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Gefährdetes Laubenpieperglück

taz-Serie Letzter Sommer (5) In Spandau gibt es eine Laubenkolonie, die teilweise dem Bezirk und teilweise der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) gehört. Der Bezirk möchte seinen Abschnitt nun renaturieren

Das gibt’s doch nicht: Die Grenze zwischen Bezirks- und Bundeseigentum verläuft direkt über das Laubengrundstück von Bettina Hoffmann

Text und Fotos Jana Tashina Wörrle

Ich soll hinter dem Zeltplatz abbiegen. Dort führt ein Weg mit vielen Schlaglöchern durch den Wald. Dem Schild zur Gaststätte Havelgut soll ich folgen. Auf dem Parkplatz des mittlerweile geschlossenen Lokals würde ich dann schon die „Agitationsflächen“ sehen, beschreibt mir Ilona Brede ein paar Tage vor meinem Besuch der Spandauer Laubenkolonie den Weg. Dort angekommen soll ich einfach nach Ilona rufen. Doch so weit kommt es gar nicht. Als ich vor den Transparenten stehe, die an Zäunen und Hauswand hängen und mit „Meine Laube will nicht sterben“ und einem einfachen „Warum?“ ein mulmiges Gefühl verbreiten, weist man mir den Weg.

Brede wartet schon am Gartentor auf mich. Neben der fröhlichen Laubenpieperin mit den blonden Haaren steht Colin Dorn, ihr Partner in schwarzem T-Shirt mit dem Aufdruck „Fußball und Grillen“. Der ironische Spruch auf seinem T-Shirt passe gut, sagt Dorn, der gern grillt, aber eben nicht nur. Er komponiert auch Musicals, etwa wenn er auf der 4 Quadratmeter großen Terrasse seiner Laube sitzt. Dort sitzt jetzt auch Brede und erzählt.

Laubenkolonie im Kladower Wald

Nach 1945 gab es auf dem Gelände am Kladower Damm 217 nur ein Lebensmittelgeschäft, eine Gaststätte und eine Hühnerfarm. Mitte der 50er Jahre war nur noch die Gaststätte übrig.

Auf dem Grundstück etablierten sich fünf Lauben, die die Bauaufsicht Anfang der sechziger Jahre nachträglich genehmigte. Dann wuchs die Ansiedlung weiter mit Wohnwagen und kleinen Anbauten. 80 Pächter bzw. Unterpächter der ehemaligen Gaststättenbetreiberin, die heute noch den Pachtvertrag für das Grundstück hält, gehören dazu.

Diese sind nach Aussagen des Bezirks weder baurechtlich noch naturschutzrechtlich genehmigt. So trägt die Laubenkolonie auch keinen Namen.

1988 kaufte der Bezirk Spandau das Grundstück mit den dazugehörigen Gebäuden vom Bund. Es wurde für den damaligen Neubau des Ufer­wanderwegs benötigt, um so die Nutzung durch die Allgemeinheit sicherzustellen.

Vier Gebäude sind nun vom Abriss bedroht, damit aller Grund und Boden, der dem Bezirk gehört, renaturiert wird und die Auflagen des Landschaftsschutzgebiets erfüllt sind. Eine der Lauben steht allerdings nur zum einen Teil auf Bezirksgrund und zum anderen Teil auf dem der Bima. (jtw)

Alles da, was man braucht

Seit fast zehn Jahren verbringt sie so gut wie jeden freien Tag hier. In Kreuzberg lebt sie in einer Fünfziger-Jahre-Mietwohnung auf 50 Quadratmetern. In ihrer Laube hat sie nur etwa 25 – inklusive Garten und Terrasse. Es ist eng, und doch ist alles da, was man braucht – Bett, Sofa, Tisch, Kochnische. Es scheint wie im Campingurlaub: Plastikstühle, Wachstischtuch, Lampions. Bald soll es damit vorbei sein. Dieser Sommer ist der letzte in der Laube. Zumindest sieht derzeit alles danach aus.

Den Mietvertrag für die Laube hat Brede jedes Jahr von Neuem unterschrieben; zwar immer für nur ein Jahr, aber immer ohne Zweifel, dass ein neues Jahr in der Laube kommt. „Jetzt versuche ich, jeden Tag noch bewusster zu genießen, den wir hier sein dürfen“, sagt sie. Im Juni 2016 kam die Kündigung. Bis Ende Dezember muss sie raus sein, denn dann wird alles abgerissen. Die 25 Quadratmeter Laubenglück im Wald, der Mikro-Kräutergarten und die Terrasse, auf der Brede so gern mit Buch und Weinglas sitzt, ihr Wohnzimmer mit Allesbrenner.

