Warum auch Rechte gegen TTIP sind: Freihandel gefährdet den Volkskörper

Viele Rechte sind gegen TTIP und Ceta. Allerdings nicht, weil sie eine faire und ökologische Welt wollen.

AfD-Anhänger demonstrieren und halten ein Schild hoch auf dem steht: Wir sind das Volk

Gegen TTIP sind Linke – aber auch Rechte. Der Unterschied aber ist: Letzteren geht es nicht um den Menschen, sondern ums Volk Foto: dpa

Berlin taz | Auf einmal kommt ein Häufchen Rechter aus dem Tiergarten und mischt sich unter die Leute. Die 13 Männer, Anhänger der Identitären Bewegung, schmuggeln sich durch den großen Park im Herzen Berlins, stehen plötzlich in der Menge und entfalten ihr Transparent: „Gegen globale US-Herrschaft“ steht drauf, zu sehen sind spartanische Hopliten, die mit Speeren gegen Dollarscheine kämpfen.

Im vergangenen Oktober war das, in Berlin pfeifen, tanzen und trommeln sich gerade je nach Schätzung bis zu 250.000 Menschen auf der größten Demonstration seit Jahren durch die Stadt. Zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule demonstrieren sie gegen die Freihandelsabkommen Ceta und TTIP – und für eine bessere Welt.

Lang dauert der Zirkus der Strammrechten nicht, die umstehenden DemonstrantInnen buhen die völkischen Nationalisten aus. Nach ein paar Minuten geleitet die Polizei die Identitären aus der Demonstration. Das war’s. Die Rechten feiern ihre Aktion auf Facebook anschließend als, man könnte sagen: Ervolk.

Die Anekdote – Nationalisten versuchen eine linke Demo zu kapern – wäre kaum der Rede wert, würden dahinter nicht grundsätzliche Fragen stehen: Wie gut grenzen sich die Organisatoren der Anti-TTIP-Proteste eigentlich von rechtsaußen ab? Wie lässt sich verhindern, dass rechte Ideologen ihre völkischen Abgrenzungsfantasien dadurch legitimieren, dass sie auf linke Kritiker zeigen und behaupten, man ziehe an einem Strang?

Zu den bundesweiten Demos gegen TTIP und Ceta am 17. September: Ein taz-Extra rund um die umstrittenen Freihandelsabkommen

Am selben Strang?

Es ist ein Dienstag im August 2016. Im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin, gegenüber von Bundestag und Kanzleramt, sind die Organisatoren der für den 17. September geplanten Anti-Ceta-Demonstrationen zusammengekommen, um ihr Anliegen zu erklären. Verdi-Chef Frank Bsirske erörtert, warum Ceta, das EU-Abkommen mit Kanada, dort ansässige Unternehmen gegenüber deutschen bevorteilt. Der Vorsitzende des Deutschen Kulturrats erläutert, dass vor allem Google und Apple von dem Freihandelsvertrag profitierten. Der Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes fürchtet, dass profitorientierte Konkurrenten gemeinnützige deutsche Pflege- und Krankenhausbetriebe kaputt klagen.

Vermutlich hätte keiner der Anwesenden etwas gegen folgende Sätze einzuwenden: „Inländische wie ausländische Unternehmen müssen rechtlich gleichgestellt werden.“ Oder: „Unsere Bürger bleiben der Souverän unseres Staates, die Regulierungshoheit des Parlaments darf nicht eingeschränkt werden.“ Beides stammt aus dem Parteiprogramm der AfD. Die Partei „lehnt daher Handelsabkommen grundsätzlich ab, wenn diese intransparent und nicht öffentlich sowie ohne Beteiligung des Bundestages verhandelt werden“.

Wie gelingt es angesichts dieser inhaltlichen Überlappungen, sich von Ressentiments und rechten Parolen abzugrenzen?

In Berlin ergreift der Mann das Wort, dessen Organisation den Protest entscheidend prägt: Christoph Bautz von Campact. 7 Millionen Euro hat seine Organisation 2015 an Spendengeldern gesammelt. Die Anti-TTIP-Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung hat die Kasse von Campact gut gefüllt.

