Casinos in Berlin: Ausgespielt

Spielhallen gelten als Zeichen des Niedergangs. In Berlin dominieren sie ganze Viertel. Das soll sich ändern, drei von vier Casinos sollen verschwinden.

Eine Frau steht hinter Spielautomaten

„Ich bin 59 Jahre. Wo soll ich noch hin?“ – Hedwig Stollorcz, Filialleiterin am Ku'damm seit 1988 Foto: Dagmar Morath

BERLIN taz | Eine zierliche, stark geschminkte Frau sitzt in einem Café und starrt durch die Glasfassade auf das untere Ende des Kurfürstendamms. Ihre Haare sind blondiert, und auf ihren Lippen glänzt pinkfarbener Gloss. „Es ist grausam“, sagt sie mit schwerem polnischen Akzent. „Ich bin 59 Jahre. Wo soll ich noch hin? Wer gibt mir eine neue Stelle?“

Außer ihr ist kaum jemand da, nur zwei magere Rentner mit Käppi kauern nahe der mit Spiegeln verkleideten Rückwand. Hedwig Stollorczs heisere Stimme füllt die Stille des Raumes, sie ist außer sich vor Wut und Kummer. Das Café ist Teil des Merkur-Casinos, eines Komplexes mit sechs Spielhallen. Stollorcz ist hier Filialleiterin, „seit 1988“, ruft sie in den Rauch ihrer Zigarette.

Nicht nur für ihren Laden, für Hunderte Glücksspielbetriebe könnten die letzten Tage anbrechen. Seit einigen Jahren versucht Berlin, der Menge von Spielhallen Herr zu werden. 2011 trat hier das bundesweit schärfste Gesetz in Kraft. Ende Juli laufen Übergangsfristen aus. Damit erlöschen die Konzessionen aller Spielhallen in Berlin.

Die Betreiber müssen ihre Lizenzen neu beantragen. Das neue Recht schreibt vor, dass zwischen zwei Spielotheken 500 Meter liegen müssen. Zudem darf es im Radius von 200 Metern um Oberschulen keine Casinos mehr geben. Der Senat geht davon aus, dass von 535 Casinos 150 übrig bleiben.

Eine Frau macht sich Luft

Das Merkur-Casino gehört zum Gauselmann-Konzern, dem Marktführer mit bundesweit 200 Filialen. 145 Angestellte sind dort beschäftigt. „Alle sind verängstigt“, sagt Stollorcz, „manche lassen sich krankschreiben, weil sie denken, ab August ist hier sowieso zu.“ Was genau passieren wird, kann zwar noch niemand sagen. Es ist aber davon auszugehen, dass fünf der sechs Hallen schließen müssen. Stollorcz schnaubt.

Hedwig Stollorcz, Filialleiterin:

„Was soll das? Erst gibst du Genehmigungen, dann meckerst du: Es gibt so viele. Und jetzt kommt ein neues Gesetz. Wo ist da die Demokratie?“

Auch sie findet, dass es zu viele Spielotheken gibt. Aber dass konzessionierte Betriebe wie dieser bedroht sind, das will ihr nicht in den Kopf. „Was soll das?“, schreit sie. „Erst gibst du Genehmigungen, dann meckerst du: Es gibt so viele. Und jetzt kommt ein neues Gesetz. Wo ist da die Demokratie?“ Ihre Stimme zittert, rosarot lackierte Fingernägel fahren durch die Luft, „jetzt muss ich eine rauchen.“

Ohnehin ist die Glücksspielbranche seit 2011 streng reglementiert: Die Zahl der Automaten wurde von zwölf auf acht gesenkt, Rauchen ist verboten, es darf weder Essen noch Getränke geben. Von drei bis elf Uhr müssen die Läden schließen.

