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Kommentar Zukunft der TürkeiDer Putsch nach dem Putsch

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Die säkulare türkische Republik ist Geschichte. Was kommt jetzt? Eine neue Verfassung mit einem allmächtigen Präsidenten.

Schon jetzt wird Erdoğan in seiner Partei nur noch mit „Führer“ angeredet, als Held des abgewehrten Putschs kommt nun auch noch ein Heiligenschein dazu Foto: dpa

A uf den Plätzen und Boulevards von Istanbul, Ankara und anderen türkischen Städten wird seit Samstagmorgen der Sieg der Demokratie gefeiert. Das heißt: Einige feiern, während andere angsterfüllt zu Hause sitzen. Und gefeiert wird auch nicht mit einem „Hoch auf die Demokratie“, sondern mit lauten „Allahu akbar“-Rufen. Aufgerufen zur Verteidigung der Demokratie hatten denn auch nicht die von einem vermeintlichen Militärputsch bedrohten Parteien, sondern die 85.000 Moscheen des Landes, die diese Aufrufe auch am Sonntagnachmittag noch fortsetzten.

Dennoch: Am Samstagnachmittag stimmten auch die Oppositionsparteien in einer Sondersitzung des Parlaments feierlich einer gemeinsamen Erklärung zur Rettung der Demokratie zu – wohl wissend, dass es in dieser spezifischen Form der neuen türkischen Demokratie im besten Fall um ein Diktat der Mehrheit und im Regelfall um das Diktat eines einzelnen Mannes gehen wird. Schon jetzt wird Erdoğan in seiner Partei nur noch mit „Führer“ angeredet, als Held des abgewehrten Putschs kommt nun auch noch ein Heiligenschein dazu.

Entsprechend war die Spitze der kurdisch-linken HDP erst gar nicht anwesend. Und der säkulare Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu, der gerade erst zu einer hohen Geldstrafe verurteilt wurde, weil er Erdoğan einen Möchtegern-Diktator genannt hatte, schaute während der gesamten Sitzung, als sei ihm schon klar, dass er das „Möchtegern“ demnächst weglassen kann.

Die islamische Demokratie, die da auf den Straßen der Türkei Form annimmt, nutzt nun den gescheiterten Aufstand, um mit all denen abzurechnen, von denen sie glaubt, dass sie ihr vielleicht noch gefährlich werden könnte. Wahrscheinlich wird man im Rückblick feststellen, dass dieser 15. Juli, den Erdoğan jetzt zum „Tag der Demokratie“ ernennen möchte, das endgültige Ende der säkularen türkischen Republik eingeläutet hat – und zur Geburtsstunde der neuen islamischen Republik Erdoğans wurde.

Noch weiß niemand, wie diese genau aussehen wird. Eine neue Verfassung mit einem allmächtigen Präsidenten wird kommen – und auch die übrigen Institutionen werden für die neue Republik jetzt neu aufgestellt. Es ist eine Art Revolution, die in der Türkei ihren Lauf nimmt. Wie immer bei Revolutionen ist nicht klar, was am Ende dabei herauskommt.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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8 Kommentare

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  • Ich suche krampfhaft nach Unterschieden. Der eine ist, dass es statt Juden jetzt die Kurden waren/sind. Der zweite ist die andere Fratze des „Führers“. Und wie auch damals wird erst mit ihm geredet und VERhandelt und wenn es zu spät ist, wird reagiert und GEhandelt werden...

    • @AberHallo!:

      Lassen wir doch die Kirche im Dorf. Ein gemeiner Diktator ist noch lange kein Hitler!

  • "…zur Geburtsstunde der neuen islamischen Republik Erdoğans wurde.…"

     

    kurz - Der Wahn - Die Reu ist lang! &

    Ein - s - zu viel!

  • Erdogan hält klar erkennbar jeweils die Daumen zur Handmitte und formt damit klar erkennbar das Zeichen der Muslimbrüder..

    Kritisiert mich, aber für mich stellt dieser Präsident die Weichen in Richtung islamischer Faschismus. :(

  • Der Großteil der türkischen Bevölkerung in Deutschland ist pro Erdogan - im Gegensatz zur kurdischen Bevölkerung

    Ich befürchte daher das in Deutschland große Konflikte zwischen Kurden und Türken aufbrechen könnten.

     

    Meiner Meinung nach sollte es große internationale Solidarität mit den Kurden für ein autonomes Kurdistan geben.

  • Der Militärputsch - oder was das auch immer war - ist beendet. Nicht beendet ist Erdogans Putsch. Er hat die Opposition im Parlament verhaften lassen, missliebige Richter werden entlassen. Wenn also die Exekutive die Legeslative und die Judikative gleichschaltet, dann ist das ein Putsch - erst recht wenn dann auch noch die unabhängige Presse verhaftet ist.

  • 3G
    32795 (Profil gelöscht)

    "Wie immer bei Revolutionen ist nicht klar, was am Ende dabei herauskommt."

     

    Da ist wohl eher der Wunsch der Vater des Gedankens.

  • Herr Erdogan sollte nach den Ursachen für den sogenannten Putsch suchen, sonst wird ihm weltweit vorgeworfen werden, dass er diesen Putsch dazu nutzt, seine Macht unantastbar zu machen und die Reste der Demokratie im Land abzuschaffen. Er will also alle Beteiligten hart bestrafen usw. Aber was haben die Verfassungsrichter mit dem Putsch zu tun?

     

    Eine der Ursachen könnte sein...

     

    In der Türkei tötet ein Busfahrer eine Passagierin. Ein Aufschrei der Frauen geht durchs Land – ihre Wut richtet sich gegen die Politik der Männer. „Jahrelang wird über immer mehr Morde und Vergewaltigungen an Frauen berichtet und kaum etwas bewegt sich. Doch plötzlich befand sich das ganze Land im Aufruhr.“

     

    Seit die AKP regiert, wurden Frauen immer weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Erdogan erklärt öffentlich, Männer und Frauen könnten gar nicht gleichberechtigt sein.

     

    Die Wut richtet sich vor allem auf die islamische Regierung von Präsident Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu. Völlig zu Recht machen die Frauen die Regierung dafür verantwortlich, dass die Gewalt gegen Frauen immer mehr zunimmt.

    http://www.taz.de/!5019924/

     

    Die andere Ursache, die mit der oben genannten eng zusammen hängt, könnte fehlende Demokratie sein. Es gibt wahrscheinlich Menschen im Land, die damit nicht einverstanden sind, dass Demokratie in der Türkei den Europäischen Mindeststandards nicht entspricht.