: Parlament wittert Filz
Sozial-betrug
Die Bremerhavener SPD will ein Parteiordnungsverfahren gegen ihren Bürgerschaftsabgeordneten Patrick Öztürk einleiten. Bis zum vergangenen Montag hatte sie ihm Zeit gegeben, freiwillig sein Mandat abzugeben – diese Frist ließ er verstreichen.
Öztürk wird der Beihilfe zum gewerbsmäßigen Betrug verdächtigt, seine Immunität wurde vorletzte Woche aufgehoben, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Gemeinsam mit seinem Vater Selim soll Öztürk das Bremerhavener Jobcenter um mehrere Hunderttausend Euro betrogen haben.
Zwei Vereine unter dem Vorsitz von Selim Öztürk sollen Hunderten von BulgarInnen und GriechInnen Scheinarbeitsverträge besorgt haben. Der dort angegebene Lohn war so niedrig, dass die Zuwanderer Anspruch auf Aufstockungsleistungen vom Jobcenter hatten. Von diesem Geld soll Selim Öztürk einen Anteil kassiert haben – pro Fall 100 bis 250 Euro monatlich – und zumindest Teile davon auf das Konto seines Sohnes eingezahlt haben. Gegen Selim Öztürk wird deswegen bereits seit 2015 ermittelt.
Patrick Öztürk hatte stets behauptet, von den Betrügereien nichts gewusst zu haben – obwohl er eine Zeit lang als zweiter Vorsitzender des Vereins „Agentur für Beschäftigung und Integration“ fungierte, über den die meisten der angeblichen Arbeitsverträge liefen. Dennoch, sagt er, habe er nichts von illegalen Machenschaften gewusst. Er werde, sagte er vergangene Woche, die Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung der Vorwürfe unterstützen, wo er könne.
Es scheint, als wolle die Bremerhavener SPD mit dem Parteiordnungsverfahren gegen ihren Abgeordneten von sich selbst ablenken, denn noch gilt Öztürk lediglich als verdächtig, nicht aber als schuldig. Die SPD hingegen muss sich die Frage gefallen lassen, inwieweit sozialdemokratische Netzwerke in Bremerhaven dazu beigetragen haben, dass ein Betrug dieser Größenordnung überhaupt möglich war: Auch Selim Öztürk war jahrelang Mitglied der Bremerhavener SPD.
Ein von den Bürgerschaftsfraktionen der Linken und der CDU initiierter und am Donnerstag vom Landtag beschlossener Parlamentarischer Untersuchungsausschuss soll nun klären, inwieweit SPD, Magistrat, Senat und die beteiligten Behörden frühzeitig Kenntnis von den Betrügereien hatten, ob sie geschwiegen haben und wenn ja: warum? Derweil ist es vorerst Sache der Staatsanwaltschaft, sich mit Patrick Öztürk zu beschäftigen. SCHN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen