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Debatte Rechtspopulismus in EuropaKeine Angst vor AfD-Fans!

Kommentar von Renate Künast

Es bringt nichts, mit Hass auf Hass zu reagieren. Ich rede mit Anhängern von AfD, Pegida & Co. Denn: Ist an unserer Politik wirklich alles richtig?

Nicht nur Abgehängte und Springerstiefel-Träger jubeln AfD & Co zu Foto: imago/Future Image

D er Weg vom Populismus zum Extremismus ist nicht weit. Vom Wort zu Tat und Gewalt genauso wenig. Daraus kann man nur eine Konsequenz ziehen: Wir müssen reden! Ich bin überzeugt, dass die qualitative Veränderung des rechten Spektrums andere Reaktionen von uns erfordert als bisher. Definitiv reicht es nicht aus, diese Entwicklungen und Verhaltensweisen nur zu kritisieren. Mit Hass auf Hass zu reagieren, schafft ihn nicht ab, sondern bestätigt ihn lediglich – ganz zu schweigen davon, dass wir damit nicht zum Vorbild taugen.

Es geht heute um nicht mehr oder weniger als das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft unter den Bedingungen des digitalen Zeitalters. Was derzeit passiert, ist kein begrenzter Rechtsextremismus mehr, vielmehr breitet und weitet sich rechtsextremer Populismus immer weiter aus. Er stellt eben nicht nur Umgangsformen infrage, sondern vergiftet das gesellschaftliche Klima, verhindert Engagement und Meinungsäußerung. Doch Demokratie und Freiheit sind Grundpfeiler unserer Gesellschaft.

Seit geraumer Zeit erleben wir eine Neuorganisation des Rechtspopulismus und -extremismus. Wir haben in den letzten 20 Jahren eine massive Veränderung gesehen: Statt Springerstiefeln und Bomberjacke hat sich ein White-Collar-Rechtsextremismus entwickelt. Die Junge Freiheit ist ihr analoges Medium. Gezielt suchen diese Bewegungen schon auf Schulhöfen und in Jugendzentren nach Anhängern. Ihr Traum sind „national befreite Zonen“.

Professor Heitmeyer, Konflikt- und Gewaltforscher, erklärte uns mit seiner Studie zu „Deutsche[n] Zustände[n]“, wie weit verbreitet und verankert rechtsextreme, fremdenfeindliche, antisemitische und homophobe Einstellungen sind. Diese gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit hatte sich – außer einigen Kameradschaften und dem NSU – den alten rechtsextremen, verfassungsfeindlichen Parteien wie der NPD nicht zuordnen wollen. Von der Mitte der Gesellschaft aus betrachtet erschien das lange lediglich als ein Randproblem.

Bei AfD-Anhängern an die Tür geklopft

Dann kam Pegida, kaperte den Montag und rief: „Wir sind das Volk.“ Der Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke gründete die Alternative für Deutschland (AfD) – eine Partei, die ihn schon bald selbst verdrängte, um sich über die EU-Ablehnung hinaus weit am rechten Rand anzusiedeln. Jetzt wurde endlich gesagt, was ihrer Meinung nach ausgesprochen gehört. „Meinungsfreiheit“ nennen sie ihren Hass. Sie sind getragen von der Ablehnung aller, die anders sind oder anders denken, besonders die, die politisch Verantwortung übernehmen. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit hat ihre Organisationsform gefunden.

Was gab es nicht alles für Reaktionen aus der Politik auf diese stetig anwachsende Hate Speech in den sozia­len Netzwerken. Mich hatte das alles gegruselt. Zum Beispiel, wenn am Morgen nach einer Talkshow 271 Posts auf meiner Facebook-Seite aufliefen, von denen nur zwei bis drei als normal geäußerte Kritik einzustufen waren und der Rest als Hassbotschaften, Herabwürdigungen, Beleidigungen. Was denken sich diese Menschen eigentlich? Wollen sie nur ihren Hass und Frust abladen – oder erwarten sie ernsthaft, dass sich ein derart Beschimpfter daraufhin demütig ihren Alltagssorgen widmet?

Ihre Hassbotschaften mit Hass oder Herabwürdigungen zu beantworten – manche nutzen die Worte „Mob“ oder „Pack“ nun in umgekehrter Richtung –, wäre kontraproduktiv. Und sowieso sinnlos dort, wo es eine gezielte Strategie von Pegida und AfD war. Ich habe mich deshalb entschlossen, hinzugehen, persönlich zu klingeln, den Verfassern einen großen Ausdruck ihres Posts entgegenzuhalten und sie zu fragen: „Warum schreiben Sie mir das?“

Natürlich bin ich an der Haustür sicherheitshalber einen Schritt zurückgetreten. Und in einer sehr einsamen Gegend parkt man das Auto besser gleich in Fahrtrichtung. Aber ich wollte echt wissen: Wer schreibt das? Denken diese Leute ernsthaft so abfällig über mich, über andere – erwarten aber umgekehrt Respekt und offene Ohren?

