Griechenland beschließt Austerität: Weniger Rente, dafür mehr Steuern
Trotz Streiks und Empörung hat die Regierung weitere Austeritätspolitik durchgesetzt. Damit will Tsipras ein Zeichen setzen. Aber welches?
„Du kommst ins Gefängnis“, drohte etwa Oppositionssprecher Georgiadis dem stellvertretenden Gesundheitsminister Polakis. Der wiederum revanchierte sich mit der vieldeutigen Warnung: „Mal sehen, wo du dich verstecken wirst …“ Sozialminister Katrougalos erklärte, er sei stolz auf seine Reform, die das marode Rentensystem Griechenlands saniere und für soziale Gerechtigkeit sorge.
Das griechische Parlament in Athen stimmte am Sonntag Abend mit knapper Mehrheit neuen Sparmaßnahmen zu, die die internationalen Kreditgeber im Gegenzug für ein drittes Hilfspaket gefordert haben. Alle 153 Abgeordneten der Regierungskoalition von Ministerpräsident Alexis Tsipras stimmten am Sonntagabend für das Gesetzespaket, das Reformen der Renten- und Steuersysteme in Griechenland vorsieht. Die Opposition in dem 300 Mitglieder großen Parlament votierte geschlossen dagegen.
Tausende Griechen demonstrierten vor der Abstimmung gegen die Maßnahmen, die höhere Sozialabgaben und Steuern nach sich ziehen werden. Eine kleine Gruppe von Anarchisten mischte sich am Sonntag unter rund 10 000 friedliche Demonstranten und warf Brandsätze, Stühle und Holzplanken auf die Beamten. Die Polizei setzte Blendgranaten und Tränengas ein. Neun Personen wurden festgenommen.
Eckpunkte der Reformvorlage: Die Sozialbeiträge steigen kräftig, vor allem für Landwirte und Freiberufler. Frührentnern drohen hohe Abschläge. Ruheständler, die weiterhin arbeiten, müssen 60 Prozent ihrer Rente an den Fiskus abführen. Die Solidaritätszulage (Ekas) für Geringverdienende wird stufenweise bis 2019 abgeschafft.
Debatte verschoben
Eine Grundpension von 384 Euro im Monat wird eingeführt, Rentenkürzungen in Höhe von 3 Milliarden sind bis 2019 vorgesehen. Für alle, die ab 2016 in Rente gehen, bringt die Reform Einschnitte von bis zu 30 Prozent. Trotzdem behauptet Sozialminister Katrougalos, neun von zehn Verdienenden würden nach der Reform besser dastehen als zuvor.
Nach monatelangem Zögern hatte Linkspremier Tsipras sein Reformkonzept Ende April ins Parlament eingebracht, die Debatte darüber jedoch verschoben. Vermutlich wollte er die Zustimmung der Geldgeber abwarten, die immer noch nicht vorliegt. Trotzdem lässt der Regierungschef nun seine Reform von den Volksvertretern absegnen, rechtzeitig zum Montagstreffen der Euro-Finanzminister in Brüssel.
Damit will Tsipras ein Zeichen setzen. Aber welches? Daran scheiden sich die Geister. Linkskommentatoren sprechen von einer taktischen Finte des Premiers Tsipras, der noch vor dem Treffen der Eurogruppe eine wichtige Reform verabschiedet und sich damit Freiräume für die eigene Agenda schafft: die Forderung nach einer Schuldenregelung für Hellas. Die auflagenstärkste Athener Zeitung Ta Nea sieht das anders: Griechenland stehen „heiße“ Tage bevor, da die Regierung „überraschend und ohne Einigung mit den Geldgebern“ diese Rentenreform dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt hat.
Nicht zuletzt die in den Osterferien verweilenden Gewerkschaften wurden von der hastig angekündigten Parlamentsabstimmung überrascht. Aber sie haben schnell reagiert: am Freitag und Samstag wurde Hellas von einem zweitägigen Generalstreik gelähmt, Eisenbahner, Seeleute und andere Berufsgruppen wollen noch länger streiken. „No pasarán“ und „Wir wollen eine Rente, kein Trinkgeld“ hieß es auf Protestplakaten. In Thessaloniki demonstrierten Linksaktivisten vor der Geschäftsstelle der Syriza-Partei. Athens größte Parkanlage, die direkt an das Parlament angrenzt, blieb am Wochenende für das Publikum geschlossen- aus Angst vor Ausschreitungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“