: „Zerbrechlich wie das Glück“
Herdanziehung Die Suche nach besonderem Backwerk für die Ostertage führt zu gehaltvollen Rezepten und köstlichen Traditionen – bei den Nachbarn und in Übersee
von Denny Carl
Nach langer Zeit habe ich zu Ostern mal wieder etwas gefunden: ein kleines, entzückendes Buch namens „Altpolnische Küche und polnische Tischsitten“. Wer wie ich schon mal Gast bei einer polnischen Hochzeit war, liest ein solches Werk mit einer gewissen Vorahnung und staunt doch. Es erzählt unter anderem von der großen Bedeutung, die das Osterfest für unsere Nachbarn schon seit Jahrhunderten hat. Dabei war das österliche Backen damals ein „Mysterium“. So umschreiben die Verfasser die Ereignisse in der Karwoche.
Das weißeste Mehl wurde gesiebt, Hunderte Eigelb wurden getrennt, Rosinen verlesen und Safran in Wodka eingelegt – der Würze wegen. Für Ostern mussten die Kuchen perfekt werden. Die Frauen des Hauses schlossen sich in der Küche ein – und Männer aus. Der empfindliche Hefeteig hätte sich durch Zugluft „erkälten“ können. Es wurde sogar geflüstert. Auf einem Daunenkissen durfte der fertige Kuchen auskühlen. So drangen meist nur verführerische Düfte nach draußen. Oder Wehklagen, wenn beispielsweise der an Brioche erinnernde Oster-Napfkuchen namens „Babka“ misslang.
Manch altes Rezept des Buches, wie jenes des Musselin-Napfkuchens, scheint geeignet zu sein, die kalorischen Defizite der endenden Fastenzeit innerhalb eines Ostertages auszugleichen. Es will was heißen, wenn selbst meine Oma, Hüterin des gedruckten Kleinods und als Meisterin des Backens bei Geschmack tragenden Zutaten wahrlich nicht zimperlich, bei 24 Eigelben pro Kuchen ins Grübeln gerät.
Altpolnische Babkas werden mit Mandeln, Vanille, Rosinen und Zuckerguss verfeinert. Dank neupolnischer Rezepte werden Küchen heute oft wegen Schokoladen-Babkas (mit nur vier Eiern) abgeriegelt. Ein Blick über den Buchrand hinaus zeigt, dass die Babka nicht das einzige Gebäck dieser Art ist, das traditionell zu Ostern gehört. Auch die russischen Osterbrote „Paska“ und „Kulitsch“ können irgendwo zwischen Milchbrot, Gugelhupf und Panettone verortet werden. Zu den Zutaten der Paska gehört eine ordentliche Prise Aberglaube. Schon negative Gedanken lassen das Backwerk angeblich hart werden – ein schlechtes Omen für das ganze Jahr. Wird die reich verzierte Paska hingegen weich wie Daunen, steht Glück ins Haus. So einfach kann es sein. Rum oder Cognac sowie die Segnung durch einen orthodoxen Priester sorgen beim Kulitsch für eine gewisse „geistige“ Note. Auf vielen italienischen Ostertafeln sind Tauben der Gattung „Colomba Pasquale“ willkommen. Der Kuchen in Form einer fliegenden Taube wird mit Nüssen und kandierten Früchten dekoriert. Das Besondere am Schweizer „Osterküchlein“ ist seine saftige Milchreis-Füllung. Am Karfreitag wird in Finnland gern „Mämmi“ gereicht, ein stundenlang gebackener Malzpudding. Im Nahen Osten versüßen „Ma’amouls“, ein mit Datteln oder Nüssen gefülltes Grießgebäck mit Zimt, das Ende der Fastenzeit.
Die Berliner Biobäcker laden vom 9. bis zum 15. Mai zur Woche der offenen Backstuben ein. Sie öffnen ihre 15 Betriebe und präsentieren ihr Handwerk unter dem Motto „schauen, riechen, fühlen, schmecken“.
Die Besucher können Mühlen und Backstuben besichtigen, bei der handwerklichen Herstellung von Brot und Gebäck zuschauen sowie ihre eigenen Fähigkeiten dabei ausprobieren. Profis geben Tipps für gutes Gelingen – und halten das eine oder andere Probierhäppchen bereit.
Das Programm: www.berliner-bio-baecker.de/programm.htm.
Briten und Jamaikaner backen kleine Brötchen. Die „Hot Cross Buns“ sind mit Muskat, Zimt, Nelken und mitunter auch etwas Starkbier aufgepeppte Hefebrötchen, die ein Kreuz aus Glasur oder Teig tragen. Es soll an die Kreuzigung Jesu erinnern. Als die Briten sich und das Christentum in Jamaika einführten, brachten sie auch die Buns mit. Die jamaikanische Variante wird heute mit Früchten zubereitet und zu Ostern als „Bun and Cheese“ mit kräftigem Käse belegt verspeist. Herzhaftes Ostergebäck ist auch italienische und argentinische Tradition: Die „Torta Pascualina“ wird mit Spinat gefüllt.
Egal, wo auf der Welt österlich geschmaust wird. Gebacken wird, um es sich und anderen gutgehen zu lassen. In den Rezepten stecken nicht nur viele Kalorien, sondern auch Geschichte, Glaube und Hoffnung.
Was wird nun bei mir zu Ostern kredenzt? Etwas aus dem Büchlein, klar. Vielleicht „Mazurek“. Ein flacher Blechkuchen, der aus zwei Teigarten besteht und seit Jahrhunderten zu Ostern bunt und üppig mit Marmeladen, Trockenfrüchten und Nüssen bestückt wird. Oder eine mit Eischnee und Aprikosenmarmelade gefüllte „Krakauer Mürbe Torte“. Denn im Buch steht, man möge sie ein paar Tage reifen lassen, bis sie „fast so zerbrechlich wird wie das Glück“. Schön.
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