Auf Solidarität und Vielfalt setzen

Bautz redet von einer der größten Protestveranstaltungen in der Geschichte der Bundesrepublik – und von einer „breiten Bürgerbewegung“. “Das hat das Potenzial, ein politisches Erdbeben zu erzeugen“, sagt er. Dann ergänzt Bautz, was bei keiner Äußerung fehlen darf, wenn es um die Proteste gegen Ceta und TTIP geht: „Alle sind willkommen, außer Menschen von rechtsaußen.“ Dafür gibt es eine Sprachregelung, die alle Partner in diesem Protestbündnis mittragen: „Wir treten für eine solidarische Welt ein, in der Vielfalt eine Stärke ist. Auf unseren Demonstrationen gibt es keinen Platz für Rassismus, Rechtspopulismus und Antiamerikanismus.“

Eine Formel, die nicht nur in Deutschland immer wichtiger wird. In Österreich etwa haben der rechte Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer (FPÖ) und sein Konkurrent Alexander Van der Bellen (parteilos, Ex-Grünen-Chef) wenig gemeinsam – außer dass beide TTIP ablehnen. Van der Bellen will ein sozialeres Europa, Hofer ein nationaleres Österreich.

Ähnlich sieht es bei US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump aus. Der sagt zwar wenig zu TTIP, aber viel zur Nordamerikanischen Freihandelszone Nafta und zu TPP, der Transpazifischen Partnerschaft zwischen zwölf Staaten rund um den größten Ozean der Welt. Das Abkommen muss nur noch ratifiziert werden. Trump wettert, das wäre „ein Schlag ins Herz der Nation“. Und er verspricht, das Abkommen zu kippen, wenn er Präsident ist. Nafta will er neu verhandeln. Die USA würden austreten, wenn sich die Konditionen nicht verbesserten. Seine Argumente drehen sich um böse Mexikaner oder Chinesen, die Amerikanern ihre Jobs klauen.

In Frankreich ist das Bild ähnlich: Auch Front-National-Führerin Marine Le Pen schimpft über TTIP. Sie könnte damit sogar bei den Wahlen im kommenden Jahr Staatspräsidentin werden.

Sorge um den Menschen statt ums Volk

Es wäre falsch, die rechte Freihandelskritik nur als kurzes Haschen nach einem populären Protestthema zu begreifen. Denn ebenso wie die Position marxistisch geschulter Globalisierungskritiker oder sozialdemokratischer TTIP-Gegnerinnen hat auch die rechte TTIP-Kritik ihre geschichtlichen Anknüpfungspunkte.

Bereits im 19. Jahrhundert sorgten sich rechte Vordenker wegen der entstehenden Markt- und Geldwirtschaftssysteme um die angeblich „natürlich“ gewachsene Volksgemeinschaft. Industrialisierung und Internationalisierung sahen die Repräsentanten der rassistischen Gegenbewegung wie Paul de Lagarde, Julius Langbehn, Houston Stewart Chamberlain oder Paul Förster als einen Prozess der Entfremdung des Menschen und des „Volkes“ von seiner ureigenen Seele.

Linke Bewegungen sahen das nicht völlig anders: Für sie entfremdete sich der Mensch in der kapitalistischen Welt von sich selbst. Die Grenzen zwischen beiden sind dennoch deutlich: Statt um die „Menschen“ ging es den Nationalisten um das „Volk“. Die „moderne Welt“ galt ihnen als „jüdische Moderne“. In den Schriften des antisemitischen Publizisten Paul Förster (1844–1925) etwa erschien das Judentum als fremder Glaube, der den „Kulturmenschen“ hervorbrachte.

Dessen „künstliche Zivilisation“ sei schuld an den „abschreckenden Verödungen und Verblödungen“, die zu „Entartung und Niedergang“ von Mensch und „Volk“ führe. In der Parole „Zurück zur Natur“ klingt denn auch „Weg mit den Juden“ an. Die wirtschaftlichen Ideale oszillierten in dieser Bewegung zwischen Hochhalten von Bauerntum und Mittelstand hin und her – bis heute.

Die antisemitischen Wurzeln von „Zurück zur Natur“

Diese antimoderne Revolte formuliert gerade die Identitäre Bewegung wieder deutlich. Die Truppe um den Österreicher Martin Sellner führt in ihrem Positionspapier „100 % Identität – 0 % Rassismus“ aus: „Wir lehnen […] die allgemeine Verflachung, Vereinheitlichung und Abstumpfung der Welt im Zuge der Globalisierung ebenso ab wie den kulturellen Imperialismus und globale Vereinheitlichungsversuche.“ Man kämpfe gegen den eigenen Identitätsverlust, gegen „demografischen und kulturellen Verfall“. Das Völkische wird zur Identität, Einwanderung zum „demografischen Verfall“, ein offener Rassismus entgegen dem Titel des Positionspapiers.

