Türkei greift Kurden und IS an

Syrien Türkei bombardiert kurdische Stellungen und bereitet Angriff auf „Islamischen Staat“ vor. Regierung möchte geschlossene kurdische Autonomieregion verhindern

Kurden rücken der Türkei zu weit vor: Kämpfer in Hassaka an einem Assad-Reiterstandbild Foto: Rodi Said/reuters

Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Die Türkei greift direkt in den Syrienkrieg ein. Am Montag bombardierten türkische Militärs Einheiten der kurdischen YPK in der Region Manbidsch. Zugleich wird eine Militäroperation befreundeter syrischer Kräfte gegen Einheiten des „Islamischen Staats“ (IS) vorbereitet, die sich unmittelbar an der Grenze zur Türkei festgesetzt haben. Die Türkei feuerte dort Granaten auf IS-Stellungen.

Seit Tagen zieht die türkische Armee Kämpfer der Freien Syri­schen Armee, die schon seit Längerem von der Türkei unterstützt werden, auf türkischem Gebiet zusammen, um mithilfe dieser Milizen den vom IS besetzten Grenzort Jarabulus zu erobern. „Wir werden den IS von der türkisch-syrischen Grenze vollständig vertreiben“, hatte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu nach dem Anschlag in Gaziantep angekündigt. Erst am Dienstag landeten wieder drei Raketen des IS auf türkischem Boden.

Nach dem Bericht eines Reuters-Korrespondenten haben sich im türkischen Grenzort Karkamış mittlerweile Hunderte syrische Kämpfer eingefunden. Manche Quellen sprechen von bis zu 700 Angehörigen säkularer Milizen wie auch Mitgliedern diverser dschihadistischer Gruppen, die nach türkischer Definition alle unter den Schirm der Freien Syrischen Armee gehören.

Unterstützt von türkischer Artillerie und Panzern, die aber vorerst auf der türkischen Seite der Grenze bleiben sollen, sollen diese Milizen in den kommenden Tagen versuchen, den IS aus Jarabulus zu vertreiben. Die Stadt ist der letzte größere Ort an der türkischen Grenze, den die terroristische Miliz noch kontrolliert. Nach ihrer Niederlage gegen syrisch-kurdische Truppen in Manbidsch flohen die überlebenden IS-Kämpfer nach Jarabulus. Offenbar rücken ihnen aber bereits kurdische Kämpfer nach, um den IS auch dort zu stellen.

Neben der Vertreibung des IS ist das eigentliche Ziel der türkischen Regierung offenbar, ein Vorrücken der syrisch-kurdischen Truppen zu verhindern. Sollten die kurdischen YPG-Kämpfer von Manbidsch nach Westen vorstoßen, würden sie die letzte Lücke zwischen den von ihnen kontrollierten Gebieten östlich von Jarabulus und dem kurdischen Kanton Afrin im Westen schließen können. Damit wäre ein Gebiet von etwa 500 Kilometern Länge entlang der syrisch-türkischen Grenze unter kurdischer Kontrolle.

UN appelliert. Die Vereinten Nationen dringen auf die rasche Umsetzung einer 48-stündigen Feuerpause für die umkämpfte syrische Millionenstadt Aleppo. Nach Inkrafttreten könnten die UN sofort Hilfsgüter für die rund 275.000 Menschen im belagerten Ostteil der Stadt liefern, sagte UN-Sprecherin Alessandra Vellucci am Dienstag in Genf. Im Westen stünden bereits 50 Lastwagen mit Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten bereit. Zuletzt hatte die UN im Juli Güter nach Ostaleppo bringen können.

Russland verspricht. Russland stimmte vergangene Woche einer wöchentlichen 48-stündigen Feuerpause zu. Moskau ließ erklären, man werde die ­Waffenruhe in Aleppo umsetzen, sobald die Hilfslieferungen der UN bereit sind. Dies sei mit der syrischen Führung abgestimmt, sagte ­Vizeverteidigungsminister ­Anatoli Antonow. (epd, dpa)

Die Entstehung eines solchen kurdischen Autonomiegebietes ist die größte Sorge in Ankara. Die PYD als dominierende Partei im syrischen Kurdengebiet ist ein direkter Ableger der PKK, die in der Türkei als Terrororganisation verfolgt wird. Aus Sicht der türkischen Regierung entstünde in Syrien so ein großes Autonomiegebiet unter PKK-Kontrolle. Um das zu verhindern, wäre der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wohl im Notfall sogar bereit, türkische Truppen einzusetzen, falls die Freie Syrische Armee für die geplante Militäroperation nicht ausreicht. Schon jetzt werden gegenüber Jarabulus Panzerverbände stationiert, die jederzeit auf syrisches Gebiet vorstoßen können.

Nach türkischen Angaben sind sowohl Russland als auch die USA von ihrer Aktion unterrichtet. Die Bombardierungen der kurdischen Stellungen bei Manbidsch dürften allerdings für die USA ein Problem darstellen, sind doch die dortigen YPG-Truppen ihre engsten Verbündeten. Gerade noch hatten die USA dem Assad-Regime damit gedroht, syrische Kampfflugzeuge abzuschießen, wenn diese weiterhin kurdische Truppen in der Stadt Hassaka angreifen sollten. Wie werden sich die USA nun gegenüber ihrem Nato-Partner Türkei verhalten?

Am Mittwoch trifft US-Vizepräsident Joe Biden in Ankara ein. Neben dem Konflikt in Syrien soll es dabei auch um die Auslieferung von Fethullah Gülen gehen, der in den USA lebt und den die Türkei als Drahtzieher für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich macht.