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Runter von der Bremse!

Mobilität Die Autoindustrie ist zu wichtig, um sich selbst überlassen zu werden. Schluss mit Komplizenschaft, her mit Kontrolle und Regulierung

Richard Rother

Jahrgang 1969, ist taz-Redakteur für Wirtschaft und Umwelt. Vornehmlich beschäftigt er sich mit Mobilitäts- und Unternehmensthemen. Seine Pkw-Fahr-Erlaubnis nutzt er regelmäßig – mit einem Kleinwagen eines VW-Tochterunternehmens.

von Richard Rother

Für die europäische und deutsche Autoindustrie beginnt das neue Jahr, wie das alte endete: turbulent. Am Donnerstag muss Ex-VW-Chef Martin Winterkorn vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zum Abgasskandal aussagen und die Frage beantworten, wann er was wusste. Am Freitag übernimmt der designierte US-Präsident Donald Trump, der Firmen mit hohen Strafzöllen droht, die Amtsgeschäfte. In Frankreich ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Renault. Und die US-Umweltbehörde hat Fiat Chrysler im Verdacht, illegale Abschalteinrichtungen bei der Abgasreinigung von Dieselfahrzeugen eingebaut zu haben.

All das zeigt: Die gesamte Branche, ohnehin großen technologischen und ökonomischen Umwälzungen entgegensehend, steht gewaltig unter Druck. Wenn sie die Herausforderungen der Zukunft meistern will, muss sie endlich reinen Tisch machen. Die Politik muss ihre Rolle als Handlangerin der Industrie ablegen und stattdessen aktiv aufklären, gestalten und kontrollieren.

Geflecht von Abhängigkeiten

Denn der Abgasskandal beweist in aller Deutlichkeit: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Bei der Kontrolle versagt haben nicht nur die Behörden in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Staaten. Überall zeigt sich ein Geflecht von Abhängigkeiten zwischen Industrie, Politik, Universitäten und Prüforganisationen. Es spricht Bände, dass Umweltorganisationen, die dem schon lang gehegten Verdacht auf Manipulationen nachgehen wollten, in Deutschland jahrelang kein Labor fanden, das bereit war, Autos unter die Lupe zu nehmen, und in die Schweiz, kein EU-Mitglied, ausweichen mussten.

Ebenso Bände spricht, dass erst US-Behörden kommen mussten, um die Betrügereien von Volkswagen – und jetzt möglicherweise von Fiat und vielleicht noch anderen Konzernen – aufzudecken. Die amerikanischen Behörden erweisen sich als konsequent, und zwar auch gegenüber der eigenen Industrie, wie das Vorgehen gegen Fiat Chrysler eindrucksvoll demonstriert.

Damit wird auch der in Deutschland hinter vorgehaltener Hand geäußerte Vorwurf widerlegt, die USA betrieben mit harten Strafen gegen Volkswagen Industriepolitik zugunsten der heimischen Konzerne. Schließlich fehlt dem Wolfsburger Konzern jeder Euro, der zur Wiedergutmachung der Betrügereien über den großen Teich wandert, für wichtige Investitionen in Zukunftsprojekte.

Man kann nur hoffen, dass die US-Behörden auch unter der neuen politischen Führung konsequent bleiben. Erste Andeutungen von Fiat-Chef Sergio Marchionne, Trump mit Investitionszusagen für Fabriken in den USA milde stimmen zu wollen, lassen daran Zweifel aufkommen. Schließlich scheint Trump Politik eher wie einen Immobiliendeal zu verstehen nach dem Motto: Gibst du mir, geb ich dir. Bei einer solchen Herangehensweise könnte man glatt übersehen, dass in einigen Fiat-Fahrzeugen die Abgasreinigung nach 22 Minuten vollständig abgeschaltet wird. Wer weiß, dass der offizielle Fahrzeugzyklus in der Regel 20 Minuten dauert, wird sich verwundert die Augen reiben. Zufälle gibt’s.

Die Betrügereien und Tricksereien bei der Abgasreinigung von Dieselfahrzeugen, die quer durch die Branche stattfanden, untergraben das Vertrauen der Verbraucher in das hochpreisige Produkt Auto. Denn wenn die Abgasreinigung ganz oder teilweise heruntergefahren wird, um Fahrzeuge aus Profitgründen etwas billiger produzieren und mehr Leistung aus den Motoren holen zu können, stimmt ein Grundsatz nicht mehr: Was draufsteht, muss auch drin sein. Und wenn dadurch Stickoxide, die die Gesundheit der Menschen gefährden, in einem im Wortsinn atemberaubenden Ausmaß emittiert werden, grenzt das an Körperverletzung. Dazu darf es nie wieder kommen.

Leider kommt die Aufklärung, gelinde gesagt, nur schwer in Gang. Zu groß ist die Befürchtung überall in Europa, der wichtigen Autoindustrie zu schaden. Das ist verwerflich, hat aber einen wahren Kern. Denn natürlich ist, insbesondere in Deutschland, die Autoindustrie eine Basis für den ökonomischen Erfolg. Und ohne den gelänge es nicht, Europa zusammenzuhalten und humanitäre oder umweltpolitische Verantwortung zu übernehmen. Aber deshalb die Autoindustrie mit Samthandschuhen anfassen – das geht nicht. Selbst die Rückruf-Aktionen, die VW in Deutschland auferlegt wurden, sind halbherzig. So kontrolliert niemand, ob nach der Umrüstung die Fahrzeuge die Abgaswerte überhaupt einhalten.

Die Autoindustrie mit Samthandschuhen anfassen – das geht gar nicht

Musterklagerecht nötig

Auch die neuen Verfahren zur Typgenehmigung von Fahrzeugen sind nicht der Weisheit letzter Schluss. Selbst bei realistischeren Labor- und Straßentests kann betrogen werden. Nötig wäre daher, dass wie in den USA Fahrzeuge zu Prüfzwecken aus dem normalen Verkehr gezogen werden. Nur dann können Behörden feststellen, ob Autos, die ein paar Jahre im Betrieb sind, noch die vorgegebenen Werte einhalten. Und Verbraucher, die sich über den Tisch gezogen fühlen, müssen sich juristisch besser wehren können; dazu wäre ein Musterklagerecht nötig.

Die Autoindustrie ist zu wichtig, um sie sich selbst zu überlassen. Das gilt nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch. Wie soll eine Verkehrswende gelingen, wenn die Industrie umweltpolitische Auflagen immer erst torpediert und dann im Alltag ignoriert? Neue technische Möglichkeiten bieten jedenfalls Chancen, den Wunsch vieler Menschen nach motorisierter Individualmobilität umweltgerechter zu gestalten: Apps machen flächendeckendes Car-Sharing möglich, Motoren werden immer sparsamer, alternative Antriebe wie das Elektroauto werden günstiger und alltagstauglicher. Auch hier muss die Politik Vorgaben machen und die Einhaltung kontrollieren. Ein Verbot des Verbrennungsmotors scheint überzogen, aber Quoten für Elektroautos wären durchaus sinnvoll, um E-Autos zum Marktdurchbruch zu verhelfen.

Wenn die Industrie jammert, dies sei zu viel Regulierung, bleibt diese deutliche Antwort: Wirklich rigoros wären viel weitergehende Vorgaben – etwa zu Obergrößen der Fahrzeuge je nach Klasse, Höchstgeschwindigkeiten ab Werk oder Maximalverbräuchen.

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