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„Die Weißen machen uns zu Opfern“

DIVERSITY Auch politisch korrekte Weiße neigen dazu, den armen Schwarzen helfen zu wollen – und sie damit kleinzumachen. Judy Gummich findet das verrückt: „Redet mit uns!“

taz: Frau Gummich, Sie sind in den Fünfzigern in Bayern geboren, leben also seit vielen Jahren als Schwarze in einem Land, das Schwarze Deutsche immer noch kaum zur Kenntnis nimmt. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Judy Gummich: Ich fühlte mich lange Zeit nirgendwo zugehörig. Ich wollte nicht zu den Schwarzen sortiert werden, weil über die ja nur negative Stereotype in Umlauf waren. Und das Deutschsein wurde mir als Schwarze abgesprochen.

Wann haben Sie begonnen, sich zu wehren?

Interessanterweise in der Friedensbewegung. In meiner Gruppe gab es eine weitere afrodeutsche Frau. Wir haben lange nicht miteinander gesprochen. Damals war es schwer zu ertragen, dass ein anderer Mensch das eigene vermeintliche „Stigma“ spiegelt. Das haben viele Schwarze so gehandhabt. Aber dann war sie bei einem Treffen Schwarzer Frauen in Amsterdam gewesen – und kam angereichert mit sehr viel Energie zurück und wollte nun die Verbindung herstellen. Ich kam gerade von einem Studienaufenthalt aus Ghana zurück, wo ich feststellte, dass ich die Entwicklungspolitik so nicht mittragen will. Das sind nach wie vor koloniale Strukturen. Sie rief mich an und wir gründeten zusammen mit anderen Schwarzen Frauen Adefra (Afrodeutsche Frauen, heute: Schwarze Frauen in Deutschland).

Dann haben Sie die Frauenbewegung entdeckt. „Ich habe sie entdeckt, sie hat mich nicht gesucht“, haben Sie darüber mal geschrieben. Was heißt das?

Wir wurden mit Skepsis betrachtet. Kurz gesagt hatten die weißen Frauen nicht auf dem Schirm, dass es Frauen of Color gibt. Die Frauenprojekte sind bis heute weiß dominiert. Wir erleben aber andere Formen der Diskriminierung, nicht nur als Frauen. Und für uns war klar, dass wir gegen den Rassismus gemeinsam mit Schwarzen Männern kämpfen.

Die deutsche Frauenbewegung war auf Männer ja nicht allzu gut zu sprechen. Aber mit den Schwarzen Frauen hätte man sich doch trotzdem solidarisieren können. Warum ging das nicht?

Die weißen Frauen hatten Angst, mit einem Thema konfrontiert zu werden, das die Schärfe ihrer Argumente verwässern könnte. Wir konnten ihnen nicht klarmachen, dass sie bestimmte Frauen ignorieren, wenn sie unsere Form der Unterdrückung nicht auch bekämpfen. Zudem verwiesen wir auch auf ihre Privilegien als Weiße. Das passte ihnen überhaupt nicht. Sie hatten gerade erst ihren Opferstatus definiert. Und nun sollten sie auch Täterinnen oder Mittäterinnen sein? Dann wäre ja die warme Decke weg, unter der sie gemeinsam steckten.

Heute wollen weiße Frauen oft Schwarze Frauen retten. Terre des femmes hat zum Beispiel um die Jahrtausendwende eine Kampagne gegen Genitalverstümmelung entwickelt, mit Schockbildern von rostigen Rasierklingen und Scheren. Adefra hat damals protestiert.

Gegen diese martialische Art haben wir uns gewehrt. Daraufhin warfen sie uns vor, für genitale Beschneidung zu sein, was natürlich Quatsch ist. Wir wollten nur nicht ungefragt so vereinnahmt werden. Die Kampagne tat so, als könnten Schwarze Frauen sich nicht selbst artikulieren. Das erinnert mich an die Entwicklungspolitik, wo bis heute die Weißen definieren, was die Probleme der People of Color sind. Wenn eine Hungerkatastrophe droht, wird ein Weißer interviewt, werden Schwarze hungernde Kinder auf Plakaten ausgestellt, koloniale Ursachen nicht erwähnt. Das ist doch verrückt.

Ändert aber nichts an der Hungerkatastrophe. Oder der Genitalverstümmelung. Terre des femmes möchte international die Frauenrechte stärken und solidarisch sein. Was sollte die Organisation anders machen?

Meine Perspektive ist immer: Lasst die Leute selbst reden. „Nichts über uns ohne uns“ ist die Devise dazu. Die weißen Frauen finden etwas skandalös, machen dazu eine Kampagne, ohne sich zu fragen: Was machen wir mit den Frauen, denen wir eigentlich nützen wollen, wenn wir sie auf ganzer Linie viktimisieren? Welche Effekte hat die Skandalisierung in den Ländern? Wollen die Frauen so eine Kampagne überhaupt? Darüber streiten auch Schwarze Frauen. Man könnte ihnen hier Raum geben, sich darüber auseinanderzusetzen.

Ähnliches Problem: Der Kopftuchstreit. Haben nichtmuslimische Frauen kein Recht, eine problematische Bekleidungsvorschrift, mit der viele Frauen schikaniert werden, zu kritisieren?