Rettet ihr immer nur den Rest der Welt?

Für mich bleibt nach den Gesprächen hängen: Diese Ausbrüche finden nicht bei den Abgehängten und Chancenlosen statt. Mitten in der Gesellschaft wachsen Emotionen und Unverständnis, wird der Raum für Fakten immer kleiner. Im Netz werden nur noch Bestätigungen bestehender Einstellungen gesucht oder gefunden, weil die Algorithmen das liefern. Aber da kam auch die Frage: Beschäftigt ihr euch auch mal mit uns? Oder rettet ihr immer nur den Rest der Welt? Für mich ergibt sich daraus: Ist das die Reaktion auf falsche und rasante Globalisierung und zu wenig Erklärung.

Diese Erfahrung hat mein Denken und Nachdenken verändert, die Perspektive breiter gemacht. Der persönliche Kontakt hat viele Fragen und Vorurteile aufgelöst, Zusammenhänge wurden sichtbar, Motive klarer.

Gespräche außerhalb der Filterblase helfen. Aus Emotion und Aufregung kann Interesse werden. Dem verbalen Furor und der Dauererregung folgen Straftaten. Also müssen wir reden. Differenzieren. Ausweitung verhindern. Rechtspopulismus ist nicht gleich Rechtspopulismus. Finden wir erst einmal heraus, wer eine manifeste Einstellung hat, wer verunsichert ist über Globalisierung und Internationalisierung, wer sich Sorgen um sein Leben macht. Reden wir zuerst mit denen. Für mich gilt: Wer unsere demokratische Struktur erhalten will, muss zur Auseinandersetzung bereit sein und Zeit investieren.

Aber reden allein reicht nicht. Wir brauchen ein gemeinsames konsequentes Vorgehen von Politik und Gesellschaft. Daneben eine Polizei und Staatsanwaltschaft, die sensibel ist und konsequent Straftaten verfolgt. Wir müssen rote Linien aufzeigen. Wer redet, um tatsächlich etwas herauszufinden, muss offen sein. Auch für eigene Veränderung. Reden ist nämlich keine Einbahnstraße. Dialog bedeutet, sich zu fragen: Was ist an unserer Politik möglicherweise falsch? Was ist an der Art und Weise der Globalisierung falsch? Einige Antworten müssen auch uns wehtun. Sonst war es kein offenes Gespräch.

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6 Kommentare

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  • Komisch, dass dieser Text ohne das Wort Rassismus auskommt...

  • "Der Weg vom Populismus zum Extremismus ist nicht weit. Vom Wort zu Tat und Gewalt genauso wenig. Daraus kann man nur eine Konsequenz ziehen: Wir müssen reden!"

     

    Es gab mal viele Demos gegen Flüchtlinge und Gegendemos gegen die NPD. Dabei kam es öfters aus den Reihen der NPD Anhänger, dass sie um die Mieten, Lohne, Arbeitsplätze etc. fürchten.

     

    Hätten wir evtl. gemeinsame Nenner wie:

     

    -Mieten,

    -Lohne,

    -Arbeit,

    -HARTZ IV…

     

    Das ist jetzt primär auf Berlin und Deutschland bezogen. In den anderen Ländern haben Menschen bestimmt dieselben Sorgen.

     

    Es gibt eine wissenschaftliche Theorie. Viele Menschen, die Probleme haben, suchen immer nach jemanden, der daran schuld sein soll. Und selber ist man fast nie schuld. Wenn aber es viel zu viel an rechter Propaganda zu sehen und zu hören ist, dann kann man schnell Schuldige (wie z.B. Flüchtlinge) finden.

     

    Wir müssen also oft nach wirklichen Problemen suchen, die die Menschen mit angeblich oder tatsächlich fremdenfeindlichen Einstellungen haben. Finden wir diese Probleme und beseitigen diese, dann wird bestimmt viel weniger an Fremdenfeindlichkeit übrig bleiben!

     

    Liebe Politikerinnen und Politiker, jetzt sind Sie gefragt!

