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Berlins flüchtlingspolitisches Dream-Team

Doppel Eigentlich verbindet die beiden nicht viel. Canan Bayram ist bei den Grünen, Hakan Taș bei den Linken. Sie kommt aus einer bürgerlichen Familie, er ist Kind eines Gastarbeiters. Doch politisch stehen sie sich nahe. Liegt’s am gleichen Migrationshintergrund?

Auch am 12. Juli bei einer Pressekonferenz von Anwohnern der Rigaer Straße stehen Hakan Taş und Canan Bayram wieder beieinander. Privat sind sie aber nicht befreundet Foto: Christian Mang

von Alke Wierth

Doch, es gibt sie, die Mo­men­te, wo die bei­den un­eins sind. Auf Youtu­be etwa fin­det sich ein Video aus einer Ple­nar­sit­zung des Ber­li­ner Ab­ge­ord­ne­ten­hau­ses, in dem sich Hakan Taș und Canan Bay­ram in die Wolle krie­gen. Sie, die Grüne, will die Aus­set­zung der Wahl­pflicht bei der Staats­bür­ger­schaft in Deutsch­land ge­bo­re­ner Ein­wan­de­rer­kin­der. Hakan Taș, der Linke, for­dert da­ge­gen gleich die kom­plet­te Ab­schaf­fung der Wahl­re­gel zu­guns­ten der Dop­pel­staats­bür­ger­schaft.

Das kurze Video – es ist schon aus dem Mai 2014 – zeigt auch, was die bei­den Op­po­si­ti­ons­po­li­ti­ke­rIn­nen trennt und ver­bin­det. Bay­ram, die Sach­li­che, stu­dier­te Ju­ris­tin, zer­hackt ihre lan­gen klar in­to­nier­ten und struk­tu­rier­ten Sätze nach­drück­lich mit Ges­ten. Taș‘s emo­tio­na­le Zwi­schen­ru­fe brin­gen sie nicht aus dem Kon­zept. Der Lin­ken-Po­li­ti­ker da­ge­gen kann bei sei­ner Ant­wort am Po­di­um kaum ruhig ste­hen. Er ist sicht­bar be­wegt – wohl auch, weil er sei­ner flücht­lings- und in­te­gra­ti­ons­po­li­ti­schen Kol­le­gin wi­der­spre­chen muss.

Denn ei­gent­lich kennt man die bei­den Op­po­si­ti­ons­po­li­ti­ke­rIn­nen vor allem als Dop­pel­pack: Canan Bay­ram, Hakan Taș – Ber­lins asyl­po­li­ti­sches A-Team spä­tes­tens seit den Flücht­lings­pro­tes­ten auf dem Ora­ni­en­platz. Ge­mein­sam ver­mit­tel­ten sie zwi­schen Senat und ge­flüch­te­ten Platz­be­woh­ne­rIn­nen, un­ter­stüt­zen die Be­set­ze­rIn­nen der ehe­ma­li­gen Ger­hart-Haupt­mann-Schu­le in Kreuz­berg und des Dachs einer Flücht­lings­un­ter­kunft in Fried­richs­hain, kon­trol­lier­ten im ver­gan­ge­nen Som­mer die Ar­beit des über­for­der­ten La­ge­so und ak­tu­ell die Po­li­zei­ein­sät­ze in der eben­falls be­setz­ten Ri­ga­er Stra­ße 94.

Fragt man sie nach po­li­ti­schen Un­ter­schie­den, klin­gen die Ant­wor­ten nach Not­lö­sung: Der Linke Taș ver­weist auf grüne Bun­des­po­li­tik (um die es auch bei der De­bat­te im Ab­ge­ord­ne­ten­haus 2014 ging), die Grüne Bay­ram auf ver­schie­de­ne Par­tei­struk­tu­ren (siehe In­ter­views links und rechts). Doch was ist, das die bei­den, die ja ei­gent­lich an­ge­sichts der be­vor­ste­hen­den Wahl auch ei­ge­ne Ak­zen­te set­zen müs­sen, so ver­bin­det? „Dass wir beide aus der Tür­kei stam­men, kann durch­aus eine Rolle spie­len“, ver­mu­tet Hakan Taș.

Dabei sind, trotz des ge­mein­sa­men Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grun­des, die Ge­mein­sam­kei­ten der bei­den gar nicht so groß. Bay­ram, 1966 im tür­ki­schen Ma­la­tya ge­bo­ren, Mut­ter einer Toch­ter, selb­stän­di­ge Rechts­an­wäl­tin, kam als Sechs­jäh­ri­ge nach Deutsch­land. Ihr Vater war Leh­rer, un­ter­rich­te­te im Rhein­land Schul­klas­sen für tür­ki­sche Ein­wan­de­rer­kin­der, ihre Mut­ter war Kran­ken­schwes­ter. Wie Bay­ram haben auch ihre vier Ge­schwis­ter stu­diert.

