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Die Stadt ist leer

Sehnsucht Berlinerin, Istanbulerin: die Ex-Bürgermeisterin Cornelia Reinauer über ihre zweite Heimat

Foto: privat
Cornelia Reinauer

63, war von 2002 bis 2006 Friedrichshain-Kreuzberger Bürgermeisterin. 2007 zog die gelernte Bibliothekarin an den Bosporus und organisierte den Austausch zwischen Istanbul und Berlin. Vergangenes Jahr hat sie ihre Wohnung in Istanbul aufgegeben.

„Istanbul hat mich geflasht, als ich in den 80er Jahren das erste Mal dort war. Ich wollte unbedingt mal länger dort leben. Die Stadt erschien mir damals wir ein sich selbst organisierendes Chaos – bunt gemischt, lebendig, interessant.

Das hat sich heute allerdings sehr verändert. Die Istiklal Caddesi etwa, eine große Einkaufsstraße, die am zentralen Taksimplatz beginnt, ist heute sehr leer. Früher drängelten sich dort die Menschen, heute geht nur noch hin, wer unbedingt muss.

Die Menschen haben Angst, nicht nur vor Anschlägen. Man passt heute auch auf, was man in der Öffentlichkeit oder im Taxi laut sagt. Beyoğlu, der Bezirk um den Taksimplatz, war immer eine Art Blase, in der vor allem libertäre Menschen lebten, ein Ausgehviertel. Jetzt fühlt man deutlich, wie diese Blase enger wird. Man sieht auch im Stadtzentrum immer mehr wütende Nationalisten auf der Straße. Bei meinem letzten Besuch habe ich deswegen darauf geachtet, draußen nur Türkisch zu reden, denn ich hatte keine Lust, von denen angepöbelt zu werden.

Angst hatte ich eigentlich nie, ich war politisch aktiv, oft auf Veranstaltungen der HDP. Als Ausländerin musste man schon aufpassen, dass man nicht ins Visier irgendwelcher Polizisten gerät. Jetzt mache ich mir Sorgen um meine Freunde in Istanbul, noch mehr aber um die im Osten der Türkei. Sie leben in Angst und sind hoffnungslos und verzweifelt über die Situation ihres Landes. Nicht wenige haben ihre Jobs verloren. Gegen viele laufen Ermittlungen oder Anklagen. Deswegen fahre ich weiterhin in die Türkei, auch wenn ich mich jedes Mal frage, ob ich das Regime damit nicht unterstütze. Die Freunde freuen sich, wenn wir kommen, sie brauchen Unterstützung.

Von hier aus bemühe ich mich, denen zu helfen, die für eine Zeit ins Ausland wollen, um mal wieder durchatmen zu können. Dies kann man beispielsweise über eine Einladung zu einem Vortrag oder mit einem Stipendium ermöglichen. Auch als Kooperationen mit der Türkei noch einfacher waren, war es für Künstler oder Studierende nicht selbstverständlich, ein Visum zu bekommen. Deshalb haben wir 2009 beim 20-jährigen Jubiläum der Städtepartnerschaft den Verein Forum Istanbul Berlin gegründet, um Kontakte unterhalb der politischen Ebene zu ermöglichen. Und das werden wir auf jeden Fall aufrechterhalten. Ich bleibe mit Istanbul also weiter verbunden. Und auch meine Sehnsucht nach der Stadt bleibt.“

Protokoll Alke Wierth

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