Das rechte Magazin Compact – Magazin für Souveränität (nicht zu verwechseln mit Campact) feiert die Identitäre Bewegung in der aktuellen Ausgabe als „die neue Protestjugend“ – „hip, konservativ, rebellisch“. Das Magazin hat sich schon früh gegen TTIP und Ceta positioniert und uralte Ressentiments mit neuen Verschwörungstheorien aufgepimpt. Im März 2015 zeigte das Cover ein Foto von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), die Schlagzeile lautete: „Der große Verrat – TTIP-Agent Gabriel“.

Im Mai des Jahres sprach der Ökonom Eberhard Hamer auf der Compact-Konferenz „TTIP und CETA: Konzerne okkupieren staatliche Souveränität“. TTIP sei ein „groß angelegter Angriff der amerikanischen Großwirtschaft“, ein „kolonialistisches, imperialistisches Bestreben“, so Hamer. „Amerikanische Großkonzerne und die amerikanische Hochfinanz“ versuchten, die europäische Kultur zu vernichten, um einen Einheitsmenschen zu schaffen, der nur konsumiere. Die „Hochfinanz“ gilt im rechten Milieu als eine Chiffre für Juden.

Einige AfDler wie der Thüringer Parteichef Bernd Höcke sind regelmäßige Gäste auf Compact-Veranstaltungen, Eberhard Hamer war auch schon Redner auf Veranstaltungen von AfD-Kreisverbänden. Zur Identitären Bewegung grenzt sich die AfD aber zumindest offiziell ab – und sieht die eigene Freihandelskritik als bürgerlichen Protest.

Keine Angst vor Chlorhünchen, aber vor Investorenschutz

So verkauft das auch Marcus Pretzell, EU-Abgeordneter der AfD. Man kann ihn in der Mickey-Mouse-Bar des Europaparlaments in Brüssel treffen. Hier gibt es zwar keine Comicfiguren, dafür aber oft Hintergrundinformationen aus erster Hand, bei einem „Lait russe“, Milchkaffee, oder einer „Leffe“, das ist ein belgisches Bier.

Der 41-jährige Pretzell ist bei seinen Abgeordnetenkollegen nicht wohl gelitten. Die AfD in Brüssel hat sich mittlerweile komplett zerlegt. Pretzell gehört im Parlament als Einziger seiner Partei der ENF an, dem nationalistischen Rechtsbündnis um die französische Front-National-Führerin Le Pen. Im April 2015 ist er aus einer Sitzung der AfD-Delegation geflogen. Ein Grund war ein Streit über TTIP. Damals hatten noch die AfD-Gründer Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel das Sagen, die damals TTIP befürworteten und in die Splitterpartei Alfa abgewandert sind, eine Abspaltung der AfD.

Auf seiner Website macht Pretzell heute Front gegen TTIP. „Freien Handel unterstützen wir“, heißt es da, „aber Investorenschutz lehnen wir ab, insbesondere, wenn dies Optionen eröffnen sollte, die sich auf unsere Gesetzgebung auswirken.“

Er komme aus dem bürgerlich-konservativen Lager, sagt Pretzell. Die Linke habe Angst vor Chlorhühnern, seine Partei stehe dagegen für liberale Werte. Da diese von FDP und CDU/CSU nicht mehr vertreten würden, springe nun eben die AfD in die Bresche.

Freier Wettbewerb ja, TTIP nein

Anders als die Linke behauptet, sei TTIP kein liberales Projekt, so Pretzell weiter. Das geplante Abkommen habe mit freiem Handel nichts zu tun, es stehe für eine neue Art des Protektionismus. Die Großindustrie wolle Sonderrechte, der Mittelstand bleibe auf der Strecke. Als Kronzeugen bemüht er ausgerechnet Thilo Bode. Der Chef von Foodwatch gehört zu den Wortführern der Anti-TTIP-Kampagne. Gemeinsam mit Lucke und Henkel habe man sich sogar einmal mit Bode getroffen und einige Gemeinsamkeiten gefunden. Das Treffen im Jahr 2014 bestätigt Bode zwar, allerdings habe man „keinerlei Einigkeiten“ gefunden – er lehne jeden Kontakt zur heutigen AfD ab.