Coming-out mit 18 Jahren

Taș, im sel­ben Jahr in Er­zin­can in der kur­di­schen Ost­tür­kei ge­bo­ren und selbst Kurde, kam erst als Vier­zehn­jäh­ri­ger zu sei­nem Vater nach Deutsch­land, der bei sei­ner Aus­wan­de­rung als „Gast­ar­bei­ter“ die Fa­mi­lie in der Tür­kei ge­las­sen hatte. Deutsch ler­nen, Schul- und Aus­bil­dungs­er­folg, Freun­de fin­den, das fiel dem Teen­ager zu­nächst nicht leicht: „Ich war da­mals sehr al­lein“, sagt er heute. Dann kam mit 18 Jah­ren Taș’ Co­ming-out als Ho­mo­se­xu­el­ler, das den Bruch mit dem Vater be­deu­te­te, der mit dem ein­zi­gen Sohn bis heute nicht mehr spricht. Taș en­ga­gier­te sich: In der Ge­werk­schaft, der LGTB-Be­we­gung, grün­de­te etwa den Ver­ein GLADT für „Gays und Les­bi­ans aus der Tür­kei“.

Doch trotz sol­cher bio­gra­fi­schen und fa­mi­liä­ren Un­ter­schie­de: Die ei­ge­ne Mi­gra­ti­ons­er­fah­rung be­wir­ke einen an­de­ren Um­gang mit Men­schen nicht deut­scher Her­kunft, meint auch Canan Bay­ram: „Wir gehen an­ders auf Ge­flüch­te­te zu und reden an­ders mit ihnen.“ Und er­gän­zen sich dabei of­fen­bar aufs Beste: Taș mit sei­ner in­ten­si­ven lang­jäh­ri­gen Ver­net­zung in Ber­lin habe sie durch seine emo­tio­na­le Her­ans­ge­hens­wei­se und seine Spon­ta­nei­tät be­ein­druckt: „Er ist ein Typ, der gleich los­legt“, sagt Bay­ram. Sie gehe ana­ly­ti­scher an Pro­ble­me heran. Davon und von ihrem ju­ris­ti­schen Wis­sen pro­fi­tie­re er, gibt Taș neid­los zu. „Dazu kommt, dass uns bei­den das Thema glei­cher­ma­ßen wich­tig ist“, er­gänzt Bay­ram.

Gemeinsame Gegner

Mit schö­ner Re­gel­mä­ßig­keit zieht das Dream-Team sich so den Zorn vor allem der (mit-)re­gie­ren­den CDU oder ihren Se­na­to­ren un­ter­ste­hen­der Be­hör­den zu: „Per­fi­de Un­ter­stel­lun­gen“, die „in in­fa­mer Weise auf die Ehre und per­sön­li­che In­te­gri­tät von Se­na­tor Czaja“ ab­ziel­ten, er­kann­te der Ber­li­ner CDU-Ge­ne­ral­se­kre­tär Kai Weg­ner, als Canan Bay­ram im ver­gan­ge­nen Som­mer im taz-In­ter­view sagte, das War­te­cha­os vor der Flücht­lings­erst­auf­nah­me­stel­le im Ber­li­ner La­ge­so sei ge­wollt.

Mit schöner Regelmäßigkeit ziehen sich beide den Zorn der CDU zu

Gegen Hakan Taș er­stat­te­te Po­li­zei­prä­si­dent Klaus Kandt gar An­zei­ge, nach­dem der be­haup­tet hatte, Po­li­zis­ten hät­ten weg­ge­schaut, als Ord­ner am La­ge­so Flücht­lin­ge ver­prü­gel­ten. Und ak­tu­ell nann­te In­nen­se­na­tor Frank Hen­kel (CDU) Äu­ße­run­gen von Canan Bay­ram über das Auf­tre­ten der Po­li­zei in der Ri­ga­er Stra­ße – welche in ihrem Wahl­be­zirk liegt – „wi­der­lich“.

Auch da gibt es also keine Kon­kur­renz zwi­schen den bei­den pro­mi­nen­ten Flücht­lings­po­li­ti­ke­rIn­nen. Und bei der be­vor­ste­hen­den Wahl eben­so wenig: Taș tritt in Rei­ni­cken­dorf an und steht au­ßer­dem auf si­che­ren Platz 8 der Lan­des­lis­te der Lin­ken. Bay­ram kan­di­diert in Fried­richs­hain, wo sie 2011 di­rekt ge­wählt wurde. Auch sie steht weit oben auf der grü­nen Kan­di­da­tIn­nen­lis­te für die be­vor­ste­hen­de Ber­lin­wahl.

Pri­vat sind die zwei üb­ri­gens nicht be­freun­det. Was es für ihre po­li­ti­sche Zu­sam­men­ar­beit be­deu­tet, soll­te im Sep­tem­ber nach der Wahl eineR auf der Op­po­si­ti­ons-, eineR auf der Re­gie­rungs­bank enden, dar­über zer­bre­chen sie sich bis­her nicht den Kopf.

Warum auch: Man werde nach der Wahl „in einer ge­mein­sa­men Ko­ali­ti­on wei­ter gut zu­sam­men­ar­bei­ten“, ist Hakan Taș zu­ver­sicht­lich.

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