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Die Schönschwätzer-Partei Deutschlands

kommentar Woran liegt es, dass die SPD bei der Wahl ihr schlechtestes Ergebnis eingefahren hat? Sie greift nicht die Themen der Menschen auf, die sie zu vertreten glaubt, und sie ist unglaubwürdig, weil sie Probleme schönredet, schreibt unser Gastautor

So ein Personenschützer hilft manchmal, aber nicht immer: Heute steht Michael Müllers (r.) Canossa-Gang im Landesvorstand an Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

von Wolfgang Harnischfeger

Zum besseren Verständnis: Ich bin einer der Partei-Yetis, die auf keiner Abteilungsversammlung gesehen werden, deren Existenz man aber mittels 44 Jahre langer Beitragszahlungen nachweisen kann. Kurz: Ich bin ein langjähriges, passives, aber an politischen Fragen interessiertes Mitglied der SPD in Berlin.

Mit der These des Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh, die SPD habe sich von der „Volkspartei zur Staatspartei“ gewandelt, wurde eine entscheidende Ursache für die starken Stimmverluste bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin am 18. September bereits benannt. Die Partei selbst wird aber immer noch geschont. Dabei liegt in ihren inneren Strukturen eine zentrale Erklärung für ihren Niedergang.

Als Beleg dienen mir eigene Erfahrungen und die Veröffentlichungen, zum Beispiel die monatliche Zeitung des Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf, meines Heimatkreises. Wer sie liest kommt zu dem Ergebnis, innerhalb der SPD herrsche ein reges, interessantes Innenleben mit der Aura eines spannenden Vereins, der zum Mitmachen einlädt. Tatsächlich werden die monatlichen Versammlungen, die meist unter einem thematischen Schwerpunkt stehen, jedoch nur von einem Bruchteil der Mitglieder besucht, deutlich weniger als zehn Prozent, die im übrigen immer dieselben Personen sind.

Nicht selten werden auf diesen Versammlungen weltbewegende Resolutionen zu globalen Themen gefasst, die dann im Zuge eines ausgeklügelten Antragswesens an die Kreisebene und später in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) beziehungsweise auf die Landesebene weitergeleitet werden. Dabei soll hier nicht das Antragswesen als Vehikel des Basiswillens von unten nach oben kritisiert werden, sondern die Tatsache, dass schon die kleinste Einheit – die Unterabteilung – eine Repräsentationsebene von wenigen für alle darstellt und die Themen oft nicht aus dem Lebensumfeld der Menschen kommen, für die zu sprechen beansprucht wird.

Die einzelnen Versammlungen sind oft mit hochkarätigen – im Sinne von bekannten – Rednern besetzt, die meist aus der SPD kommen und ihrerseits dieses Spiel der Scheinaktivitäten mitspielen und nicht resignieren, wenn sie vor sechs Personen sprechen, weil sie für die eigene Nominierung ihrer Basis gegenüber den Nachweis vielfältiger Aktivitäten brauchen. Alle Versammelten wissen, dass die erzielte Wirkung meist über die Anwesenden nicht hinausgeht.

Abschreckende Rituale

Es wird nicht einmal die Mehrzahl der Parteimitglieder dadurch angesprochen, geschweige aktiviert, und neu erscheinende Mitglieder entwickeln schnell ein Gefühl der Fremdheit und des Eindringens in private Sphären und kommen nicht wieder. Für junge Menschen ist das Ritual der scheinbaren oder auch echten Diskussionen mit anschließender Resolution abschreckend. Versuche, daran etwas zu ändern, sind nicht erkennbar.

Die SPD wird öffentlich nur über ihre Spitzenvertreter wahrgenommen, bei denen aber ein neues Problem auftaucht, das sich exemplarisch an Sigmar Gabriel im Bund und an Michael Müller im Land Berlin zeigen lässt. Beide vereinen in ihrer Person ein hohes Regierungsamt und den Parteivorsitz, ein typisches Merkmal einer Staatspartei. Gabriel tritt als Wirtschaftsminister für Freihandelszonen ein, während in der Partei solche Bestrebungen als weitere Entfesselung des Kapitals angesehen werden. Mit dem Ergebnis, dass Widerstand gegen eine Handelsliberalisierung als Widerstand gegen den Parteivorsitzenden erlebt bezieh­ungsweise dargestellt wird.

Heute streitet sich die SPD

Am Dienstagnachmittag kommt der Vorstand der Berliner SPD zusammen, um über die Gründe für den Wahlausgang bei der Abgeordnetenhauswahl am 18. September zu reden. Die Partei hatte lediglich 21,6 Prozent der Zweitstimmen bekommen – das schlechteste Ergebnis seit 60 Jahren –, war aber stärkste Partei geblieben.

