Die Königin der Kupferbar

Porträt Mit dieser Stimme, geformt von Zigaretten und viel Leben, muss man einfach in eine Bar.Wie die Theaterfrau Wera Bunge aus Saarbrücken nach Berlin gezogen kam und eine neue Rolle für sich fand

In solch elegant entspannter Haltung lesen, beneidenswert. Wera Bunge zu Hause Foto: Felix Broede

von Nicole Andries
und Majken Rehder

Der neue Geheimtipp für Nachtschwärmer liegt in Berlin-Kreuzberg – vis à vis vom Görlitzer Park. Wer hier das Restaurant „Nest“ betritt, bemerkt ihn kaum: den „Stairway to Heaven“! Eine Wendeltreppe schraubt sich nach oben, hinein in einen dunklen Flur. An der Wand prangt ein meterlanges Krokodil, die Schnauze hingestreckt zu einer schimmernden Öffnung: der „Kupferbar“.

Der kleine Raum ist eingetaucht ins warme Orangerot der Kupferplatten, mit denen die Wände von unten bis oben ausgeschlagen sind. Die runden Übergänge von Wand zur Decke erinnern an eine Kapelle. Weiches Licht umfließt die eng gedrängten Gäste wie ein Heiligenschein. Zwischen 25 und 40 Jahre sind sie jung. Doch im Mittelpunkt rotiert eine alte Dame mit platinblondem Pagenkopf. Persönlich empfängt sie jeden Gast, nimmt Mäntel ab, bringt Cocktails mitsamt Konzept, den Blick hellwach gerichtet auf leere Gläser und volle Aschenbecher.

Wera Bunge ist 72 Jahre und ihr Job heißt: Host! Seit einem Jahr, immer freitags und samstags, ist sie die Gastgeberin der Bar. Eigentlich ist sie ausgebildete Tänzerin und Theaterfrau. War 15 Jahre lang die Assistentin der Generalmusik- und Operndirektoren des Theaters in Saarbrücken und Mitorganisatorin des dortigen Französischen Theaterfestivals. Nebenher lieh sie ihre „kaputte Stimme“ diversen Arte-Produktionen – bis die Rente kam.

Doch da sie mit „Altersruhe“ wenig anfangen kann – „Ruhestand? Warum? Ich bin nicht müde. Der Motor läuft“ – fand ihr einziger wirklicher Auftritt als Rentnerin bisher nur in der Berliner Volksbühne statt. 2013 spielte sie in Johann Kresniks Inszenierung „Villa Verdi“ mit, einem Stück über eine Rentner-Künstlerkommune.

Nach Berlin hatte es Wera Bunge pünktlich zum Rentenbeginn gezogen. Und weil ihr an Internationalität als ehemaliger Absolventin einer Europaschule in Luxemburg viel liegt, wählte sie selbstverständlich Kreuzberg.

Raus aus dem Netz

Mit einer Reibeisenstimme, geformt von Zigaretten und viel Leben, erzählt sie: „Ich wollte raus aus dem Netz, in dem ich steckte. Mich neu erfinden! In Berlin kann ich tun und lassen, was ich will. Hier bin ich nur mir selbst und keinem Image verpflichtet. Lieber in der Anonymität alt werden als da, wo man zuguckt. “

In Berlin startete die Rentnerin, die ein „erotisches Verhältnis zum Wollfaden“ hat, 2009 mit einem Strickatelier durch und verkaufte jährlich zwei eigene Kollektionen. Ihr Vertrieb funktionierte über Modenschauen, die sie zu Hause organisierte und jeweils drei verschiedene Modelle zum Thema Pullover, Jacke und Kleid präsentierte. Die Bestellungen kamen über Mund-zu-Mund-Propaganda.