Es waren jene aus der Partei ausgetretenen Wirtschaftsliberale, die lange für möglichst marktradikale Wettbewerbsmodelle eintraten. Ihr Einfluss ist in der AfD noch zu spüren, monatelang diskutierte die Partei über ihre Haltung zu TTIP. Heute fordert die Partei „offene Märkte, Vertragsfreiheit und einen freien Wettbewerb mit entsprechender Wettbewerbspolitik“ – und lehnt trotzdem TTIP ab.

Im Europaparlament nimmt die rechten Freihandelsgegner niemand ernst. Einfluss hat hier nur, wer die Koalition aus Sozialdemokraten und Christdemokraten beeindrucken und bewegen kann. Sie macht die EU-Gesetze, sie muss am Ende TTIP abnicken – oder stürzen. „Sie behaupten nur, gegen TTIP zu sein, doch wir handeln“, sagt Fabio De Masi, ein deutsch-italienischer Europaabgeordneter der Linken. AfD-Gründer Lucke sei doch am Anfang seiner politischen Karriere selbst vehement für Freihandel eingetreten, argumentiert er.

De Masi hat sich deshalb mit Gesinnungsgenossen aus Griechenland, Frankreich, Italien und Spanien zusammengetan. Sie haben ein parteiübergreifendes Bündnis – den „Progressive Caucus“ – gegründet, das nun auch um Kritiker bei Sozialdemokraten und Grünen wirbt. Für AfD-Mann Pretzell haben die Progressiven nur ein müdes Lächeln übrig.

Der große Unterschied

Der nimmt es gelassen, jedenfalls nach außen hin. Ihm sei schon klar, dass die linken TTIP-Gegner mit ihm nichts zu tun haben wollen, sagt Pretzell. Aber das mache nichts – man könne ja auch getrennt marschieren und vereint schlagen.

Nicht mit uns, sagt Christian Weßling im Hinterhof eines Erdgeschossbüros in Berlin-Wilmersdorf. Hier hat das zentrale Kampagnenbüro für die Großdemonstrationen an diesem Samstag seinen Sitz. Weßling leitet das Team, das die sieben Demonstrationen in ganz Deutschland koordiniert. Ein Kollege von ihm ist gerade mit der Koordination von Bussen beschäftigt. 180 zählt er an diesem Tag. Allein in den letzten Tagen sei die Zahl noch mal um 30 gestiegen. Von überallher wollen Menschen an den Demonstrationen teilnehmen. Eine andere Kollegin bespricht gerade in einer Telefonkonferenz die Platzierung von Werbeanzeigen in Tageszeitungen.

Weßling sagt: „Unsere Kritik an TTIP unterscheidet sich in ihrem Kern von der Kritik der AfD. Wir sind für demokratische Prinzipien, eine solidarische, plurale und soziale Gesellschaft.“

Im April, als Weßling in Hannover die große Anti-TTIP-Demonstration organisierte, zu der fast 100.000 Menschen kamen, hatte er bereits dasselbe Problem: Weil US-Präsident Barack Obama zeitgleich auf der Messe in Hannover weilte, mussten die Aktivisten immer wieder erklären, dass sie nicht gegen Amerika demonstrieren. Und erst recht nicht gegen Dinge wie die „Kolonialisierung Europas“, ein Terminus, den die NPD im Zusammenhang mit TTIP benutzt.

Klares Nein an die AfD

„Wir werden auf unseren Demonstrationen keine rechten Symbole, keine Fahnen und Banner der AfD dulden, wir werden unsere Ordner klar anweisen, und auf allen Bühnen werden unsere Moderatorinnen und Moderatoren ein klares Statement dazu abgeben“, sagt Weßling. Und außerdem, sagt er weiter, würden alle TeilnehmerInnen während der Demonstrationen die Möglichkeit erhalten, sich klar und deutlich gegen rechts zu positionieren.

Anfang August erhielt Weßling einen Brief des Berliner Landesverbands der AfD, der heute in einem Aktenordner in seinem Büro archiviert ist. Darin steht: Auch die AfD lehne das TTIP-Abkommen ja bekanntlich ab.

„Wir möchten uns daher mit einer Gruppe von AfD-Vertretern in die Demonstration am 17. September einreihen und damit bekunden, wie breit die Ablehnung dieser angeblichen Freihandelsabkommen ist. Bitte teilen Sie uns mit, wie wir uns am besten in die Demonstration eingliedern können.“

Weßling schrieb zurück: „Gar nicht.“

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