: Die Regierung scheint machtlos
FRANKREICH Beschwörungen der nationalen Einheit angesichts des Anschlags von Nizza und die erneute Verlängerung des Ausnahmezustands helfen da nicht viel weiter
Aus Paris Rudolf Balmer
Mickael Coviaux will Klage gegen den französischen Staat wegen sträflicher Nachlässigkeit oder Beihilfe zum Mord einreichen. Sein vierjähriger Sohn Yanis ist eines der zehn Kinder unter den 84 Todesopfern beim Attentat vom 14. Juli in Nizza. Er ist bei Weitem nicht der Einzige, der sagt, die Vorsichtsmaßnahmen in Nizza am Abend des Nationalfeiertags seien völlig unzureichend gewesen, es sei zu wenig Polizei präsent und die Absperrungen der Uferpromenade seien zu schwach gewesen.
Die angegriffene Staatsführung kann nur wiederholen, angesichts der Bedrohung könne „null Risiko“ nicht garantiert werden. Außer einer ebenso oft wiederholten Beschwörung der nationalen Einheit und der Verlängerung des Ausnahmezustand mit den Notstandsgesetzen scheint sie ziemlich machtlos.
Doch der Appell zur Eintracht verhallt immer mehr ohne Echo, und die Wirksamkeit des drei Mal vom Parlament erneuerten Notstands ist stark umstritten. Wenige Stunden vor der mörderischen Fahrt in Nizza hatte Staatspräsident François Hollande angekündigt, nach dem erfolgreichen Verlauf der Fußball-EM könne am Ende de Tour de France (24. Juli) diese Ausnahmesituation beendet werden.
Ab Dienstagabend wollten sich die Abgeordneten und Senatoren mit einem Antrag auf eine Verlängerung und Verschärfung des Notstands befassen. Nach Nizza ist dies keine Routinesache. Für die Staatsführung ist es nicht zuletzt ein Mittel, sämtliche Parteien zu einer Koalition gegen den Terrorismus zu vereinen. Sie steht unter massiven Beschuss von rechts. Die Vertreter der konservativen Opposition und der extremen Rechten überbieten sich geradezu mit radikalen Vorschlägen. Marine Le Pen vom Front National verlangt die Schließung aller Salafisten-Moscheen, Expräsident Nicolas Sarkozy fordert, dass die wegen Kontakten zu Dschihadisten überwachten Personen unter Hausarrest gestellt und mit einer elektronischen Fußfessel kontrolliert werden.
Trotz des sicherheitspolitischen Wettlaufs kann es sich die Opposition aber nicht leisten, die vorgeschlagene Verlängerung des Notstands abzulehnen. In der neuen Version wird der Polizei wieder erlaubt, auch ohne richterliche Anordnung Durchsuchungen von Wohnungen, Fahrzeugen und Garagen vorzunehmen. Neu ist, auch ohne Tatverdacht Inhalte auf elektronischen Datenträgern, Computern oder Mobiltelefonen auszuwerten. Genau das hatten zwar die höchsten Verfassungsrichter als unzulässigen Eingriff in Grundrechte bemängelt, die Regierung versichert aber, sie habe diesen Einwänden Rechnung getragen. Sie ist derart unter Beschuss, dass sie nicht auch noch von den Richtern zurückgepfiffen werden will.
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