: Mit Martinshorn auf „fremdes Staatsgebiet“
Einsatz Die Polizei war von der Aggressivität des Täters überrascht, der SEK-Einsatz in Nordbayern soll aufgearbeitet werden. Kritik trifft aber vor allem die bayerische Landesregierung und ihren bisherigen Umgang mit den „Reichsbürgern“
„Vor dem Einsatz heulte draußen das Martinshorn, um dem Bewohner deutlich zu machen, dass es sich um Polizisten, nicht um Einbrecher handelt“, so Elke Schönwald, Sprecherin des Polizeipräsidiums Mittelfranken. Doch als die vier Beamten noch dabei waren, die Treppe in den ersten Stock zu erklimmen, wo sich Wolfgang P. in einem Raum verschanzt hatte, flogen ihnen schon die Projektile entgegen.
Der selbsternannte „Reichsbürger“ eröffnete durch die geschlossene Tür hindurch das Feuer. Zwei Polizisten erlitten leichte Verletzungen durch Glassplitter, einer erhielt einen Durchschuss am Arm. Ihr 32-jähriger Kollege aber wurde dreifach getroffen. Ein Geschoss prallte von seinem Schutzhelm, ein weiteres von seiner Weste ab, die dritte Kugel aber traf ihn unglücklich im schmalen ungeschützten Schulterbereich. Von hier drang die Kugel in den Körper ein und richtete schwere innere Verletzungen an, denen der junge Mann in der Nacht auf Donnerstag erlag.
Wie konnte es passieren, dass der Einsatz einer Spezialtruppe in einer solchen Tragödie endete? „Gerade weil wir wussten, dass der Mann schwer bewaffnet ist, wurde ja eine Sondereinheit geschickt“, so die Polizeisprecherin Schönwald. Natürlich werde der Einsatz aufgearbeitet und auch nach eventuellen Fehlern gesucht, aber dazu könnten bislang keine Auskünfte erteilt werden. Trotzdem scheint die Polizei von der Aggressivität des Mannes überrascht worden zu sein. „Es gab vorher keinerlei Hinweise, dass der Mann körperlich gewalttätig geworden wäre“, gibt Schönwald zu.
Wolfgang P. war dem Landratsamt Roth bereits vor Monaten durch seine Verweigerungshaltung aufgefallen. In seiner Gemeinde hatte er sich abgemeldet, blieb aber dort wohnen. Zudem zahlte er keine Kfz-Steuer, selbst dann nicht, als bei ihm Zollbeamte in Begleitung zweier Polizisten auftauchten. Schon im Mai hatten Mitarbeiter des Landratsamts die Waffen von Wolfgang P. kontrollieren wollen. Doch der hatte ihnen den Zutritt verwehrt. Ein zweiter Besuch im Juli blieb ebenfalls erfolglos.
Anfang August erhielt P. ein Anhörungsschreiben. „Ich bin Reichsbürger“, schrieb er zurück. Sprich, mit staatlichen Stellen kooperiert er nicht. Anfang September wurde ihm die Zuverlässigkeit abgesprochen. Er erhielt einen Bescheid, der seinen Jagdschein und seine Waffenbesitzkarte als ungültig erklärte, verbunden mit einer Frist, seine Waffen abzugeben. Als Wolfgang P. diese nicht einhielt, bat das Landratsamt Roth das Amtsgericht Schwabach um Amtshilfe. Das erteilte Ende September einen Durchsuchungs- und Sicherstellungsbeschluss: Wolfgang P. sollten per Polizeigewalt seine 31 Schusswaffen entzogen werden.
Nun endete dieser Einsatz mit einem Mord. Der Täter Wolfgang P. wurde am Donnerstag dem Haftrichter vorgeführt. Der Tatvorwurf lautet auf vollendeten Mord mit versuchtem Mord und gefährlicher Körperverletzung. Der Angeklagte machte dazu bislang keine Angaben.
Am Mittwoch, wenige Stunden nach dem Drama in Georgensgmünd, fand im bayerischen Landtag eine Anhörung statt. Experten und Opposition warfen der Regierung vor, seit Jahren bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus viel zu sehr auf den Verfassungsschutz und repressive Strategien gesetzt zu haben. „Wir brauchen die frühe Verhinderung von Radikalisierung durch zivilgesellschaftliches Engagement“, so die Grüne Katharina Schulze.
Ein weiterer Aspekt ist ihr wichtig: „Die Mitarbeiter in staatlichen Stellen wie eben in Landratsämtern oder bei Polizeiinspektionen brauchen mehr Unterstützung und Informationen für den Umgang mit diesen Extremisten.“ Schließlich suchten die „Reichsbürger“ am ehesten mit diesen die Konflikte. margarete moulin
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