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Erdoğan trotzt der ganzen Welt

TÜRKEI Der Präsident will nicht an den Antiterrorgesetzen rütteln. Doch das ist eine Bedingung für die Visafreiheit. Damit steht auch das Abkommen mit der EU infrage

Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

Schneller als erwartet sind nach der Rücktrittsankündigung des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu am Donnerstag Schwierigkeiten zwischen der Türkei und der EU deutlich geworden. Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der den Rücktritt veranlasst hat, will die Politik des bisherigen Premiers nicht fortsetzen.

Bereits im Vorfeld der faktischen Entlassung Davutoğlus war darüber spekuliert worden, dass es zwischen Präsident und Ministerpräsident erhebliche Differenzen über das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei gebe. Erdoğan, hieß es, sei der Meinung, dass Davutoğlu gegenüber der EU zu viele Zugeständnisse mache.

Einen Tag nach der Rüchtritts­ankündigung Davutoğlus bestätigte Erdogan am Freitag diese Befürchtungen. Auf einer Veranstaltung in Istanbul sagte er, die Türkei werde nicht, wie von der EU gefordert, ihre Antiterror­gesetze ändern. Für die Zustimmung zur einer visafreien Einreise in die EU hatte die Kommission in Brüssel verlangt, die Türkei solle ihre Antiterror­gesetze präzisieren, da in der jetzigen Form praktisch jeder Regierungskritiker als Terrorist angeklagt werden könne.

Das ist das Gegenteil von dem, was Erdoğan sich vorstellt. Nach dem jüngsten Selbstmord­attentat von PKK-Anhängern in Ankara kündigte er vielmehr an, künftig müssten die „geistigen Unterstützer“ von Terroristen selbst als Terroristen angesehen werden. Gegenüber der EU sagte Erdoğan: „Wir gehen unseren Weg, ihr euren.“

Am Wochenende legte Erdoğan nach. Zunächst forderte er die EU auf, erst einmal gegen PKK-Demonstranten in Brüssel vorzugehen, bevor sie Gesetzesänderungen in der Türkei fordere. Und bei einer Rede in Malatya sagte er in Anspielung auf den Ausnahmezustand in Frankreich: „Diejenigen, die uns jetzt kritisieren, haben selbst die Demokratie und die Freiheiten zur Seite gelegt, als die Bomben auf ihrem Boden zu explodieren begannen“. In seinem „Trotz gegen die ganze Welt“ wisse er die Türkei hinter sich. Auch die islamische Welt blicke mit Anerkennung auf sie.

Für die Verfechter des EU-Türkei-Abkommens, vor allem für Angela Merkel, wird die Lage schwieriger

Damit hat Erdoğan klargestellt, wo er sein Land sieht und was er von der EU hält. Für die Verfechter des EU-Türkei-Abkommens, vor allem Kanzlerin Angela Merkel, wird die Lage damit schwieriger. Verweigert Erdoğan die Erfüllung der letzten 5 von 72 Bedingungen für die Aufhebung der Visapflicht und besteht die Kommission auf ihren Forderungen, könnte die von den türkischen Bürgern herbeigesehnte Visafreiheit doch noch gekippt werden. Für diesen Fall hat Erdoğan bereits angekündigt, dass die Türkei keine Flüchtlinge aus Griechenland mehr zurücknehmen und ihre Grenzen wieder öffnen wird. Griechenland stünde ein neuer Flüchtlingsansturm bevor.

Erschwerend für Merkel und die EU-Kommission kommt hinzu, dass die schlechten Nachrichten vom Bosporus nicht abreißen. Am Freitagabend wurden in dem weltweit beachteten Prozess gegen die Journalisten Can Dündar und Erdem Gül die Urteile gesprochen. Dündar soll sechs, Gül fünf Jahre ins Gefängnis. Deutsche und internationale Journalistenorganisationen laufen Sturm gegen diese „türkische Rachejustiz“.

Die Bundesregierung in Berlin kann das nicht ignorieren. Eine Sprecherin des Außenministeriums erklärte deshalb: „Das Verfahren gegen Dündar und Gül ist ein Lackmustest für die Unabhängigkeit der türkischen Justiz. Wir haben die Nachricht über die Urteilsverkündung mit erheblicher Sorge aufgenommen.“ Vielleicht zeigt sich die Unabhängigkeit der türkischen Justiz ja in der Berufungsverhandlung.

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