„Jetzt versuche ich, jeden Tag noch bewusster zu genießen“

Laubenpieperin Ilona Brede

Der nagelneue Kamin glänzt metallisch. Erst seit Kurzem entspricht er auch den neuesten Abgasnormen. „Das hat ordentlich was gekostet“, sagt Brede, die auch die vergangenen Winterwochenenden in ihrer Laube verbracht hat. „Mit einem doppelwandigenn Außenschornstein“, fügt Dorn hinzu. Trotzdem: Die Kiefernscheite, die sich in einer Ecke des Minigrundstücks stapeln, werden wohl nicht mehr alle verheizt werden.

Brede und Dorn sind ein Paar und noch dazu Nachbarn. Ihre beiden Lauben stehen Bretterwand an Bretterwand nebenein­ander. Von einem Grundstück aufs andere führt ein enger Pfad mit einem Holztor dazwischen. Und doch gibt es einen wesentlichen Unterschied: Bredes Laube steht auf Grund und Boden, der dem Bezirk Spandau gehört. Die Laubenpieperin soll ihren Standort aufgeben, weil der Bezirk dort im Landschaftsschutzgebiet das Gelände renaturieren will.

Das Grundstück wiederum, auf dem Dorns Laube steht, gehört nur zu einem Teil dem Bezirk; der andere Teil ist Eigentum der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima), also des Bundes. Da der Bund derzeit keine Schritte gegen die Laubenpieper unternimmt, fällt seine Laube in die Kategorie „verhandelbar“. Die Grenze zwischen Landes- und Bundesgrundstück verläuft direkt durchs Dorns Schlafzimmer.

Ilona Brede und Colin Dorn in ihrem grünen Refugium

Angefangen hatte alles mit dem Ende des Gaststättenbetriebs Havelcasino nebenan. Einst ein bei Radfahrern und Waldspaziergängern beliebtes Lokal, kamen die Betreiberin und mit ihr das Gebäude in die Jahre. Vor zwei Jahren wurde dank neuem Pächter aus dem Havelcasino das Havelgut und aus dem Ausflugslokal ein Restaurant, das das Gemüse des nahe liegenden Hofs „Speisegut“ verarbeitete. Doch so richtig kam es nicht wieder in Gang. Zudem entpuppte sich das alte Haus als baufälliger als gedacht. Kurzum: Das Havelgut machte zu, und der Bezirk sah davon ab, weiteres Geld in das alte Haus zu investieren. Im Zuge seines Abrisses soll nun das gesamte Bezirksareal begrünt werden.

„Der Bezirk hat den Streifen, auf dem die Lauben stehen, vor 28 Jahren vom Bund gekauft“, sagt Michael Spiza vom Straßen- und Grünflächenamt Spandau. Damals standen die Lauben schon da, deshalb hätte man sie bis jetzt geduldet. Ursprünglich waren sie die Nebengebäude der Gaststätte. „Ab wann hier eine nicht genehmigte Umnutzung stattgefunden hat, ist nicht mehr nachvollziehbar“, sagt Spiza. Brede hat eine andere Sicht der Dinge: „Die Lauben standen schon dort, bevor diese Gegend zum ­Landschaftsschutzgebiet erklärt wurde, und genossen bisher Bestandsschutz“, sagt sie. Zu spät. Für den Behördenleiter steht fest, dass die Bezirksflächen renaturiert werden sollen.

Es war Sommer ...

... zum letzten Mal im Leben. Manches wird nächsten Sommer nicht mehr da sein. Es wird abgebaut, abgerissen, ausgelöscht, umgestaltet, gestorben oder schlicht weggegangen. Klar, ganz genau weiß man das nie in dieser Stadt, in der Interims zum Dauerzustand werden können und Menschen nur gehen, um wiederzukommen. Sicherheitshalber aber statten wir einen letzten Sommerbesuch ab.

Auch die Laube von Bettina Hoffmann wird dann dem Erdboden gleichgemacht werden. Ihre Laube ist größer, massiver und sehr aufgeräumt. Der Rasen vor dem Häuschen gestutzt; der Zaun aber ist voller Plakate – Protestplakate gegen den Abriss. Bettina Hoffmann verbringt schon seit 40 Jahren jeden freien Tag hier. Ihr Vater hat die Laube eigenhändig gebaut. Die Neuköllnerin soll sie nun eigenhändig abreißen oder zumindest die Kosten dafür tragen. „Was mir bleibt, sind ein Schuppen und das Klohäuschen, denn die stehen auf Bima-Seite“, sagt sie. Was fast wie ein Scherz klingt, treibt ihr Tränen in die Augen. Hinter dem Klohäuschen ist noch etwas Platz auf der Wiese. „Dort dürfte ich einen Wohnwagen aufstellen, aber nichts Neues bauen.“

Bevor es jedoch so weit kommt, wollen beide für ihre Lauben kämpfen. Die Frauen haben die Presse und Politiker angeschrieben, Plakate gemalt und Flyer verteilt. Für ein Pressefoto posieren jetzt Brede und Dorn. Plötzlich will Dorn doch noch das T-Shirt wechseln. Der ironische Spruch könnte falsch verstanden werden, sagt er. Hier gehe es schließlich um ein ernstes Thema.

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