: Das wird kein Zuckerschlecken
Brexit Die Eckpfeiler der EU für die Brexit-Verhandlungen sind wenig diplomatisch. Von Kompromiss keine Spur. Niemand sollte sich Illusionen machen, sagt die Kanzlerin
Aus BrüSsel Eric Bonse
Knallhart werden die Scheidungsverhandlungen zwischen der EU und Großbritannien werden „Da wird der Putz von der Decke fallen“, sagte der britische Außenminister Boris Johnson in London. „Ein Drittstaat, und das wird Großbritannien künftig sein, kann nicht über die gleichen oder gar noch bessere Rechte verfügen wie ein Mitglied der EU“, warnte Kanzlerin Angela Merkel in Berlin.
Sie habe das Gefühl, dass sich „einige in Großbritannien noch Illusionen“ machen, sagte Merkel in ihrer Regierungserklärung vor dem Brexit-Sondergipfel der EU am Samstag. Bei dem ungewöhnlich kurzen Treffen in Brüssel in Form eines verlängerten Mittagessen wollen die 27 EU-Staaten (ohne Großbritannien) ihre Verhandlungslinie für den britischen Austritt festklopfen.
Mit dem Start des Brexit-Pokers wird zwar erst Mitte Juni gerechnet – nach der überraschenden Wahl in Großbritannien. Doch schon jetzt bluffen beide Seiten, was das Zeug hält. Wer die Entwürfe für den Sondergipfel in Brüssel liest, könnte den Eindruck gewinnen, dass die EU den Brexit doch noch verhindern möchte. Zumindest möchte man ein Exempel statuieren, scheint es.
Die Abgeordneten des EU-Parlaments haben am Donnerstag mehrheitlich dafür gestimmt, Beförderungsbeschlüsse und Prämienzahlungen ihres früheren Präsidenten in einem Entlastungsbericht infrage zu stellen. Zudem wird die „Dauerdienstreise“ eines engen Schulz-Vertrauten nach Berlin als kritikwürdiger Umgang mit Steuergeldern bezeichnet. Der Mitarbeiter ist heute SPD-Wahlkampfmanager. Für diesen bedeutete die Vertragskonstruktion, dass er von einer 16-prozentigen Auslandszulage und von Tagegeldern profitieren konnte.
Mit Spannung wird nun erwartet, wie die Spitze des EU-Parlaments mit dem kritischen Bericht umgeht. Sie wird aufgefordert, eine regelwidrige Entscheidung von Schulz aus dem Jahr 2015 formal zu widerrufen, die mehreren Mitarbeitern langfristige Karrierevorteile sichern sollte. Sie war einfach durch einen anderen, weniger weitreichenden Beschluss ersetzt worden. (dpa)
Denn die Dokumente, die die EU-Diplomaten bereits fix und fertig vorbereitet haben, klingen undiplomatisch und kompromisslos. Raum für Verhandlungen lassen sie kaum noch. Zwar beteuern die 27, sie wollten einen „geordneten Austritt“ Großbritanniens, um „Unsicherheiten“ und „Störungen“ zu vermeiden.
Doch gleichzeitig stellt sich die Rest-EU auf ein mögliches Scheitern ein. „Die Union wird hart daran arbeiten, ein Ergebnis zu erzielen, wird sich aber darauf vorbereiten, die Situation in den Griff zu bekommen, wenn die Verhandlungen scheitern sollten“, heißt es in den Leitlinien für die auf zwei Jahre befristeten Austrittsgespräche.Am 29. März 2019 ist Schluss – dann muss der Scheidungsvertrag stehen, oder Großbritannien muss sehen, wie es alleine zurechtkommt. Als Erstes wollen die Kontinentaleuropäer über das Schicksal der 3,2 Millionen EU-Bürger reden, die in Großbritannien leben. Hier strebt die EU „gegenseitige Garantien“ an, die dann auch für 1,2 Millionen Briten auf dem Kontinent gelten würden.
Dann will die EU auf das Geld zu sprechen kommen. Brüssel präsentiert den Briten für den Brexit eine saftige Rechnung: Bis zu 60 Milliarden Euro sollen sie zahlen – für das noch laufende EU-Budget, bereits beschlossene Projekte und Bauten sowie für Kreditgarantien. Besonders pikant: Die Briten sollen wie bisher in jährlichen Beiträgen zahlen – in Euro, nicht in Pfund.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble möchte zudem verhindern, dass die Briten nach dem Austritt mit Steuerdumping und laxen Finanzmarktregeln die Stabilität der Union gefährden. Frankreich setzte noch eins drauf und verhinderte, dass klare Aussagen zu Finanzmarktdienstleistungen getroffen werden.
So will Paris verhindern, dass Finanzgeschäfte zum Teil eines „Deals“ werden, den die Briten anstreben. Premierministerin Theresa May würde nämlich am liebsten gleich auch über die künftigen Beziehungen sprechen und ein neues Handelsabkommen aushandeln. Doch die EU macht nicht mit – erst müsse es „ausreichende Fortschritte“ bei der Scheidung geben.
Als wenn das nicht alles schon kompliziert genug wäre, fordert die EU darüber hinaus Garantien für Nordirland und Gibraltar. Das wird kein Spaziergang; eher sieht es so aus, als seien London und Brüssel auf Crashkurs. Außenminister Johnson gibt sich trotzdem optimistisch: „Wir haben einen klaren Plan“, sagte er in London. Am Ende werde eine „neue Ära des Freihandels“ stehen.
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