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Suizid in Untersuchungshaft

Fehleinschätzung Nach dem Selbstmord des Terrorverdächtigen Jaber A. in derJVA Leipzig: Justizminister Gemkow, CDU, sieht bei seinen Beamten keine Fehler

von Sabine am Orde und Konrad Litschko

BERLIN taz | Am Donnerstagmorgen versucht es Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow mit Durchhalteparolen. Der CDU-Mann hat zur Pressekonferenz in die Staatskanzlei geladen, mit ernster Miene sitzt er hinter dem Mikrofon. Und es ist ernst: Am Vorabend hat sich der Terrorverdächtige Jaber A. in der JVA Leipzig mit seinem T-Shirt am Vorgitter seiner Zelle erhängt.

„Das hätte nicht passieren dürfen“, sagt Gemkow nun. Der Suizid aber sei nicht vorhersehbar gewesen. „Wir haben nach jetzigem Stand alles Mögliche getan, um das zu verhindern.“ Für einen Rücktritt sehe er keinen Anlass. Wenig später teilt auch Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) mit, er vertraue „voll und ganz“ seinem Justizminister.

Da aber ist das Vertrauen in den sächsischen Justiz- und Sicherheitsapparat längst erschüttert – bundesweit und über alle Parteigrenzen hinweg. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) fordert „schnelle und umfassende Aufklärung“. Sein Parteikollege Wolfgang Bosbach nennt den Suizid „ein Fiasko“. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann zeigt sich „fassungslos über die fortgesetzten Pannen in Sachsen“. Und Linken-Chefin Katja Kipping fordert, Gemkow müsse zurücktreten.

Selbst der sächsische Vizeministerpräsident Martin Dulig (SPD) geht auf Distanz: Er spricht von „Fehleinschätzungen“. Am Dienstag will der Landtag in einer Sondersitzung über den Fall beraten.

Sachsen, immer wieder Sachsen. Schon zuvor standen die Behörden in dem Land in der Kritik, nicht konsequent genug gegen rechte Straftäter und Pegida-Hetzparolen vorzugehen. Nun folgt das Versagen im Fall des islamistischen Terrorverdächtigen A. Der sächsischen Polizei war dieser zunächst entwischt, erst syrische Flüchtlinge überwältigten den Mann. Nun stirbt er in Haft.

Tatsächlich verfestigt auch die Pressekonferenz den Eindruck, dass die sächsischen Behörden überfordert waren. Neben Gemkow sitzt Rolf Jacob, Leiter der JVA. Eine Auszubildende, schildert Jacob, habe A. am Mittwochabend um 19.45 Uhr bei einem Kontrollgang stranguliert entdeckt. Sofort eingeleitete Reanimierungen seien erfolglos geblieben.

Auch Jacob sagt, es sei keine akute Suizidgefährdung bei A. festgestellt worden. Zwar sei am Abend der Einlieferung kein Dolmetscher verfügbar gewesen, am Folgetag aber habe eine „sehr erfahrene“ Psychologin ein Gespräch mit ihm geführt. Hinweise auf eine akute Suizidgefährdung habe sie nicht festgestellt. Nach dieser Einschätzung sei verordnet worden, A.s Haftraum alle 15 Minuten zu kontrollieren, später wurde dies auf eine halbe Stunde erhöht.

Jacob räumt ein, dass sich A. im Hungerstreik befand und in seiner Zelle eine Lampe aus der Decke gerissen und eine Steckdose manipuliert hatte. Dies habe man aber als Vandalismus eingestuft.

Im Nachhinein frage man sich schon, ob man nicht „ein bisschen gutgläubig“ war. „Insgesamt ist aber alles so gelaufen, wie es die Vorschriften im Justizvollzug erfordern.“

Auf eine ständige Wache vor der Tür oder eine Unterbringung von A. in einem gekachelten Sonderhaftraum habe man aufgrund der psychologischen Prognose verzichtet. Die Zusammenlegung mit anderen Inhaftierten sei ausgeschieden, da eine Fremdgefährdung nicht auszuschließen gewesen sei.

A.s Pflichtverteidiger Alexander Hübner reagierte entsetzt auf den Tod seines Mandanten. Der JVA sei bekannt gewesen, dass dieser selbstmordgefährdet sei. „Ich habe am Nachmittag noch einmal mit dem stellvertretenden Leiter der JVA telefoniert“, sagt Hübner der taz. Der Beamte habe ihm versichert, dass A. ständig beobachtet werde. Schon die Haftrichterin hatte diesem Suizidgefährdung bescheinigt.

Sachsens Generalstaatsanwalt Klaus Fleischmann räumt ein, dass die ermittelnde Bundesanwaltschaft „nicht erfreut“ über den Suizid sei. Sie warf A. vor, einen Sprengstoffanschlag geplant zu haben – wohl auf einen Berliner Flughafen. In der Chemnitzer Wohnung, in der er sich zuletzt aufhielt, fanden Ermittler 1,5 Kilogramm des Sprengstoffs TATP.

Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft sagt der taz, man werde die Ermittlungen „trotz des Suizids in gleicher Intensität fortführen“. Zu Medienberichten, wonach A. vor seinem Tod die drei Leipziger Syrer, die ihn in gefesselt und der Polizei übergeben hatten, als Mitwisser bezeichnet haben soll, äußerte er sich nicht. Laut den Berichten wurde das Trio zuletzt „intensiv überprüft“. Nach taz-Informationen hat sich der Verdacht bisher nicht erhärtet.

Was wollte er ab 2015 in der Türkei und in Syrien?

„Insgesamt ist aber alles so ­gelaufen, wie es die Vorschriften im Justizvollzug erfordern“

Rolf Jacob, Leiter der JVA Leipzig

Die Bundesanwaltschaft prüft auch, was es mit Auslandsaufenthalten A.s, der Anfang 2015 als syrischer Flüchtling nach Deutschland gekommen war, auf sich hat. Seit Herbst vergangenen Jahres soll A. nach Medienberichten zweimal in die Türkei gereist sein. Auch habe er sich einige Zeit in der syrischen Stadt Idlib aufgehalten.

Ob er auf den Reisen Kontakt zum IS hatte, ist bisher nicht bekannt. Mitbewohner aus dem nordsächsischen Eilenburg sagten, nach seiner Rückkehr habe er sich verändert. Der MDR berichtete von Facebook-Postings in denen A. einen Kampf gegen „Juden und Kreuzfahrer“ ankündigte. „Ihr werdet euch alle bald wundern“, soll er geschrieben haben. Laut Innenminister de Maizière wurde A. 2015 von den Sicherheitsbehörden überprüft. „Allerdings ohne Treffer.“

Die Ermittler fokussieren sich nun vor allem auf A.s möglichen Komplizen: den 33-jährigen Khaled A., der am Samstag festgenommen wurde. Er mietete die Wohnung, in der A. den Sprengstoff gelagert hat. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vor. Khalil A. sitzt in der JVA Dresden in Untersuchungshaft. Dort wurde nun eine Wache angeordnet, die rund um die Uhr vor seiner ­Zellentür sitzt.

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