Überwachung im Nahverkehr Hannover: Taxifahrer wollen Kameras
In Hannovers Taxis soll künftig jeder Fahrgast fotografiert werden. Dabei ist die Zahl der Überfälle überschaubar. Ein Konzept dafür ist nun genehmigt.
Zum Schutz ihrer FahrerInnen vor aggressiven Gästen fordern FunktionärInnen des „Deutschen Taxi- und Mietwagenverbands“ seit Jahren, dass jede Fahrt vollständig in Bewegtbildern festgehalten werden müsse. Unter den Datenschutzbeauftragten der Länder herrscht dagegen Einigkeit, der Überwachung enge Grenzen zu setzen. „Eine permanente Filmaufzeichnung während der gesamten Fahrzeit ist nicht verhältnismäßig“, erklärt Landesdatenschützerin Thiel. Auch in Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein werden Fahrgäste deshalb nur zu Beginn der Fahrt fotografiert – dauerhafte Filmaufzeichnungen oder das Mitschneiden von Gesprächen während der Fahrt sind hingegen nicht zulässig.
Nötig sei, die Sicherheitsinteressen der TaxifahrerInnen und die Freiheitsrechte der Fahrgäste, also etwa das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, gegeneinander abzuwägen, sagt Thiel: „Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass jeder Fahrgast ein potenzieller Straftäter ist.“ Würden alle BürgerInnen pauschal unter Kriminalitätsverdacht gestellt und jede Taxifahrt deshalb in voller Länge gefilmt, käme dies einer anlasslosen Datensammlung gleich. „Und die haben wir auch schon im Fall der sogenannten Vorratsdatenspeicherung abgelehnt“, sagt Thiel.
2015 gab es zehn Taxi-Raubüberfälle in Hannover
„Die Angst fährt immer mit“, argumentiert dagegen der Geschäftsführer von „Hallo Taxi“, Wolfgang Pettau. Er will seinen FahrerInnen eine „größtmögliche Sicherheit“ bieten und kündigt an, die jetzt genehmigte Fotoüberwachung zu Beginn der Fahrt schnellstmöglich in all seinen 583 Wagen installieren zu lassen. Wie viele seiner FahrerInnen bereits Opfer einer Straftat geworden sind, hat er nach eigenen Angaben allerdings nicht festgehalten.
In Hannovers Bussen und Straßenbahnen wird jeder Fahrgast gefilmt – immer und während der gesamten Fahrzeit.
Niedersachsens Landesdatenschutzbeauftragte Barbara Thiel hatte vor zwei Jahren versucht, diese Beobachtung rund um die Uhr zu untersagen.
Das Nahverkehrsunternehmen Üstra legte Widerspruch ein. Aktuell befasst sich das Oberverwaltungsgericht mit dem Fall.
Die Üstra argumentiert, 90 Prozent ihrer Fahrgäste unterstützten die Videoüberwachung: Sie vermittle ein besseres Sicherheitsgefühl.
Die anlasslose, flächendeckende Überwachung aller Fahrgäste hält Thiel dagegen für unverhältnismäßig. Auch könne das von der Üstra eingesetzte „Black-Box-Verfahren“ nur bei der Aufklärung von Straftaten helfen, sie aber kaum verhindern: Das System zeichnet nur auf.
Lediglich beim „Monitoring-Verfahren“ werden die Bilder in Echtzeit von Menschen beobachtet, die im Notfall auch eingreifen können – doch dieses System nutzt die Üstra nicht.
Insgesamt scheint die Zahl der Taxiüberfälle überschaubar: Im Jahr 2014 zählte Hannovers Polizei fünf „räuberische Überfälle auf KraftfahrerInnen“, ein Jahr später waren es zehn – und damit nur etwa ein Prozent aller in der Landeshauptstadt begangenen Raubstraftaten. Datenschutzbedenken kann „Hallo Taxi“-Chef Pettau trotzdem nicht nachvollziehen. „Bei Kranken- und SchülerInnenfahrten wird das System überhaupt nicht aktiviert“, verspricht er. Auch würden die zu Fahrtbeginn gemachten Fotos verschlüsselt und könnten nur im Notfall von der Polizei ausgelesen werden.
Nicht unwahrscheinlich ist deshalb, dass bald alle Taxis in der Landeshauptstadt videoüberwacht werden. Zwar ist Ingo Schröder, Geschäftsführer des „Hallo Taxi“-Konkurrenten „Mein Taxi“, überrascht, dass Datenschützerin Thiel das Pilotprojekt überhaupt genehmigt hat: „Bisher hieß es immer, eine Videoüberwachung im öffentlichen Nahverkehr, zu dem ja auch Taxis zählen, sei schwierig.“ Aktuell streitet die Datenschutzbehörde mit dem Nahverkehrsunternehmen Üstra vor Niedersachsens Oberverwaltungsgericht darüber, ob die permanente Videoüberwachung von Hannovers Bussen und Straßenbahnen rechtmäßig ist (siehe Kasten). „Über die Einführung des jetzt genehmigten Systems werden wir aber auf jeden Fall nachdenken“, sagt „Mein Taxi“-Chef Schröder.
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