Als der Daumen kaputt war, machte sie sich auf die Suche nach einem Bürojob. Ihre Begegnungen mit der konventionellen Arbeitswelt waren jedoch niederschmetternd. „Das war abenteuerlich. Die Arbeitgeber waren irritiert. Können Sie mit dem Computer umgehen? Die Rezipienz von alten Menschen ist katastrophal. Dabei wollte ich das Klischee des Alten aufbrechen. Aber ich bekam keine Chance und keinen Job. Es wird zwar von der Politik behauptet, dass die Alten eingebunden sind, aber das dient nur der Flurbereinigung.“ Empört sich Wera und fügt augenzwinkernd hinzu: „Dabei bin ich doch ein Schnäppchen. Ich brauche keine Rentenbeiträge mehr abzuführen. Außerdem haben wir Alten einen schnellen Überblick, können Kräfte besser verwalten und haben Arbeitsabläufe bereits verinnerlicht.“

Wieder blieb ihr zunächst nur die Selbstständigkeit. Doch die führte sie schließlich zu einer Festanstellung. Sie gründete eine Filmcatererfirma und lernte bei einem Dreh den jungen Inhaber des Restaurants „Nest“ kennen. Als dieser die reife Frau mit Charme und Klasse in Aktion erlebte, kam ihm eine unkonventionelle Idee: Wie eine Gastgeberin der alten Schule sollte Wera das Publikum durch die Abende in seiner Bar begleiten.

Dass er damit den Nerv der Zeit getroffen hat, zeigt die Begeisterung der jungen Gäste. „Sensationell, das hat Klasse und Stil. So jemand in der Bar. Das ist ein anderes Berlin. In anderen Städten gar nicht so ungewöhnlich. Hier in dieser Stadt einmalig. Wera ist diese Bar“, sagt ein 30-jähriger Mann.

Rouben, Fotograf, 35, fügt mit Kennerblick hinzu: „Sie ist eine der attraktivsten Frauen, die ich je getroffen habe. Und: Sie hat einen unglaublich schönen Po.“ Und was denken junge Frauen? „Ich war total überrascht, weil es im Gegensatz zu anderen Bars eine freundliche Person gab, die einen begrüßt.“

„Wera bringt Leute zusammen“, schwärmt die Soziologiestudentin Nina (28). Begegnungen stiften, Kommunikation zwischen den Gästen anregen, das ist neben ihrem Service Weras innerstes Bedürfnis. Und sie schlüpft damit als Gastgeberin im Jahre 2016 in die Rolle einer echten Berliner Salondame des 19. Jahrhunderts.

„Ruhestand? Warum? Ich bin nicht müde. Der Motor läuft“,sagt Wera Bunge

Sicherheit war verpönt

„Als Rentnerin“, sagt sie, „mit einer moderaten Rente, brauche ich den Job, um über die Runden zu kommen.“ Für die Alt-Achtundsechzigerin existierte in ihren jungen Jahren das Thema Altersvorsorge nicht. Denn alles, was nach Sicherheit roch, war damals verpönt. Heute erklärt sie das als pure Dummheit.

Zudem war ihr Arbeitsleben als Mutter von zwei Kindern einige Jahre unterbrochen. Zweimal verheiratet, lebt sie seit 1991 allein und hat keinen finanziellen Rückhalt durch eine Partnerschaft. Doch die Macherin nimmt ihre Existenzsicherung beherzt in die Hand. Schreckt vor nichts zurück, bewährt sich in unterschiedlichsten Kontexten.

Bis ins Alter von 80 Jahren kann sie sich vorstellen, in ihrem Job als Gastgeberin in der „Kupferbar“ zu arbeiten. Mit ihrem Riecher für originelle Ideen und gute Geschäfte hat sie auch schon eine Vision für die Zukunft: eine eigene Bar, in der sich Musik, Poesie und Barkultur vermählen.

„Diese Bar wäre ehrbar wie die Kupferbar. Nackt und schmucklos, doch mit edler Art-déco-Einrichtung. Es gäbe eine lange Theke, eine spanische Theke, die haben so eine abgeschrägte Polsterung. Da kann man sich wunderbar mit dem Ellbogen anlehnen und dabei wunderbar bequem lauschen. Und dann gäbe es Gedichte von Celan & Co und Barockmusik.“

Für Berlin wäre diese Bar auf jeden Fall eine Bereicherung!

Ab Anfang September hat die Kupferbar wieder offen, Freitag und Samstag ab 21 Uhr