: Ukip gegen Labour im englischen Brexit-Land
Grossbritannien Bei der nächsten Nachwahl zum britischen Parlament will der neue Ukip-Chef ein erstes Zeichen setzen
Aus Sleaford Daniel Zylbersztajn
Ukip hat Horden von AnhängerInnen nach Sleaford geladen. Mit Parteimaterialien in der Parteifarbe Lila stehen sie an allen Ecken der 18.000-Einwohner-Stadt in Lincolnshire im ostenglischen Flachland. An der Hauptkreuzung winkt eine Mittfünfzigerin mit ihrem Ukip-Plakat, während ein älterer Herr mit einem lilafarbenen Ukip-Plakat herumläuft. Autos mit Ukip-Fahnen an den Fenstern und Ukip-Schildern an den Türen zirkeln durch die Gegend. Über ein Megafon ertönt die Botschaft, dass am Abend der neue Ukip-Parteichef im Cricket-Ortsverein spricht.
Die britischen Rechtspopulisten wollen am Donnerstag im Wahlkreis Sleaford & North Hykeham ihr zweites Direktmandat im Londoner Unterhaus ergattern. Der bisherige konservative Wahlkreisabgeordnete Stephen Phillips ist wegen Differenzen mit Premierministerin Theresa May zum Brexit zurückgetreten. Zwischen 60 und 76 Prozent der Wähler in Lincolnshire, Zentrum der Agrarindustrie mit ihren osteuropäischen Billigarbeitskräften, stimmten beim Referendum im Juni für den Brexit. Ukip will diese Stimmen.
Anhörung:Am britischen obersten Gericht hat am Montag eine Verhandlung zum Brexit begonnen. Der Supreme Court entscheidet, ob es eine Abstimmung im Parlament geben muss, damit die Regierung den Austritt aus der EU einleiten darf. Eine niedere Instanz gab im Oktober dem Parlament recht. Ein Urteil wird im Januar erwartet.
Protest: Vor dem Gericht demonstrieren zum Verhandlungsauftakt EU-Unterstützer. „Wir leben in einer Zeit, wo der Pöbel das Wort hat, und so fängt Faschismus an“, sagt ein spanischer Maler vor seinem Kunstwerk: Farage und Le Pen in SS-Uniform unter einem Bild von Trump. Nur ein Rentnerpaar hält dagegen: Die Richter drinnen würden von der EU bezahlt, „dies ist kein fairer Prozess“, sagen sie unter ihren Brexit-Plakaten. Eine Gruppe ruft laut „Brexit ist rassistisch!“ Ein Mann erwidert: „Es war der demokratische Wille der Briten per Abstimmung. Wieso ist das rassistisch?“ (dzy)
Die 57-jährige Ukip-Kandidatin Victoria Ayling besuchte als Studentin Treffen der rechtsextremen National Front, „zu Studienzwecken“, wie sie sagt. Vor drei Jahren gelang ein Video von ihr in die Öffentlichkeit, in dem sie alle Immigranten „nach Hause“ schicken wollte.
Abends im Cricket-Ortsverein betont Ayling lieber ihre Arbeit als Kreisrätin. Die Tories würden der Region „nur Brotkrumen geben“. Ihre Arme fahren nach oben, sie fordert mehr Ärzte, mehr Busse und Straßen ohne Schlaglöcher. Gegen Windräder ist sie auch. Den Anwesenden, etwa die Hälfte davon selber im Rentenalter, gefallen diese Worte.
Dann ist Paul Nuttall an der Reihe. Vor einer Woche zu Nigel Farages Nachfolger als Ukip-Chef gewählt, ist der kahlgeschorene 39-Jährige im schwarzen Anzug mit rosa Krawatte und dicker schwarzer Brille bekannt für seine Forderungen nach Wiedereinführung der Todesstrafe und Einschränkung des Abtreibungsrechts.
Ukip-Chef Paul Nuttall
Nun preist er mit geballter Faust Ukip als „radikale Partei gegen das Establishment, gegen jene, die auf Dinnerpartys über Klimawandel und fairen Handel quatschen“. Ukip, sagt Nuttall, sei die „wahre patriotische Stimme“ für den Brexit. Er verlangt die Streichung der Entwicklungshilfe sowie das Ende von Genitalverstümmelung, Zwangsehen und Patriarchat – alles, ohne ein einziges Mal das Wort „Immigranten“ zu sagen. Er endet mit einem Churchill-Zitat. Die begeisterten Zuhörer applaudieren stehend. Am Ende des Abends stehen Ukip-Anhänger mit großen lilafarbenen Eimern vor der Tür und sammeln Spenden.
Die großen Parteien trommeln weniger laut. Vom Bahnhof schreiten ein paar Konservative Richtung Ortsmitte. „Ich bin hier, um unserer Kandidatin zu helfen“, der Kinderärztin Caroline Johnson, sagt eine aus London angereiste Abgeordnete. Bei den Wahlen 2015 holten die Tories den Wahlkreis noch mit 56 Prozent gegen 17 für Labour und 16 für Ukip. Vorige Woche aber holten die Liberaldemokraten im Wahlkreis Richmond Park einen ähnlichen Rückstand auf.
Kann Ukip das auch? Nicht, wenn es nach Labour geht. Leicht ermattet sitzt Labour-Kandidat Jim Clarke, ein 45-jähriger Müllmann mit festem Händedruck im roten Sweatshirt mit der Aufschrift „Labour“ in seinem kleinen Büro und gibt sich überrascht, dass er aufgestellt wurde: „Ich bin ein ganz gewöhnlicher Kerl“, meint er. Dass Ukip Labour den Platz als Arbeiterpartei streitig machen will, bringt ihn zum Lachen: „Wir sind ja wohl die Partei, die sich für die Rechte von Arbeitern einsetzt.“
Ukip sei die Partei der Rassisten, sagt ein Labour-Wähler auf der Straße. Aus dem Ukip-Büro leuchtet ein Weihnachtsbäumchen mit lila Lichtlein.
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