Peter Kossen über die Fleischindustrie: „Perfides System von Abhängigkeit“
Prälat Peter Kossen nennt die Arbeitsumstände in der Fleischbranche „sklavereiähnlich“. Der Mindestlohn hat wenig verbessert.
taz: Herr Kossen, was macht es mit einem Menschen, wenn er den ganzen Tag Gliedmaßen abtrennt, Kadaver zerlegt, Küken schreddert?
Peter Kossen: Das ist sicher eine schwere Arbeit, die Menschen körperlich und psychisch sehr beansprucht. Da, wo die Fleischerei noch ein Handwerk ist und keine Massenproduktion, wird es wahrscheinlich auch ordentlich betrieben. Aber wo es massenhaft geschieht, wo der Mensch und das Tier hintan stehen und letztlich der Masse geopfert werden und auch dem Profit, da macht es Menschen kaputt.
Sie sprechen von „sklavereiähnlichen Bedingungen“.
Die Notlage der Menschen, die sie in ihren Heimatländern oft haben, wird ausgenutzt. Menschen werden oft mit falschen Versprechungen aus Osteuropa angeworben. Wenn zum Beispiel 1.500 Euro, ein Bett im Zweibettzimmer und drei Mahlzeiten pro Tag versprochen werden, ist die Wirklichkeit, die sie vorfinden, eine andere.
47, ist ständiger Vertreter des Bischöflichen Offizials in Vechta und Vorsitzender des Landes-Caritasverbands Oldenburg.
Wie sieht die Realität aus?
Nicht selten müssen die Leute ihren Pass an ihren Subunternehmer abgeben, Löhne werden vorenthalten, die Leute werden hingehalten. Der Arbeitgeber ist oft auch der Wohnungsgeber. Die Leute werden brutal abgezockt für ein Rattenloch, 14,50 Euro pro Nacht für das Bett im Vierbettzimmer. Es entsteht ein ausgefeiltes, perfides System von Abhängigkeit.
Hat sich durch die Einführung des Mindestlohns vor zwei Jahren etwas verbessert?
Für manche schon, aber der Zoll zum Beispiel hat gar nicht das Personal, das zu kontrollieren. Beim Hauptzollamt in Osnabrück haben sie einen Mitarbeiter mehr bekommen seit Einführung des Mindestlohns – für den Nordwesten Deutschlands ist das so gut wie nichts.
Bekommen die Werkvertragsarbeiter denn ihren Mindestlohn?
Zum Teil wird der ausgezahlt. Aber das Problem ist, dass häufig auf den Abrechnungen keine Stundenzahl vermerkt ist. Sie kriegen dann 167 Stunden nach Mindestlohn bezahlt, haben de facto aber 260 Stunden gearbeitet.
Wie ist die Branche organisiert?
Die Stammbelegschaft hat man in den letzten 20 oder 25 Jahren sehr zurückgefahren. Wir haben jetzt einen Durchschnitt von 80 Prozent Werkvertrags- oder Leiharbeitern. Für die ist der Betriebsrat nicht zuständig, und sie sind in der Regel auch keine Gewerkschaftsmitglieder. Dadurch hat man einen riesigen Graubereich, der ermöglicht, dass man simpelste Sozialstandards unterlaufen kann.
Wie wird da getrickst?
Man hat Stellschrauben über den Transport zur Arbeitsstelle oder die Vermietung von Arbeitsmitteln, sodass man den Mindestlohn zwar auszahlt, auf der anderen Seite aber einen ganzen Teil davon wieder einkassiert.
Ist das legal?
Eigentlich nicht, aber es geht so, dass das Messer oder der Sicherheitshandschuh geliehen oder gekauft werden muss. Oder dass die Arbeiter Strafgelder zahlen müssen für schlecht gereinigte Messer. Das ist willkürlich und unrechtmäßig.
Erhoffen Sie sich irgendwas von der internationalen Fleischkonferenz der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die gestern stattgefunden hat?
Da saß ja auch die Fleischindustrie am Tisch. Es ist schon gut, wenn die miteinander reden. Aber was ich sehe ist, dass da auch viel kosmetisch gemacht wird. Das ist Sand-in-die-Augen-streuen. Man findet neue Wege, die Ausbeutung geschickter zu kaschieren. Was ich nicht sehe, ist eine Haltungsänderung. Es gilt als legitim, dass eine Zwei-Klassen-Gesellschaft existiert: Es gibt die einen, die einen gewissen Arbeitsschutz genießen, und die anderen, für die das nicht gilt.
Was schlagen Sie vor?
Die bestehenden Gesetze müssten besser kontrolliert werden, die Behörden müssten Personal und rechtliche Handhabe haben, um das durchzusetzen. Und ich glaube, dass man Obergrenzen setzen muss, wie viel Prozent Werkvertragsarbeit erlaubt ist. Das wird sich nicht von alleine regulieren. Da braucht es den Gesetzgeber.
Sind Sie Vegetarier?
Nein, aber ich esse deutlich weniger Fleisch, seit das ein Thema für mich ist.
Stehen Sie mit Ihrer Haltung in der Kirche alleine da?
Ich bin nicht der Erste und nicht der Einzige, aber ich habe es in den vergangenen Jahren vermisst, dass die leitenden Leute in den Kirchen ein gemeinsames Wort gesprochen und Veränderung gefordert hätten.
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