Heide Oestreich über das Kleinreden des Gender Pay Gap: Homo socialis, schon mal gehört?
Die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen ist viel kleiner, als die Frauen immer behaupten. Und eigentlich sind sie auch selbst schuld daran: Sie wählen schlecht bezahlte Berufe und bleiben zu lang mit den Kindern zu Hause. Diese These, die auch IW-Chef Michael Hüther am Montag wiederholte, geht von etwas aus, das eigentlich schon aus der Mode gekommen ist: dem Homo oeconomicus, der stets seinen Nutzen maximiert.
Dieser Homo oeconomicus verschafft sich einen Marktüberblick, wählt dann den optimalen Beruf, macht dort fleißig Überstunden und steigt deshalb auf. Der Homo oeconomicus ist eine Illusion, das sagen zahlreiche Ökonomen schon lange. Entscheidungen von Menschen hängen von sehr viel mehr Faktoren ab. Und – und das war der Beitrag der Feministinnen zu dieser Kritik – diese Illusion ist zudem ein Mann.
Frauen bekommen Kinder. Und die Gesellschaft weist ihnen die Betreuungsaufgaben zu. Deshalb wählen sie Berufe, die mit Kindern vereinbar sind, deshalb gehen sie in Teilzeit und deshalb machen sie nicht unendlich Überstunden. Sie sind das Gegenteil vom Homo oeconomicus, sie sind ein Paradebeispiel für den Homo socialis.
Erklärt man soziale Verpflichtungen zu privaten Problemen, wie Herr Hüther es tut, dann müssen weder Unternehmen noch Politik irgend etwas ändern. Aber nirgends ist das Private so politisch wie in der Kinderfrage. Wer Gleichberechtigung will, muss Menschen mit Familienverantwortung ermöglichen, ebenfalls Karriere zu machen. Und selbstverständlich muss man mit einem Gesetz Transparenz herstellen, wenn erwiesen ist, dass Frauen auch unter Herausrechnen aller sozialer Faktoren immer noch 6,6 Prozent weniger verdienen als Männer. „Der Staat muss nicht handeln“, steht über dem Statement des IW. Das Gegenteil ist richtig: Der Staat hat schon zu lange zugeschaut, wie weltfremd die Wirtschaft mit seinen Bürgerinnen umgeht.
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