  • Renate Kynast ist Jahrgang 1955. Unter "Verantwortung übernehmen" hat ihr Vater noch verstanden, seiner Tochter zu einem Hauptschulabschluss zu raten - und zu einer möglichst frühen Ehe. Die Tochter hat sich davon nicht beirren lassen. Hätte sie auf das Verantwortungsgefühl ihres Vaters vertraut, wäre sie heute nicht Politikerin.

     

    Das vorausschickend möchte ich Frau Kynast gerne fragen, was sie selbst unter "Verantwortung übernehmen" versteht. Wie alle anderen Politiker*innen ist sie angetreten, weitreichende Entscheidungen im Namen völlig fremder Menschen zu treffen, die sie weder kennt noch liebt. Weil sie das darf, wenn sie gewählt wurde von einem Teil der Wählerinnen und Wähler. Die Entscheidungen, die sie treffen möchte, müssen andere Menschen umzusetzen, nicht sie. Wieso wundert sie sich, dass sie derart viel Ablehnung erfährt?

     

    Immerhin: Die wenigsten Berufspolitiker wollen wissen, wie die Leute ticken, die keine potentiellen Wähler*innen ihrer Partei sind. Die wenigsten Spitzenpolitiker würden an Türen klingeln, hinter denen Kritiker*innen wohnen. Schon gar nicht ohne Bodyguards. Wie ganz zuletzt in der DDR werden inzwischen wieder Gullydeckel zugeschweißt, wenn Kanzlerin oder Minister "unters Volk" gehen und ihre Staatsgäste ausführen durch ihr Reich. Sicher ist schließlich sicher.

    • @mowgli:

      Renate Kynast fragt, was sich die Leute denken, die sie anonym beschimpfen, ob sie nur ihren Hass abladen wollen, oder ernsthaft erwarten, dass sich die Beschimpften ihren Alltagssorgen widmen. Die Frage, denke ich, kann ich beantworten, auch wenn ich sie nicht alle kenne, "die AfD-Wähler*innen: Nein, sie erwarten nichts von "den Politikern", die Leute. Außer vielleicht Entscheidungen, die ihnen nicht gefallen. Deswegen laden sie ja ihren Frust bei ihnen ab.

      Zu Menschen, von denen man sich noch etwas erwartet, ist man nicht derart fies. Die Sache ist, dass es sich umgekehrt verhält. Die Leute haben erst "Respekt und offene Ohren" erwartet, weil ja die Rede von Demokratie gewesen ist und von Verantwortung. Und als sie weder das eine noch das andere bekommen haben, haben sie angefangen, abfällig über die Politiker zu denken.

       

      Nein, es fehlt nicht an Erklärungen. Auch rote Linien fehlen nicht. Es fehlt an Empathie. Berufspolitiker haben sich zu einer eigenen Kaste entwickelt, die kaum Kontakt nach "unten" hat, sondern sich in aller erster Linie um die vermeintlich Großen kümmert oder um die, die sehr weit weg sind - und dann natürlich um sich selbst. Sie reden, ja. So viel, dass andre nicht zu Wort kommen. Aber leider nicht mit allen. Verantwortung? Sieht anno 2017 dann doch anders aus.

       

      Frau Kynast hat vermutlich völlig recht: "Wer unsere demokratische Struktur erhalten will", zum Beispiel, weil er super davon leben kann, der "muss zur Auseinandersetzung bereit sein und Zeit investieren." Schön, dass wenigstens eine anfängt, zu kapieren. Auch, wenn sie vielleicht nur so tut.

      • @mowgli:

        Ihr Verständnis für die "von der Politik enttäuschten Bürger", oder was es sonst noch für Euphemismen für diese rechten Deppen gibt, ist ja fast grenzenlos. Mein Verständnis würde wachsen, wenn diese Leute tatsächlich mal echte Probleme adressieren würden und nicht bloß ihre um Ausländer, Kriminelle und Medien kreisenden Pseudoprobleme, die man ja angeblich ernst nehmen muss...

         

        Von Frau Künast (!) hätte ich mir etwas mehr Reflexion und weniger Binsen erwartet. Auch wenn ich die Idee, Hasskommentatoren im persönlichen Gespräch zu stellen, an sich gut finde.

  • Tja, und? Was haben Sie an Selbsterkenntnis erreicht, Frau Künast? Mir fällt eine Menge ein, was die aktuelle Politik einschließlich der Grünen falschgemacht hat. Aber wirklich nachhaltig ist es, glaube ich, nur, wenn Sie selber drauf kommen. Und Ihre und andere Parteien befinden sich erst dann auf dem richtigen Weg, wenn man das Gefundene dann auch aussprechen kann, ohne von Parteifreunden niedergemacht zu werden.