Es muss natürlich eine Entscheidung der Frauen sein, ob sie Kopftuch tragen oder nicht. Aber wenn sie sich dafür entscheiden, was haben dann die anderen damit überhaupt zu tun? Religionsfreiheit ist auch ein Menschenrecht.

Es ist ein Zeichen für eine Sexualisierung der Frauen, die ihr Haar vor den Männern verbergen sollen. Das ist schon problematisch, oder?

Aber die Gründe dafür, ein Kopftuch zu tragen oder nicht, sind vielfältig. Mir würde es um Diversity gehen. Das Kopftuch bedeutet in unterschiedlichen Kontexten Verschiedenes. Für die einen Frauen ist es eine emanzipative Tat es abzulegen, für die andern ist es emanzipativ, es zu tragen. Und man sollte Menschen, die anderer Meinung sind als man selbst, respektieren, anstatt sie zu diffamieren, wie es etwa die Zeitschrift Emma teilweise tut.

Judy Gummich

ist Diversity-Trainerin, Prozessbegleiterin, Coach und Beraterin. Ihre Themenschwerpunkte sind Menschenrechte, (Anti-)Rassismus, Inklusion und Diversity. Geboren und aufgewachsen ist sie in Bayern. Sie lebt mit ihrer Tochter, die das Downsyndrom hat, in Berlin.

Aber wenn man eine kämpferische feministische Grundhaltung hat, dann ist die Haltung, alle Meinungen zuzulassen, nicht gerade hilfreich. Es ist schwieriger, Kampfgeist zu entwickeln.

Es ist aber essenziell wichtig, diese Spannungsbereiche zuzulassen. Die Einigkeit besteht für mich darin, gemeinsam gegen jede Form von Diskriminierung einzutreten.

Was würden Sie als Diversity-Trainerin der Emma raten?

Ich finde, dass eine Zeitschrift die optimale Möglichkeit hat, verschiedenen Sichtweisen von Frauen Raum zu geben. Wenn man Feministin ist, dann sollte man allen Frauen zuhören – und nicht nur denen, die der eigenen Meinung sind. Es kommen übrigens auch wenig behinderte Frauen zu Wort.

Die Kritik der Schwarzen Frauen an den weißen gibt es schon lange. Hat sich gar nichts verändert?

Es geht in Wellen. Gegenüber meiner Kindheit hat sich einiges verändert. Ich gehe einfach durch die Straßen, die Leute sind daran gewöhnt, dass viele verschiedene Menschen da sind – zumindest in Großstädten. Es wird nicht mehr so geschaut. Wenig hat sich allerdings auf der strukturellen Ebene verändert. Wo sind die schwarzen Nachrichtensprecher*innen, Politiker*innen, erfolgreichen Geschäftsleute? Und Trans*personen haben massive Probleme in der Arbeitswelt. Mit ihnen wird nun langsam gesprochen, aber mit Intergeschlechtlichen Menschen noch nicht. Da werden zum Beispiel gesunde Kinder immer noch krankoperiert – mit lebenslangen Folgen.

Worüber sind die Menschen in Ihren Diversity-Trainings am meisten überrascht?

Sie denken, sie sind homogen. Dabei muss man nur mal fragen, woher ihre Großeltern kommen, oder ob sie nicht auch Familie im Ausland haben. Und dann grübeln sie: Ist die DDR Ausland gewesen? Und meine russlanddeutsche Oma? Die einen Russen geheiratet hat? Wenn sie diese Heterogenität wahrnehmen, dann sind sie meist auch für andere Differenzen offener.

Welche Rolle spielen Critical-Whiteness-Trainings, also Seminare, in denen Weiße sich ihrer Privilegien bewusst werden sollen?

Solche Seminare biete ich persönlich nicht an. Weiße können sich offener unter Weißen damit beschäftigen.

Aber die sehen dafür wenig Anlass.

Ja, weil Privilegien bequem sind.

Was wäre die Konsequenz, wenn ich mir meines Weißseins bewusst wäre?

Ihnen würde eher klar werden, dass Sie Ihre Privilegierung nutzen könnten, um sich gegen Diskriminierung einzusetzen. Sie arbeiten bei einer Zeitung. Sie könnten Schwarzen Menschen Raum für Ihre Perspektiven geben. Der Gesellschaft muss klar werden: Wir sind alle von Rassismus betroffen, nur auf unterschiedliche Weise. Man kann ihn durch Ignoranz fortführen – oder etwas dagegen tun.

Hat sich mit dem Aufstieg der AfD etwas für Sie verändert?

Die AfD bereitet mir Unbehagen. Ich sehe Tendenzen, die ich aus der Nazizeit kenne. Menschenrechte zählen nicht mehr. Vieles, was wir für selbstverständlich halten, ist es längst nicht mehr – und zwar weltweit. Gut ist, dass Widerstand geleistet wird. Und die AfD bräuchte natürlich Diversity-Trainings. Wenn die mal sehen würden, wie heterogen sie alle sind. Da fällt mir ein: Mein Großvater ist aus Schlesien, ich sollte mich mal bei der schlesischen Landsmannschaft melden und sagen: „Übrigens, ich gehöre auch dazu.“ Die wären erfreut!

Interview Heide Oestreich

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