Nach der Wahl war vom Parteivorstand eine AG Wahlanalyse eingerichtet worden; vor deren Bilanz am heutigen Dienstag will sich Regierungs- und Parteichef Michael Müller nicht zum seit knapp zwei Wochen andauernden Streit um das Ergebnis äußern.

Zuerst hatte Fraktionschef Raed Saleh in einem Beitrag im Tagesspiegel Müller kritisiert. Danach meldete sich SPD-Vize und Bildungsstaatssekretär Mark Rackles zu Wort. Er wiederum warf Saleh vor, jener führe die notwendige Debatte ausschließlich öffentlich und nicht in den Gremien. (taz)

Die Delegierten des Parteikonvents, die kürzlich dem Abkommen Ceta mit Kanada zugestimmt haben, standen vor dem Problem, dass bei einer Ablehnung auch der potenzielle Kanzlerkandidat Gabriel für die Bundestagswahl im nächsten Jahr verbrannt gewesen wäre – was die SPD aktuell unter die 20-Prozent-Marke gedrückt hätte.

Gleiches gilt für Berlin. Es war durchaus folgerichtig, dass der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, das Wahlergebnis so milde kommentierte, war doch schnell klar, dass er damit als Person weiter regieren konnte. Der Parteivorsitzende Müller hätte angesichts des Debakels einer historisch geringen Zustimmung in Tränen ausbrechen müssen.

Man darf gespannt sein, ob es der SPD aktuell gelingt, die Diskussion über den Zustand der Partei offensiv zu führen, was die Rolle des Parteivorsitzenden einschließt, ohne ihren einzigen präsentablen Kandidaten für das Amt des künftigen Regierenden in den Koalitionsverhandlungen entscheidend zu schwächen. Allzu heftig wird die Kritik nicht werden, und wenn die neue Regierung steht, muss aus taktischen Gründen wieder Rücksicht genommen werden.

Vorwurf der Illoyalität

Der Vorwurf aus der SPD, Fraktionschef Saleh habe sich mit seiner öffentlichen Kritik an der Parteispitze illoyal verhalten, ließ dann nicht lange auf sich warten. Dass er von einem hohen Parteifunktionär kam, der bisher Staatssekretär war, verwundert auch nicht.

Eine Erklärung für den drohenden Absturz auf die 20-Prozent-Marke in Berlin liegt auch im Schönreden von Problemen, was in Berlin besonders unglaubwürdig ist, weil die SPD schon so lange Regierungsverantwortung trägt. Wenn der Regierende Bürgermeister kurz vor den Wahlen den maroden Zustand vieler Schulen mit einem milliardenschweren Programm angehen will, fragt man sich, warum ihm diese Erkenntnis erst jetzt kam und nicht schon viel früher, und wo die Warnrufe der Fachsenatorin blieben, die derselben Partei angehört.

Und gewiss gehört auch das Schönreden des Flughafendebakels zu den Ursachen des Absturzes. Dass ein Regierungschef mit seinem Amt so ausgefüllt ist, dass er den Bau eines Großflughafens nicht aktiv gestalten oder kontrollieren kann, erschließt sich eigentlich von selbst, hat aber schon einen Regierenden den Job gekostet und droht einen zweiten unreparierbar zu beschädigen.

Wolfgang Harnischfeger

1943 in Hessen geboren, war bis zu seiner Pensionierung 2009 Leiter des Beethoven-Gymnasiums in Lankwitz. Er ist Mitglied der SPD und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). In der GEW leitete er die Vereinigung der Berliner Schulleiter/innen.

Klartext sprechen!

Warum hier nicht Klartext gesprochen wurde und entsprechende Konsequenzen gezogen wurden, bleibt das Geheimnis der SPD-Oberen. Mit dem Wahlergebnis wird Schönrederei bestraft, wo Offenheit und Trennung der Ämter geboten gewesen wäre.

Die SPD sollte sich auf ihre Kernklientel konzentrieren. Das sind Facharbeiter, sozial eingestellte Menschen aus der Mittelschicht und alle, die ohne Hilfe nicht im Leben bestehen können. Sie sollte keine kraftraubende Auseinandersetzung mit der AfD suchen. Zum einen sind Dinge wie eine grundsätzliche Willkommenskultur Menschen in Not gegenüber nicht verhandelbar: Wer hier nicht zustimmt, hat in der SPD keinen Platz.

Und zum anderen kommt man gegen das Bedürfnis, einen Schuldigen für negative Entwicklungen im eigenen Leben oder im unmittelbaren Umfeld zu suchen, nicht an. Wer für die Tatsache, dass der Bäcker nebenan schließt, die Regierung verantwortlich macht, aber sein Brot im Supermarkt kauft, ist für rationale Auseinandersetzungen nicht mehr erreichbar.

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