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Die Frage nach der Verantwortung

Schwarzer Peter Trotz Observierung konnte sich der tatverdächtige Anis Amir in Deutschland bewegen. Die CSU sieht die Schuld bei der Bundeskanzlerin. Die CDU weist das ab und zeigt auf SPD und Grüne

Bundesinnenminister de Maiziere bestätigt am Donnerstag, dass Amirs Fingerabdrücke am Tatfahrzeug gefunden wurden Foto: Michael Kappeler/dpa

von Anja Maier

BERLIN taz | Zweieinhalb Wochen ist es erst her, dass Angela Merkel vor riesigem Publikum eine ihrer Drei-Wort-Formeln bemüht hat. Beim CDU-Parteitag in Essen hatte sich die Kanzlerin zur Flüchtlingspolitik ihrer Regierung geäußert. Knapp zusammengefasst lautet Merkels Mantra bei diesem Thema seit sechzehn Monaten: Aufnahme – Rückführung – Integration.

Bei den Themen Aufnahme Hilfebedürftiger und Integration der Bleibeberechtigten finden Merkels Kritiker, dass Deutschland da viel zu großzügig sei. Beim Aspekt Rückführung der Nicht-Hilfebedürftigen hingegen erkennen sie staatliches Vollversagen. Der Fall des Anis Amri scheint ihnen recht zu geben.

Der 24 Jahre alte tunesische Staatsangehörige steht im Verdacht, den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt begangen zu haben. Bei der Gewalttat am Montagabend starben zwölf Menschen, Dutzende wurden teils schwer verletzt. Was nun über den Umgang der deutschen Behörden mit dem als Gefährder eingestuften Amri bekannt wird, scheint sämtliche Vorurteile der Merkel-Kritiker zu bestätigen.

Der im Sommer 2015 nach Deutschland eingereiste Mann brachte es scheinbar mühelos fertig, durch sämtliche Zuständigkeitslücken zwischen verschiedenen Bundesländern zu flutschen. Obwohl den Sicherheitsbehörden bewusst war, dass Anis Amri ein gewaltbereiter Radikalislamist ist und sogar observiert worden war, konnte dieser zwischen Baden-Württemberg, Berlin, Nordrhein-Westfalen und wieder Berlin pendeln. Dort soll er schließlich den Anschlag verübt haben.

Mag sein, dass die Zusammenarbeit zwischen den Landesbehörden miserabel gelaufen ist – verantwortlich für die Sicherheit der Bürger ist letztlich die Bundesregierung. Horst Seehofer, dessen CSU mit Merkels CDU die Unionsfraktion im Bundestag bildet, hatte sich sofort nach dem Unglück von der Kanzlerin zu distanzieren versucht. Man sei es den Opfern schuldig, so der CSU-Chef in München, „dass wir unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren“. Seine Worte wählte er, noch bevor sich Merkel aus dem Kanzleramt zu dem Anschlag geäußert hatte.

Angesichts der neuen Erkenntnisse bekräftigte Seehofer am Donnerstag seine Einlassung. Der Funke-Mediengruppe sagte er, das eine sei die Anteilnahme, die Trauer, die Bestürzung. Das andere aber sei die Verantwortung. Politiker müssten „den Blick auch auf die Konsequenzen aus so einem Ereignis richten“. Dem widerspricht die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die CDU-Politikerin und Merkel-Vertraute empfahl dem Bayern via Spiegel: „Erst aufklären, dann sachlich diskutieren und erst am Ende, falls erforderlich, Gesetze ändern.“

CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach versuchte, die Kritik auf den Koalitionspartner zu lenken. Die SPD, sagte Bosbach im ZDF, blockiere die Einrichtung sogenannter Transitzentren, in denen noch vor der Einreise die Identität von Flüchtlingen geklärt werden könne. Außerdem forderte Bosbach die Grünen auf, im Bundesrat der Einstufung Tunesiens, Algeriens und Marokkos als sogenannte sichere Herkunftsländer zuzustimmen. Bei Flüchtlingen aus diesen Ländern liege die Anerkennungsquote bei weniger als einem Prozent. Die Grünen hatten den Status sicherer Herkunftsländer für die drei Maghrebstaaten im Bundesrat verhindert. Für Bürger dieser Länder gelten beschleunigte Asylverfahren.

„Erst aufklären, dann sachlich diskutieren“

Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU)

Seine Parteivorsitzende dagegen nahm Bosbach in Schutz: Er halte es für „perfide“, Angela Merkel die Schuld an dem Anschlag in Berlin zuzuweisen. Gleichwohl müsse der Sicherheitspolitik größere Bedeutung zugemessen werden. „Alleine bei dem Satz – er ist ja richtig –, die Flüchtlinge nicht unter Generalverdacht zu stellen, kann es nicht bleiben.“

Beim Essener Parteitag hingegen war die CDU nicht zimperlich, wenn es um Flüchtlingspolitik ging. Die Zahl der Ausreisepflichtigen, heißt es im dort beschlossenen Leitantrag, werde sich in den kommenden Monaten „signifikant erhöhen“. Zu diesem Zweck wolle man als gefährlich eingestufte Flüchtlinge schneller in Abschiebehaft nehmen und die Zeit des Gewahrsams von derzeit vier Tagen auf vier Wochen ausdehnen. Gegen einmal Abgeschobene soll eine Wiedereinreisesperre verhängt werden.

Vor allem aber: „Der Bund, die Länder und die Gemeinden müssen bei der Rückführung von abgelehnten Bewerbern an einem Strang ziehen.“ Nur so, unter Ausschöpfung der rechtsstaatlichen Mittel, könne die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung erhalten werden. Als die tausend Delegierten das beschlossen, saß irgendwo in Berlin Anis Amri und dachte vermutlich darüber nach, wie er den Terror nach Deutschland bringen könnte.

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