhs.

Breyers Konsequenz: Es werde eine Fehlerkultur in der Polizeiführung benötigt, die offen mit Fehlern umgehe, die nötigen Konsequenzen ziehe und Hinweisgeber auf Missstände vor Repressalien schütze, sagt er. „Dieser geschilderte Vorgang erschüttert das Vertrauen in eine rechtsstaatliche Polizei“. Weder das Innenministerium noch das LKA wollten sich Mittwoch zu dem Fall äußern.

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