: Berlins flüchtlingspolitisches Dream-Team
Doppel Eigentlich verbindet die beiden nicht viel. Canan Bayram ist bei den Grünen, Hakan Taș bei den Linken. Sie kommt aus einer bürgerlichen Familie, er ist Kind eines Gastarbeiters. Doch politisch stehen sie sich nahe. Liegt’s am gleichen Migrationshintergrund?
von Alke Wierth
Doch, es gibt sie, die Momente, wo die beiden uneins sind. Auf Youtube etwa findet sich ein Video aus einer Plenarsitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, in dem sich Hakan Taș und Canan Bayram in die Wolle kriegen. Sie, die Grüne, will die Aussetzung der Wahlpflicht bei der Staatsbürgerschaft in Deutschland geborener Einwandererkinder. Hakan Taș, der Linke, fordert dagegen gleich die komplette Abschaffung der Wahlregel zugunsten der Doppelstaatsbürgerschaft.
Das kurze Video – es ist schon aus dem Mai 2014 – zeigt auch, was die beiden OppositionspolitikerInnen trennt und verbindet. Bayram, die Sachliche, studierte Juristin, zerhackt ihre langen klar intonierten und strukturierten Sätze nachdrücklich mit Gesten. Taș‘s emotionale Zwischenrufe bringen sie nicht aus dem Konzept. Der Linken-Politiker dagegen kann bei seiner Antwort am Podium kaum ruhig stehen. Er ist sichtbar bewegt – wohl auch, weil er seiner flüchtlings- und integrationspolitischen Kollegin widersprechen muss.
Denn eigentlich kennt man die beiden OppositionspolitikerInnen vor allem als Doppelpack: Canan Bayram, Hakan Taș – Berlins asylpolitisches A-Team spätestens seit den Flüchtlingsprotesten auf dem Oranienplatz. Gemeinsam vermittelten sie zwischen Senat und geflüchteten PlatzbewohnerInnen, unterstützen die BesetzerInnen der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg und des Dachs einer Flüchtlingsunterkunft in Friedrichshain, kontrollierten im vergangenen Sommer die Arbeit des überforderten Lageso und aktuell die Polizeieinsätze in der ebenfalls besetzten Rigaer Straße 94.
Fragt man sie nach politischen Unterschieden, klingen die Antworten nach Notlösung: Der Linke Taș verweist auf grüne Bundespolitik (um die es auch bei der Debatte im Abgeordnetenhaus 2014 ging), die Grüne Bayram auf verschiedene Parteistrukturen (siehe Interviews links und rechts). Doch was ist, das die beiden, die ja eigentlich angesichts der bevorstehenden Wahl auch eigene Akzente setzen müssen, so verbindet? „Dass wir beide aus der Türkei stammen, kann durchaus eine Rolle spielen“, vermutet Hakan Taș.
Dabei sind, trotz des gemeinsamen Migrationshintergrundes, die Gemeinsamkeiten der beiden gar nicht so groß. Bayram, 1966 im türkischen Malatya geboren, Mutter einer Tochter, selbständige Rechtsanwältin, kam als Sechsjährige nach Deutschland. Ihr Vater war Lehrer, unterrichtete im Rheinland Schulklassen für türkische Einwandererkinder, ihre Mutter war Krankenschwester. Wie Bayram haben auch ihre vier Geschwister studiert.
Coming-out mit 18 Jahren
Taș, im selben Jahr in Erzincan in der kurdischen Osttürkei geboren und selbst Kurde, kam erst als Vierzehnjähriger zu seinem Vater nach Deutschland, der bei seiner Auswanderung als „Gastarbeiter“ die Familie in der Türkei gelassen hatte. Deutsch lernen, Schul- und Ausbildungserfolg, Freunde finden, das fiel dem Teenager zunächst nicht leicht: „Ich war damals sehr allein“, sagt er heute. Dann kam mit 18 Jahren Taș’ Coming-out als Homosexueller, das den Bruch mit dem Vater bedeutete, der mit dem einzigen Sohn bis heute nicht mehr spricht. Taș engagierte sich: In der Gewerkschaft, der LGTB-Bewegung, gründete etwa den Verein GLADT für „Gays und Lesbians aus der Türkei“.
Doch trotz solcher biografischen und familiären Unterschiede: Die eigene Migrationserfahrung bewirke einen anderen Umgang mit Menschen nicht deutscher Herkunft, meint auch Canan Bayram: „Wir gehen anders auf Geflüchtete zu und reden anders mit ihnen.“ Und ergänzen sich dabei offenbar aufs Beste: Taș mit seiner intensiven langjährigen Vernetzung in Berlin habe sie durch seine emotionale Heransgehensweise und seine Spontaneität beeindruckt: „Er ist ein Typ, der gleich loslegt“, sagt Bayram. Sie gehe analytischer an Probleme heran. Davon und von ihrem juristischen Wissen profitiere er, gibt Taș neidlos zu. „Dazu kommt, dass uns beiden das Thema gleichermaßen wichtig ist“, ergänzt Bayram.
Gemeinsame Gegner
Mit schöner Regelmäßigkeit zieht das Dream-Team sich so den Zorn vor allem der (mit-)regierenden CDU oder ihren Senatoren unterstehender Behörden zu: „Perfide Unterstellungen“, die „in infamer Weise auf die Ehre und persönliche Integrität von Senator Czaja“ abzielten, erkannte der Berliner CDU-Generalsekretär Kai Wegner, als Canan Bayram im vergangenen Sommer im taz-Interview sagte, das Wartechaos vor der Flüchtlingserstaufnahmestelle im Berliner Lageso sei gewollt.
Gegen Hakan Taș erstattete Polizeipräsident Klaus Kandt gar Anzeige, nachdem der behauptet hatte, Polizisten hätten weggeschaut, als Ordner am Lageso Flüchtlinge verprügelten. Und aktuell nannte Innensenator Frank Henkel (CDU) Äußerungen von Canan Bayram über das Auftreten der Polizei in der Rigaer Straße – welche in ihrem Wahlbezirk liegt – „widerlich“.
Auch da gibt es also keine Konkurrenz zwischen den beiden prominenten FlüchtlingspolitikerInnen. Und bei der bevorstehenden Wahl ebenso wenig: Taș tritt in Reinickendorf an und steht außerdem auf sicheren Platz 8 der Landesliste der Linken. Bayram kandidiert in Friedrichshain, wo sie 2011 direkt gewählt wurde. Auch sie steht weit oben auf der grünen KandidatInnenliste für die bevorstehende Berlinwahl.
Privat sind die zwei übrigens nicht befreundet. Was es für ihre politische Zusammenarbeit bedeutet, sollte im September nach der Wahl eineR auf der Oppositions-, eineR auf der Regierungsbank enden, darüber zerbrechen sie sich bisher nicht den Kopf.
Warum auch: Man werde nach der Wahl „in einer gemeinsamen Koalition weiter gut zusammenarbeiten“, ist Hakan Taș zuversichtlich.
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