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„Jedes einzelne gerettete Huhn zählt“

Tierschutz Der Verein „Rettet das Huhn“ vermittelt seit 2009 Legehennen aus der Landwirtschaft an Privatpersonen. So entgehen die Tiere der Schlachtung

Interview Jördis Früchtenicht

taz: Frau Laab, Ihr Verein „Rettet das Huhn“ holt von Landwirten Legehennen ab, die sonst mit etwa anderthalb Jahren geschlachtet würden. Stattdessen werden sie an Privatleute vermittelt. So konnten Sie schon über 40.000 Hühner retten. Wie viele dieses Jahr?

Stefanie Laab: Bislang etwa 7.000 Hühner, es kommt aber im Dezember noch unsere bislang größte Aktion mit 4.500 Hennen. Ob wir es schaffen, alle zu retten, ist allerdings noch offen. Es fehlen noch Menschen, die bereit sind, Hühner aufzunehmen.

Bei über 39 Millionen Legehennen in Deutschland sind die Rettungsaktionen doch ein Tropfen auf den heißen Stein.

Ja, es werden jedes Jahr 40 Millionen Legehennen in Deutschland getötet. Sie bleiben nur ein Jahr im Betrieb und werden dann durch neue Hennen ersetzt. Da sind unsere geretteten 40.000 natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber es sind eben auch 40.000 Leben. Selbst wenn es nur drei wären: Für jedes Huhn, das wir retten, ist es das einzige Leben. Außerdem wird Aufmerksamkeit erregt. Die Leute berührt es. Sie erzählen es weiter, wenn sie einem Tier begegnen, das dem „System Massentierhaltung“ entkommen ist und eigentlich schon tot wäre.

Wie kommen Sie an die Hühner? Bezahlen Sie die Landwirte dafür?

Nein, wir zahlen kein Geld. Der Schlachtwert variiert nach Marktlage. Momentan ist die schlecht, die Hennen sind fast wertlos. Wenn die Landwirte die Hennen normal ausstallen und zum Schlachthof transportieren lassen, entstehen Kosten. Die sind meist höher als der Wert der Tiere. Deswegen zahlen wir auch nichts, denn wir wollen die Betreiber der Legehennenställe auf keinen Fall unterstützen. Wir machen die Ausstallung, wir holen die Tiere ab. Für den Bauern ist das eine Nullrechnung.

Wie funktioniert die Vermittlung?

Wir müssen bereits vor dem Rettungstermin genügend Leute finden, die Hühner aufnehmen wollen, da wir keinen Hof haben, wo wir mal eben ein paar Hundert Hühner unterbringen können. Wir vermitteln deutschlandweit. Es gibt viele tierliebe Menschen, die zum wiederholten Mal Hühner aufnehmen, aber auch immer wieder Hühner-Anfänger. Die Hennen leben im Durchschnitt zwei, drei Jahre im neuen Zuhause, eine längere Lebenserwartung haben sie leider nicht mehr. Normalerweise würden die Hühner länger leben, zehn oder zwölf Jahre. Aber die Lege-Hybriden, die in der Eierproduktion eingesetzt werden, sterben früher. Häufig an Komplikationen im Legeapparat: Sie legen so viele Eier, dass sie davon krank werden.Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, wenn man Hühner adoptieren will?

Wir geben die Hühner nur in Gruppen von mindestens zwei und höchstens 30 Tieren ab, größere Gruppen sind nicht artgerecht. Es müssen mindestens zehn Quadratmeter Auslauffläche pro Huhn vorhanden sein. Das Gelände sollte raubtiergeschützt sein. Zudem ist ein warmer, sauberer, trockener Stall notwendig, der in der Nacht Schutz bietet. Außerdem müssen die Menschen bereit sein, im Bedarfsfall mit den Hühnern zum Tierarzt zu gehen. Die Hühner sollen nicht mehr als Nutztiere betrachtet werden, sondern aus Tierschutzgedanken heraus aufgenommen werden. Und sie dürfen natürlich auf keinen Fall geschlachtet werden.

Wer helfen will, kann auch Pullover für die Hühner nähen. Was hat es damit auf sich?

Die Hennen aus der Bodenhaltung sind, wenn wir sie bekommen, zum Teil fast nackt. Bis das Gefieder nachgewachsen ist, schützen die Pullis sie vor den Witterungsbedingungen – im Winter vor der Kälte, im Sommer vor der Sonne. Auch schützen sie die Hennen gegen das weitere Bepicken.

Gerade die Geflügel- und auch die Eierproduktion stehen wegen der Haltungsbedingungen immer wieder in der Kritik. Wen sehen Sie hier in der Verantwortung?

Ich sehe die Politik genauso wie die Verbraucher in der Verantwortung. Die Landwirte sind natürlich auch für ihre Tiere verantwortlich. Dennoch wäre es am effektivsten, wenn alle einfach anfangen würden, keine Qualprodukte mehr zu kaufen. Dann würden die irgendwann nicht mehr so hergestellt. Wir haben in der Hand, was wir kaufen.Welche Eier kann man Ihrer Meinung nach noch kaufen?

Stefanie Laab

43, ist erste Vorsitzende des Vereins „Rettet das Huhn e. V.“. Die Grundschullehrerin lebt mit ihrer Familie und vielen Tieren in Niedersachsen.

Eigentlich sollte man gar keine kaufen. Denn bei Bio-Eiern bestehen die gleichen Probleme. Auch Biohühner werden bereits nach einem oder eineinhalb Jahren getötet, es ist die gleiche Verschwendung von Leben. Die männlichen Küken werden getötet. Die Hennen werden mit einer so hohen Legeleistung gezüchtet, dass es schon eine Qualzucht ist. Ihnen werden die Schnabelspitzen kupiert, damit man sie überhaupt auf so engem Raum halten kann. Selbst in der Freilandhaltung nutzt häufig nur ein kleiner Teil der Hühner die Freiläufe, weil sie gestresst sind und eine Rangordnung fehlt. Sogar die kleinen Bauern, die an der Straße Eier verkaufen, haben oft irgendwo eine Halle mit 200 Hühnern, von denen keins den Stall verlässt. Wenn man doch Eier kauft, dann möglichst bei einem kleinen Betrieb mit Bio-Siegel, wo man alle Hühner des Betriebs sehen kann. Oder von Freunden, die Hühner haben.

Ihr Verein hat neben den Hennen auch einige ehemalige Milchkühe und Pferde vor dem Schlachter gerettet. Wollen Sie Ihre Arbeit auf andere Nutztiere ausdehnen?

Das wäre zwar ein Traum, aber geplant ist es nicht. Wir arbeiten alle ehrenamtlich, und das nimmt viel Zeit in Anspruch. Wir brauchen zur Finanzierung viele Patenschaften, und die müssen betreut werden. Wir versuchen schon, auf die Probleme der Tiere aufmerksam zu machen, aber im Moment haben wir leider nicht die Kapazitäten, noch mehr Großtiere aufzunehmen.

Versagen wir als Gesellschaft bei den Bedingungen für die Nutztierhaltung?

Ja. Die Leute finden die Haltungsbedingungen schrecklich, wenn sie die entsprechenden Bilder sehen. Aber sie gehen dann trotzdem in den Supermarkt oder zu McDonalds und kaufen Fleisch und Milch, als wenn das selbstverständlich wäre. Als wäre es selbstverständlich, als ausgewachsener Mensch die Milch eines anderen Säugetiers zu trinken – wenn man das mal neutral betrachtet.

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