Ein Bauunternehmer gibt an

Stollorcz stapft auf hohen Absätzen durchs Casino. Von allen Seiten blinkt und piept es. Ein bulliger Mann lässt vom Spiel ab; der bunte Schein erleuchtet sein fleischiges Gesicht. Er ist Bauunternehmer und verspielt, sagt er, jeden Tag 500 Euro. „Ich hab so viel Geld.“ Deshalb ärgert er sich über die Politiker. „Dieses Gesetz ist absoluter Schwachsinn.“ Er kommt gern hierher, weil es gepflegt zugeht. Aber wenn das Casino schließt, geht er eben anderswohin. Als er sich wieder dem Automaten zuwendet, flüstert Stollorcz: „500 ist übertrieben, es sind nur 200 Euro am Tag.“

Die Menge der Casinos in Berlin war seit 2009 sprunghaft angestiegen. Wegen der verschärften Regelungen hat sich der Trend wieder umgekehrt. Aber nun öffnen an allen Ecken Automatencafés, in denen die Vorschriften nicht gelten. Es handelt sich um Minicasinos, als Gaststätten getarnt, wo bis zu drei Automaten stehen dürfen.

Rings um die S-Bahn-Station Wedding, zwischen Gemüseläden, Handyshops und Nagelstudios, liegen Dutzende Spielhallen und Automatencafés. Ein Casino an einer Ecke, man muss klingeln, dann summt ein Buzzer. Ein arabisch aussehender Gast hebt den Kopf, den Blick voll Misstrauen. Zuschauer sind nicht willkommen in dieser Welt, wo die Hoffnung auf Glück mit Gefühlen von Scham und Schuld einhergeht. Hinter dem Tresen sitzt eine Frau, sie ist etwa 50 Jahre und mürrisch. Was wird hier ab August geschehen? „Was weiß ich, entweder der Laden wird geschlossen oder er bleibt.“

Zu viele Verbote

An ihrem Arbeitsplatz hat sich ohnehin schon so viel verändert, und, wie sie findet, nicht zum Besseren. „Die Leute können nicht mehr entspannt spielen, weil sie zum Rauchen rausmüssen“, sagt sie. Viele Kunden spielen jetzt zu Hause im Internet. „Oder in Casinos, die sich nicht an die Regeln halten. Die gibt’s ja reichlich.“

Wie viele Casinos die Kieze vertragen, soll mit einer geo­mathematischen Formel errechnet werden. Das Problem: Das Rechenmodell ist noch nicht fertig. Fest steht, dass Betreiber, die schon einmal mit Verstößen gegen das Gesetz aufgefallen sind, wenig Chancen haben. Falls zwei seriöse Betriebe weniger als 500 Meter voneinander liegen, soll das Los entscheiden.

Das Glücksspiel floriert überall, wo es Armut gibt. Wenn der Niedergang eingesetzt hat, Ladenlokale leerstehen, kommen die Casinos und Wettbüros. An der Beusselstraße in Moabit steht ein dünner Mann mit Falkengesicht im Halbdunkel einer Spielhalle, zieht an seiner Zigarette und sagt: „Hier gibt’s Casinos neben dem Kinderspielplatz. Wer genehmigt so was?“ Die Frau hinterm Tresen sagt: „Roland, lass sein, du hast getrunken.“

Roland kommt in Fahrt

Aber Roland kommt erst in Fahrt. Er stellt sich vor die Tür, rudert mit den Armen. „Ich kenn das noch, da war das ’ne Eckkneipe, jetzt ist das ein Casino.“ Er zeigt nach rechts und links. „Eins, zwei, drei. Überall sind Automaten drinne. Und das Café da, glauben Sie, da gehn die Leute hin, weil sie’n Kaffee wollen?“ Roland lebt in einer betreuten WG, verkauft Obdachlosenzeitschriften. 100 Euro hat er im Monat zum Spielen. „Ich find’s gut, dass die Politik was macht, ich hab was dagegen, wenn Spielhallen neben Schulen stehen.“

Es ist unwahrscheinlich, dass das Gesetz helfen wird, die Spielsucht einzugrenzen. Kritiker bemängeln, dass sich das Glücksspiel eher in den illegalen Bereich verlagern wird. Thomas Breitkopf, Vorsitzender des Verbandes der Automatenkaufleute in Berlin, hat schon oft gesagt, dass das Gesetz vor allem seriöse Unternehmer trifft, die Steuern abführen. Unternehmer wie ihn. „Was ist denn mit all den Etablissements, den halblegalen und illegalen? Für die ist das Gesetz doch der Heilsbringer.“

Harry Hildebrandt, Ex-Spieler:

„Sie schalten ab. Es ist dunkel, es ist klimatisiert, es hängen keine Uhren an der Wand. Man soll die Orientierung verlieren“

Breitkopf sitzt in der Glückspilz-Spielothek in Schöneweide. Er betreibt Casinos an 26 Standorten und beschäftigt 150 Mitarbeiter. Als Unternehmer wäre er auf Planungssicherheit angewiesen. Doch auch er fühlt sich von der Politik im Unklaren gelassen. „Ich brauche doch eine kalkulatorische Grundlage.“

„Damit komm ich nicht klar“

Breitkopf deutet aus dem Fenster; draußen erstreckt sich ein Gewerbegebiet, weitere Casinos gibt es hier nicht. Bloß: Der Laden ist ein Komplex mit zwei Spielhallen. Er musste von 24 Automaten bereits 8 abschaffen. Wenn er nun noch eine Halle schließen muss, rentiert sich das nicht mehr. „Damit komm ich nicht klar.“ Nur: so schnell kommt er nicht aus dem Mietvertrag. Und seine Mitarbeiter? Die kann er nicht einfach vor die Tür setzen. „Da red ich mich in Rage. Das geht mir nicht in den Kopf, wie man so ein Gesetz beschließen kann.“

Auf der anderen Seite der Stadt, an der Pichelsdorfer Straße in Spandau, knallt die Sonne, die Luft ist schwer vor Abgasen, Hitze und dem Geruch von Fett, der aus Imbissbuden dringt. Harry Hildebrandt läuft in langen, wiegenden Schritten die Straße herab; auf seinem Schädel glänzt Schweiß. Er war hier früher oft in den Casinos unterwegs, mehr als 20 Jahre war er spielsüchtig.

Wie er es sieht, gehen die Gesetze nicht weit genug. „500 Meter Abstand, das ist doch Quatsch“, sagt er. Für einen Süchtigen ist es ein Leichtes, die Strecke zu laufen. Er hat seit Jahren nicht mehr gespielt. Aber hat nicht vergessen, wie es war, in Kunstwelten zu versinken, nachts nicht schlafen zu können, sondern noch die rotierenden Früchte vor geschlossenen Augen zu sehen: „Sie schalten ab. Es ist dunkel, es ist klimatisiert, es hängen keine Uhren an der Wand. Man soll die Orientierung verlieren.“

Versunken im Automatenland

Neben ihm steht die Tür eines Cafés offen, an der Rückwand glimmen Automaten, vorne sitzen vier Männer beim Kartenspiel. Wer will, kann sich treiben lassen, zwischen Wettbüros, Automatencafés und Casinos. Dagegen, meint Hildebrandt, wird das Gesetz wenig ausrichten. Die Betreiber werden klagen, die Verfahren werden sich ziehen. Irgendwo wird das Spiel weitergehen. „Da wird sich erst mal gar nichts ändern“, sagt er, „leider.“

In der Merkur-Spielhalle stolziert Hedwig Stollorcz durch diesiges Neonlicht. Je länger die Filialleiterin redet, umso zorniger wird sie. „Wir werden ständig kontrolliert, vom Ordnungsamt, der Polizei. In die Spelunken gehen sie nicht, da haben die Angst. Zu uns kommen sie, obwohl hier alles perfekt ist.“ In ihrer Spielothek werde auf die Spieler geachtet. Wenn sie merkt, dass einer sich verändert, unrasiert ist, riecht oder schon am Vormittag spielt, spricht sie ihn an. „Manche sagen: Was geht dich das an? Da sag ich: Die kann ich rausschmeißen.“

Wenn das Glücksspiel komplett verboten würde, das könnte sie verstehen. Aber diese Auswahl kommt ihr willkürlich vor. „Es soll Verlosungen geben! Das ist doch auch Glücksspiel!“ In einer Ecke hat sich ein junger Mann in Trainingsjacke zwischen vier Automaten positioniert. Er schießt von Gerät zu Gerät, spielt an einem, lässt die anderen nicht aus den Augen. Er schüttelt nervös die Faust, darin klimpern Münzen. Stollorcz läuft an ihm vorüber, durch Gänge, Türen und verschachtelte Räume. „Passen Sie auf“, sagt sie, „man geht so leicht verloren.“

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